Interview

»Wir können uns den Luxus der Lüge nicht leisten«

Gideon Meir über neue Medien, alte Vorurteile und die schwierige Aufgabe, Israels Position in der Weltöffentlichkeit zu vertreten

von Detlef David Kauschke  24.09.2012 16:36 Uhr

Gideon Meir Foto: Rolf Walter

Gideon Meir über neue Medien, alte Vorurteile und die schwierige Aufgabe, Israels Position in der Weltöffentlichkeit zu vertreten

von Detlef David Kauschke  24.09.2012 16:36 Uhr

Herr Meir, Sie arbeiten als Abteilungsleiter im israelischen Außenministerium. Wie würden Sie Ihre Aufgabe dort beschreiben – ist es Hasbara, zu Deutsch Aufklärung?
Ich mag das Wort Hasbara nicht, es trifft die Sache nicht. Der Begriff ist nicht nur defensiv, er ist apologetisch. Wir Israelis vertreten eine gute und gerechte Sache, deshalb müssen wir überhaupt nichts erklären. Was wir machen müssen, ist PR – wir müssen Werbung für Israel betreiben. Aber erklären müssen wir überhaupt nichts. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir den Begriff Hasbara in den nächsten anderthalb Jahren aus unserem Vokabular streichen. Außerdem hoffe ich, dass wir die jüdischen Gemeinden weltweit überzeugen können, das Wort ebenfalls nicht mehr zu benutzen.

Sprechen wir also besser von Public Diplomacy, öffentlicher Diplomatie?
Ich finde diesen Ausdruck besser als alle anderen, denn es geht darum, von Israel zu erzählen. Dieses Land besteht nicht nur aus Konflikten. Schauen Sie, zu jedem Zeitpunkt gibt es 400 bis 500 ausländische Journalisten in Israel. Sie genießen die guten Lebensbedingungen, aber sind eigentlich nicht da, um über Israel zu berichten – ihr Interesse gilt dem Nahostkonflikt. Deswegen kennt man Israel nur durch den Filter dieses Konflikts. Doch das Land besteht aus viel mehr. In dem Bild, das die Welt von Israel hat, fehlen einfach die Zusammenhänge. Besonders in Europa gibt es wirklich sehr wenig Kenntnisse über das reale Israel, seine Werte, seine Demokratie. Die Tatsache, dass Israel für junge Leute ein »cooles« Land ist. Dass Israel eine »Start-up-Nation« ist. Das ist eine Geschichte, die wir der Welt erzählen wollen.

Keine einfache Aufgabe, oder?
Auf keinen Fall. Wir arbeiten auf drei Ebenen: erstens natürlich für den Staat Israel. Zweitens geht es uns darum, der israelischen Regierung klarzumachen, dass PR-Arbeit zu organisieren, Teil der nationalen Sicherheit ist. Die dritte und schwierigste Ebene besteht darin, die Juden in der übrigen Welt zu überzeugen, dass wir keine schlechte Arbeit leisten. PR für Israel ist kein einfacher, normaler Job. Jeder Repräsentant unseres Landes auf der Welt ist konfrontiert mit den jeweiligen Vertretern von 23 arabischen Staaten – hinter denen eine Menge Geld und der jeweilige Propagandaapparat steht. Israel kann keine Propaganda betreiben, wir können uns den Luxus der Lüge gar nicht leisten, wir sagen der Welt die Wahrheit. Manchmal verlieren wir eine Schlacht, schon bevor wir etwas im Fernsehen sagen. Denken Sie an den Fall der »Mavi Marmara« 2010 – wir müssen zunächst die Fakten prüfen, bevor wir an die Öffentlichkeit gehen. Deswegen ist unsere Aufgabe wesentlich schwieriger.

