Interview

»Wir halten uns an die Fakten«

Arye Sharuz Shalicar über den Krieg an der Informationsfront, die Lügen der Hamas und die Pressearbeit der IDF

von Detlef David Kauschke  25.10.2023 12:01 Uhr

Ayre Sharuz Shalicar Foto: Detlef David Kauschke

Arye Sharuz Shalicar über den Krieg an der Informationsfront, die Lügen der Hamas und die Pressearbeit der IDF

von Detlef David Kauschke  25.10.2023 12:01 Uhr

Herr Shalicar, Israel ist im Krieg, und Sie kämpfen an der Informationsfront. Was sind dabei die besonderen Herausforderungen?
Wir sehen immer wieder, dass die Hamas und all diese anderen Terroristen mit ihrer Propaganda und ihren Lügen anscheinend immer wieder Erfolg haben. Das haben wir bei den letzten Operationen erlebt, das sehen wir jetzt in diesem Krieg wieder. Und das beste Beispiel ist die Explosion am Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza, nach der bestimmte Medien sofort – ohne zu hinterfragen, ohne eine notwendige Recherche und ohne überhaupt die Reaktion der israelischen Armee abzuwarten – einfach den Wortlaut der Hamas übernommen haben.

Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst, heißt es. Ist das nicht eine Realität militärischer Auseinandersetzungen?
Ich erwarte von Qualitätsjournalismus etwas anderes. Schnelligkeit darf doch nicht vor Gründlichkeit gehen. Die Zeitungen, Agenturen, Fernseh- und Radiosender wollen unbedingt ganz schnell die Meldungen bringen. Und dann wäre es ja in Ordnung, um beim konkreten Fall zu bleiben, wenn man melden würde, dass es in der Nähe eines Krankenhauses einen Einschlag gab. Und dann kann man hinzufügen: Es steht gerade nicht fest, was da passiert ist. Aber wenn man sofort meldet: »Israel bombardiert Krankenhaus: 500 Tote«, und das fünf Minuten nach dem Vorfall, und sich dabei nur auf die Hamas verlässt, ist das falsch. Da muss doch hinterfragt werden: Wie sind die auf 500 Tote gekommen? Wo sind die Leichen? Was ist passiert? Wer sagt, dass Israel dafür verantwortlich war?

Die Hamas verbreitet Falschmeldungen sofort, Israel braucht Stunden für die Fakten. Man sagt, die Lüge ist immer schneller als die Wahrheit. Kann man dagegen überhaupt etwas tun?
In Redaktionen braucht doch auch alles seine Zeit. Die Redaktionsleitung will eine bestimmte Geschichte oder bekommt eine aktuelle Meldung, es müssen Autoren und Korrespondenten gefunden werden, die sich darum kümmern. Dann muss die Redaktion den Text oder Beitrag bearbeiten, und dann kann sie erst veröffentlichen. Das ist ein Prozess, der dauert. Und so ähnlich ist es auch bei der Armee, bei uns in der Sprechereinheit. Um wirklich etwas verantwortlich zu veröffentlichen, sprechen wir, wie in diesem Fall, erst mit allen relevanten Stellen: mit der Luftwaffe, dem Süd-Kommando, dem Operative Department und anderen. Dort müssen erst einmal die Fakten geliefert werden und dann auch die Erlaubnis, dass sie veröffentlicht werden können.

Also ist es doch ein schwieriges Unterfangen?
Ja, weil wir uns an Fakten halten, und demgegenüber die Terroristen kein Problem damit haben zu lügen.

Was wäre dann der Appell zum Beispiel an tagesschau.de und andere, die sofort die vermeintlichen 500 Toten gemeldet haben?
Dass sie einer terroristischen Organisation, einer brutalen Mörderbande, kein Wort glauben sollten. Noch immer finden bei uns täglich Beerdigungen statt. Es wurden grausamste Taten verübt, Babys ermordet, Familien hingerichtet. Und den Leuten, die dafür verantwortlich sind, kann man doch nicht vertrauen und ihre Meldungen ungeprüft verbreiten.

Es gibt in deutschen Medien die Diskussion darüber, ob auch im konkreten Fall der Journalismus versagt hat. Was ist Ihre Meinung?
In der Hinsicht haben sehr viele Journalisten wieder versagt. Und es sind häufig die gleichen Medien, die dabei immer wieder auffallen. So zum Beispiel die BBC.

Die sich jetzt aber für die Falschmeldung entschuldigt hat.
Eine halbherzige Entschuldigung, wenn sich die BBC weiterhin weigert, die Hamas als Terrororganisation zu bezeichnen. Und außerdem: Der Schaden ist schon angerichtet. Nach den vielen Falschmeldungen vom vermeintlichen israelischen Angriff auf das Krankenhaus mit Hunderten Toten begannen schon unmittelbar danach Ausschreitungen von Arabern in aller Welt und offene antisemitische Anfeindungen.

Zunehmend ist bei manchen Medien der Versuch zu beobachten, eine Art Symmetrie herzustellen: Die Hamas sagt dies, Israel das – liebe Leser, suchen Sie sich eine Wahrheit aus. Wie beobachten Sie dieses Phänomen?
Ernie ist nicht Bert, und A ist nicht B: Es ist einfach keine Symmetrie möglich. Auf der einen Seite steht ein demokratischer Staat, der die Pflicht und das Recht hat, sich zu verteidigen und seine Bürger zu beschützen. Und auf der anderen Seite ist eine Terrororganisation, die die eigene Bevölkerung als Schutzschilde benutzt, Menschen abschlachtet, Unschuldige in Geiselhaft nimmt – und kein Problem damit hat.

