Gelb, so weit das Auge blickt. Kein Baum, kein Strauch auf weiter Flur. Karg ist die Landschaft in der Negevwüste im Süden. Doch genau diese Öde ist es, die viele Menschen magisch anzieht. Immer mehr Israelis nehmen sich eine Auszeit von der Hektik in den Städten und suchen Ruhe und innere Einkehr in der Einsamkeit der Wüste.
Es sei die besondere Atmosphäre, die die Leute herlocke, ist Hotelgeschäftsführerin Naomi Dwora aus Mizpe Ramon überzeugt. Hier, am Rande der 5000-Seelen-Gemeinde – »am Ende der Welt«, wie sie es selbst bezeichnet –, liegt einer der schönsten Orte des Landes: der Ramonkrater. Tiefe, in Urzeiten von Wasser ausgehöhlte Canyons ziehen sich kilometerweit durch die steinige Landschaft. Wenn die Sonne über dem Krater untergeht, legt sich eine fast mystische Stimmung über die Kleinstadt.
»Die Natur spielt bei uns die Hauptrolle. Sie gibt das Tempo vor – und nicht wir Menschen«, betont Dwora. Viele müssten sich daran erst einmal gewöhnen, doch dann tue die Ruhe und Entspanntheit der Gegend den meisten gut. »Ich persönlich kann mir überhaupt nicht mehr vorstellen, woanders zu leben.«
Eine Pause vom Hamsterrad gönnt sich auch Noah Gatt, die für ein Hightech-Unternehmen in Tel Aviv tätig ist. »Mein Job ist stressig, ich arbeite oft mehr als 50 Stunden in der Woche und muss immer alles geben. Ab und zu brauche ich da eine Pause, um runterzukommen.« Mindestens zweimal im Jahr besinnt sich Gatt in drei- bis viertägigen Yogakursen in der Wüste auf das, »was wirklich zählt«, wie sie sagt. »Die Wüste gibt mir die Ausgeglichenheit zurück, die ich im extrem hektischen Alltag des Zentrums schnell verlieren kann. Diese Gegend hat einen sehr beruhigenden und heilsamen Einfluss auf mich.«
Meditation Viele sehen die Wüstenumgebung als spirituelle Inspirationsquelle an. Yoga- und Meditationskurse, Selbstfindungsseminare und Ähnliches haben Hochkonjunktur. Doch es geht nicht nur auf dem Esoterik-Trip gen Süden. Auch Sportbegeisterte und Umweltinteressierte zieht es in die steinige Natur.
Angebote für einen Kurztrip gibt es unzählige. Man kann die Beduinen besuchen und ihre Lebensweise kennenlernen oder von einer Ausgrabung zur nächsten reisen. Auch Weinkellereien sind in der Wüste zu finden. Viele Negev-Bewohner haben sich auf Tourismus spezialisiert und bieten ihren Besuchern trotz der Kargheit der Natur Komfort und das gewisse Extra. Wie die Desert-Shade-Farm am Rande des Ramonkraters beispielsweise, die sich auf Fahrrad- und Kameltouren spezialisiert hat. Oder Carmey Avdat an der Weinroute, die zum Probieren ihres selbst gekelterten Tropfens einlädt.
Auch die Wüstenlandwirte setzen auf Tourismus. Immer mehr Einsiedlerfarmen, die größtenteils Ziegen halten, tauchen inmitten der Landschaft auf. Dazu gehört die Naot-Farm auf dem Weg nach Mizpe Ramon oder die Anlage der Familie Kornmehl, die Reisenden in ihrem kleinen Restaurant die Ernte ihrer harten Arbeit anbietet. Mit Blick auf die Wüstenwelt lässt man sich auf der Terrasse Köstlichkeiten wie Ziegenkäsegratin mit Cherrytomaten aus Eigenanbau schmecken, während im Hintergrund die Ziegen meckern.
Als Unterkünfte angeboten werden rustikale Hütten, elegante Zimmer mit privatem Pool und sogar japanische Häuser, ganz nach der Feng-Shui-Methode eingerichtet. In indianischen Tipis kann man in der Desert Olive Farm der Familie Zarfati übernachten. Ganz auf ökologisch bewussten Tourismus setzen die »Ecolodges« von Desert Days im Arava-Tal. Die Hütten sind aus Lehmziegeln und Stroh von den Bewohnern per Hand errichtet worden. Von jedem Häuschen aus können die Gäste ihren Blick über die grandiose Schönheit der Wüste schweifen lassen.
Zahlen Die Angaben der Natur- und Nationalparkbehörde sprechen eine eindeutige Sprache. Während die Besucherzahlen im Norden zwischen 2012 und 2013 nahezu unverändert blieben, gab es im Süden satte Zuwächse: 18 Prozent mehr Touristen sahen sich im vergangenen Jahr die Nabatäer-Ausgrabung Mamschit an, sieben Prozent zusätzliche Gäste kamen nach Avdat. Die Eschkolregion sah fast ein Drittel mehr Besucher.
Doch da die weite Natur im Negev zum größten Teil keine Eingangstore und Kassenhäuschen hat, können die Zahlen der Tagestouristen, die durch die Landschaft wandern, radfahren oder einfach nur einmal tief durchatmen wollen, lediglich geschätzt werden.
Der Leiter der Touristenvereinigung Har Hanegev, Efi Pery, sieht trotzdem einen klaren Trend: »Es hat einige Zeit gedauert, doch viele Israelis sehen jetzt, dass die einzig wahrhaft großartige Natur in der Wüste zu finden ist. Hier gibt es freie Flächen und eine Ruhe, die sonst nirgendwo anders mehr existiert.«
Viele der Besucher seien Touristen, die die Umgebung aktiv erkunden wollen. Sei es bei Jeeptouren, hoch zu Ross oder Kamel, per Mountainbike oder per Pedes mit dem Rucksack auf dem Rücken. Die Öffnung von weiteren Teilen des Israel-Trails für Radfahrer werde zusätzliche Besucher bringen, ist Pery sicher. »Auch aus dem Ausland.« Für Wanderer durchzieht der Pfad bereits das gesamte Land vom nördlichsten Punkt bis nach Eilat im Süden.
Planetarium Auch Astronomiefans kommen in der Wüste voll auf ihre Kosten. Da es hier »keine Lichtverschmutzung« gibt, wie Pery sagt, sieht man hier den dunkelsten Himmel Israels, und die Sterne flimmern mit voller Kraft am Firmament. Private Sternentouren werden in Mizpe Ramon von »Starman« Ira Machefsky angeboten. Bei klarem Himmel lädt er jeden Abend ein ins »Planetarium der Natur«. Nach Angaben von Efi Pery soll in den kommenden Jahren ein spezielles Observatorium für Besucher der Negevwüste gebaut werden.
Trotz vieler Pläne, meint Pery, sei es wichtig, die Natur der Wüste zu schützen und die Besonderheit der Gegend zu wahren. »Darum setzen wir nicht einfach nur auf Tourimus – sondern auf umweltbewussten Tourismus.«