Zeigt der Fall »Mavi Marmara« nicht genau die Schwierigkeit dieser Aufgabe? Videos anti-israelischer Aktivisten waren schon viele Stunden im Netz, bevor es erste offizielle Darstellungen von israelischer Seite gab.
Damals war ich Botschafter in Italien, und ich war sehr frustriert, als ich die Bilder sah. Selbst ich dachte, dass wir wohl etwas falsch gemacht hatten. Denn ich sah diese Bilder – unsere Stimme hörte ich dagegen nicht. Doch was sollten wir tun? Wir mussten erst die Fakten prüfen. Dann mussten wir mit den Familien der beteiligten Soldaten sprechen, das gebietet uns das Judentum. Ein anderes Beispiel: 2002 wurden zwei Jugendliche in einer Höhle in der Nähe eines kleinen Dorfes brutal ermordet. Ihre Schädel waren mit Steinen eingeschlagen worden. Der damalige Premier Ariel Scharon bat mich, der Welt mit diesem Bild die Brutalität der palästinensischen Terrororganisationen zu demonstrieren. Aber nur unter einer Bedingung: dass die Familien dem zustimmen! Davon haben wir dann Abstand genommen. Denn dafür hätte ich einer der Mütter das Bild ihres abgeschlachteten Sohnes zeigen müssen, das sie ihr Leben lang nicht vergessen hätte. Ähnlich war es mit den Vorfällen auf der »Mavi Marmara«.

In der jüdischen Gemeinschaft gibt es Stimmen, die sagen, wenn Israel bessere PR-Arbeit machen würde, wäre es viel einfacher, das Land zu verteidigen. Was sagen Sie denen?
Nicht alles hängt an der PR. Viele derer, die solche Kritik vorbringen, kritisieren in Wirklichkeit nicht die PR-Arbeit, sondern die Politik der israelischen Regierung. Diese Regierung wurde demokratisch gewählt – genau wie die in Deutschland, Italien, den USA oder Großbritannien. Es ist aber nicht meine Aufgabe, die Politik unserer Regierung zu kritisieren. Als Diplomat vertrete ich die Regierung und den Staat Israel. Keine Frage: Auch wir machen Fehler. Aber diese Menschen kritisieren die Politik, nicht deren Vermittlung. Wenn uns Israelis die Regierung nicht passt, können und werden wir das an den Wahlurnen ändern. Das ist Demokratie.

Im Juni diskutierte der Knesset-Unterausschuss für Diaspora-Angelegenheiten die Frage, ob es eine politische Vertretung für alle Juden auf der Welt geben sollte. Was denken Sie darüber?
Israel ist eine gemeinsame Unternehmung der Juden in der Welt und in Israel. Es ist eine Versicherungspolice für jeden einzelnen Juden auf der Welt. Das ist besonders in Deutschland wohlverstanden. Bei einer Versicherung muss man aber eine Prämie entrichten. Wir Juden in Israel bezahlen Steuern und dienen in der Armee, dafür haben wir das Recht zu wählen. Die Juden in der Diaspora bezahlen ihre Prämie, indem sie Israel unterstützen. Ich glaube nicht, dass über die Frage, ob meine Kinder oder Enkel mit der Armee in einen Krieg ziehen müssen, von Juden außerhalb des Landes entschieden werden sollte. Man sollte dafür Teil der Gesellschaft sein, die auch mit den Konsequenzen solcher Entscheidungen leben muss. Das ist eine klare Unterscheidung. Aber dennoch gehört Israel mir als Jude in Israel genauso wie Ihnen als Jude außerhalb Israels. Wie gesagt, es ist eine gemeinsame Unternehmung. Jeder Jude entscheidet für sich selbst, wo er leben will. Für jeden Juden auf der Welt ist Israel eine spirituelle Heimat. Und ein starkes Israel ist Garant für starkes jüdisches Leben in der Diaspora.

Erfüllt das deutsche Judentum seine Aufgabe in der gemeinsamen Unternehmung?
Ich kann zu dieser speziellen Frage nach nicht einmal sechs Monaten in meiner neuen Funktion nichts sagen. Was ich sagen kann, ist, dass die jüdischen Gemeinden weltweit für Israel sehr wichtig sind. Teil meiner Aufgabe ist es, die Beziehungen zwischen Israel und der Diaspora weiter zu verbessern. Die Tatsache, dass es die Jewish Agency gibt, dass es ein besonderes Ministerium für Diaspora-Angelegenheiten gibt, dass es eine extra Abteilung dafür im Außenministerium gibt – all das zeigt, wie wichtig der fortgesetzte Dialog für uns ist.

