Mit mehr als 10.000 Neuinfektionen täglich hat Israel diese Woche ein Jahreshoch erreicht und mittlerweile auch im weltweiten Vergleich eine der höchsten Infektionsraten gemessen an der Zahl der Einwohner. Zwar wird mittlerweile auch wieder mehr getestet als noch vor ein paar Wochen, doch jüngst fielen 6,6 Prozent aller Tests positiv aus – zuletzt war dies im Februar der Fall.
ZAHLEN Bei mehr als einer Million Israelis, einem Neuntel der Gesamtbevölkerung, wurde seit Beginn der Pandemie Anfang 2020 eine Infektion mit dem Sars-CoV2-Virus festgestellt – und das, obwohl das Land im Rekordtempo und als erstes weltweit vier Fünftel seiner erwachsenen Bevölkerung geimpft hatte. Das wirft vor allem eine Frage auf: Wie gut funktioniert die Impfung wirklich?
Seit gut drei Wochen läuft die Kampagne für die Drittimpfung. Mittlerweile können sich auch Israelis über 40 die dritte Spritze mit dem mRNA-Vakzin von BioNTech/Pfizer setzen lassen, und am Donnerstag sogar schon Bürger älter als 30. Mehr als eine Million Menschen sind dem Aufruf bereits gefolgt.
Erste Zahlen, die das Gesundheitsministerium in Jerusalem nun vorlegte, belegen den Nutzen des Boosters – auch gegen die aktuell dominante Delta-Variante des Coronavirus. In den letzten zehn Tagen hat sich der Erreger in der Altersgruppe der über 60-Jährigen demnach nicht weiter ausgebreitet, sondern ist sogar zurückgegangen. Hier ist bereits jeder Zweite zum dritten Mal gegen das Coronavirus geimpft.
ALTERSKOHORTE Die Ausbreitungsrate ist den Erkenntnissen zufolge bei diesen Menschen seit dem 13. August wieder rückläufig - und das stetig. Wissenschaftler sagten der Nachrichtenagentur »Reuters«, dass es zwar auch andere mögliche Faktoren für diesen Rückgang gebe, die Auffrischungsimpfungen aber Einfluss auf die Zahl der Infektionen habe.
Doron Gazit von der Hebräischen Universität in Jerusalem sagte, man führe dies neben der Impfauffrischung auch auf eine vorsichtigere Verhaltensweise älterer Menschen in jüngster Zeit zurück.
Bei den über 70-Jährigen ist die Infektionsrate aktuell sieben Mal so hoch wie bei geimpften Patienten, in der Altersgruppe der 50- bis 70-Jährigen liegt das Infektionsrisiko der Impfskeptiker immerhin noch um vier Mal höher als bei den vollständig Geimpften. Gazit glaubt, dass dieser Abstand weiter wachsen wird, solange die Infektionen anstiegen.
Neben den Impfboostern – darin sind sich die meisten Experten in Israel einig – werden aber noch andere Maßnahmen erforderlich sein, um die Pandemie unter Kontrolle zu halten. Noch ist nicht ausgemacht, ob ein vierter Lockdown verhindert werden kann. Gesundheitsminister Nitzan Horowitz sagte Anfang der Woche, neuerliche Beschränkungen könnten nur dann vermieden werden können, wenn schnell viele Menschen auch das dritte Mal geimpft würden.
VARIANTE Sorge macht den israelischen Gesundheitsexperten aber auch eine Virusmutation mit dem Namen AY3. Der Subtyp der aktuell grassierenden Delta-Variante ist gegen Antikörper resistenter. »Wir haben gesehen, dass der Stamm im Mai in den USA so gut wie nicht existierte, und jetzt macht er etwa 13 Prozent aller Fälle im ganzen Land aus, in einigen Einzelstaaten wie Mississippi und Missouri sogar 43 bis 45 Prozent«, wurde der Leiter des Immuntherapielabors an der Bar-Ilan-Universität, Cyrille Cohen, von der »Jerusalem Post« zitiert.
Man müsse daher »genau beobachten was passiert«, so Cohen weiter. »Mit dem ursprünglichen Delta waren wir in einer ähnlichen Situation: Es war bereits im April in Israel, aber es blieb inaktiv, bis im Juni plötzlich Fälle auftraten.« mth