Die Armee hat sehr bald nach dem blutigen Terror Journalisten in die Kibbuzim geführt, als noch Leichen auf den Straßen und Wegen lagen. Ist es vertretbar, solche Szenen zu zeigen?
Es ist die Realität. Die muss man den Menschen vor Augen führen. Sonst kann man das Ausmaß der Gewalt und der Brutalität nicht erahnen. Sonst wird man auch nicht nachvollziehen können, dass Israel direkt am 7. Oktober schon gesagt hat: Wir befinden uns im Krieg. Ich war ja an diesem Tag noch Zivilist und musste auch erst einmal verstehen, dass dies eine Situation ist, die wir in der Geschichte des Staates noch nie erlebt haben. Das alles muss auch der Welt, den internationalen Medien und insbesondere der eigenen Bevölkerung vor Augen geführt werden.

Wer ist eigentlich für das Framing zuständig, dass beispielsweise in öffentlichen Verlautbarungen von Krieg und nicht von einer Operation gesprochen wird oder Hamas mit dem IS verglichen wird?
Im Krieg steht in der Regel der Ministerpräsident ganz oben, dann das Sicherheits­kabinett, dann ist da das Außenministerium. Es gibt aber im Kriegsfall in erster Linie die israelische Armee, die an der Front die Situation erklärt. Deshalb sind wir hier in 19-Stunden-Schichten unterwegs, und es gibt sehr viel Nachfrage.

Wer leistet eigentlich jetzt diese ganze Arbeit? Es war zu lesen, dass sich Hunderte Reservisten freiwillig auch für die Sprechereinheit der Armee gemeldet haben.
Ich habe dazu keine Zahlen. Aber was ich sagen kann, ist, dass sich die Zahl der Soldatinnen und Soldaten, die ich hier in den Büros sehe, in den zwei Wochen mindestens verdoppelt hat. Und das sind alles Leute, die Israel und die Welt in allen möglichen Sprachen informieren.

Haben Sie dabei die herkömmlichen Medien, aber auch TikTok oder Instagram im Blick?
Wir versuchen, die Menschen auf allen Kanälen zu erreichen. Deutsch ist meine Muttersprache, aber ich versuche auch ein Stück weit, Informationen auf Persisch zu verbreiten, und auf Englisch natürlich. Wir stehen Fernsehen oder Rundfunk, Agenturen oder Zeitungen zur Verfügung, bespielen aber auch Social-Media-Kanäle. Im Militärjargon würde ich sagen: Wir schießen in jede Richtung.

Wird dabei von den Medien die von Ihnen angebotene Information wirklich entsprechend verbreitet?
Ich habe das Gefühl, dass in der jetzigen Situation das, was wir sagen, so angenommen wird. Ich werde täglich zu zahlreichen Live-Schaltungen eingeladen. Tatsächlich gibt es Sender, die merken, dass wir relativ transparent sind, dass wir jetzt natürlich keine operativen Pläne preisgeben, aber schon auf ihre Fragen antworten, dass wir erreichbar sind und das auch noch auf Deutsch machen. Es gibt natürlich auch die andere Seite, die das, was Israel tut, möglicherweise irgendwie immer wieder infrage stellt.

Abschließend die Frage: Kann Israel den Krieg an der Informationsfront gewinnen?
Da habe ich eine ganz klare Sicht der Dinge, denn ich unterteile in drei Bevölkerungsgruppen. Die einen sind die, die uns verstehen, die mit uns sind. No matter what. Sie stehen hinter uns, weil sie wissen, dass wir im Recht sind. Es ist eine kleine Gruppe, aber es gibt sie. Dann gibt es demgegen­über eine größere Gruppe, die so voller Hass und Indoktrination ist. Das sind teilweise die, die auf die Straße gehen – ob sie radikale Muslime, radikale Linke, radikale Rechte sind. Wie auch immer: Juden oder jüdischer Staat? Sie wollen uns einfach nicht. Punkt. Und dann gibt es eine große Mitte, die auf der Zuschauerbank sitzt. Und das ist meine Zielgruppe. Und wir werden gewinnen!

Das Interview mit dem Major der Sprechereinheit der israelischen Armee führte Detlef David Kauschke.

Zur Person
Ayre Sharuz Shalicar kam 1977 in Göttingen als Sohn iranischer Juden zur Welt. Er wuchs in Berlin auf und machte sich dort in der Graffiti-Szene einen Namen. Erst mit 13 Jahren erfuhr Shalicar von seinem Vater, dass er Jude ist, und wurde zur Zielscheibe seiner muslimischen
Bekannten. Er schloss sich daraufhin
einer Straßengang an, machte 1997 Abitur, stieg danach aber aus der Graffiti-Szene aus, leistete seinen Militärdienst bei der Bundeswehr und begann, Judaistik, Politik- und Islamwissenschaft zu studieren. 2001 machte Shalicar Alija, wurde Soldat bei den israelischen Verteidigungskräften und war von 2009 bis 2017 einer von vier offiziellen Armeesprechern. Seit 2017 arbeitet er im Bereich internationale Beziehungen für die Regierung in Jerusalem. In Deutschland wurde Shalicar durch seinen autobiografischen Roman »Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude – Die Geschichte eines Deutsch-Iraners, der Israeli wurde« bekannt.

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