Das Bild Israels wird in Deutschland immer schlechter. Was ist zu tun?
Ich kenne diese Umfragewerte und bin sehr besorgt darüber. Unser Anliegen ist es, diese Einstellungen zu ändern. Wir haben dazu einige Programme. Der beste Ansatz ist, aktuelle und künftige Multiplikatoren nach Israel zu bringen. Damit sie dort das reale Land kennenlernen und mit Israelis sprechen können. Wir haben Austauschprogramme für junge Deutsche und Israelis. Es gibt deutsche Bundestagsmitarbeiter, die in der Knesset ein Praktikum absolvieren und umgekehrt. All das geschieht, um einen öffentlichen und privaten Dialog zwischen Deutschen und Israelis in Gang zu setzen. Wir müssen der Welt über den Weg der persönlichen Begegnungen und über die neuen Medien zeigen, dass Israel ein lebendiger und großartiger Ort ist, ein westliches Land.

Im Kontext der deutschen Beschneidungsdebatte haben sich der israelische Oberrabbiner Yona Metzger und auch Innenminister Eli Yishai geäußert. Der Zentralrat der Juden hat dies kritisiert. Wie sehen Sie das?
Das Thema ist eine innere Angelegenheit der jüdischen Gemeinde in Deutschland. Ich denke nicht, dass sich die israelische Regierung da einmischen sollte. Diese Angelegenheit muss zwischen der hiesigen Gemeinde und der deutschen Regierung geklärt werden. Beschneidung ist Teil der jüdischen Tradition, Geschichte, Identität, der Halacha. Aber dazu muss ich Ihnen auch etwas Persönliches erzählen: Mein Beschneider war mein Großvater. Er war Mohel und Schochet in Fulda. Ich selbst bin in Jerusalem geboren, aber meine Wurzeln liegen in Fulda und Berlin. Mein anderer Großvater Ludwig Meyer machte 1908 Alija und eröffnete die erste Buchhandlung Eretz Israels in Jerusalem. 1914 ist er mit meiner Großmutter zurückgekehrt, um im Krieg für das »deutsche Vaterland« zu kämpfen. Mein Vater wurde 1915 in Berlin geboren. 1933, mein Großvater hatte inzwischen wieder eine Buchhandlung in Berlin, wurde deren Fassade beschmiert: »Kauft nicht bei Juden!« und »Juden raus!« stand dort. Da ist er mit seiner Familie wieder zurück nach Palästina. Ich habe noch heute eine Visitenkarte meines Großvaters: »Elazar Lazmann, Schochet und Mohel, anerkannt durch das Oberrabbinat Tel Aviv und durch deutsche Fachärzte«. Für mich ist die Debatte um die Brit Mila also auch eng mit meiner Familiengeschichte verknüpft.

Nach Verbalattacken, Anzeigen gegen Rabbiner und sogar einem brutalen antisemitischen Angriff gibt es hier Stimmen, die sich um die Zukunft des jüdischen Lebens in Deutschland sorgen. Wie kommentieren Sie das?
Die Juden in Deutschland leben in einer Demokratie, genauso wie die Juden in Israel – Gott sei Dank. Wir haben das Recht, individuell zu entscheiden, wie wir leben, wo wir leben, was wir tun. Es ist eine freie Welt – nicht die arabische oder muslimische Welt mit diktatorischen Bedingungen. Wir haben die freie Wahl. Ich denke, dass wir unter Juden mehr Einigkeit brauchen.

Mit dem israelischen Spitzendiplomaten sprach Detlef David Kauschke.

Gideon Meir war nach diplomatischer Tätigkeit in Washington und London und verantwortlicher Arbeit im Medienbereich des Jerusalemer Außenministeriums von 2006 bis 2011 Israels Botschafter in Rom. Jetzt ist er Generaldirektor für »Public Diplomacy« des Außenministeriums.

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