»Oh je, man schießt auf uns!«, waren am Montag Said Faschafsches letzte Worte, bevor eine Explosion ihn in den Tod riss. Der 36 Jahre alte Mann aus Haifa sprach gerade per Handy mit seinem Bruder, um sich die Zeit auf dem Weg zur Arbeit an Israels Südgrenze zu vertreiben. Da zündete ein Terrorkommando, bestehend aus drei Eindringlingen aus dem Sinai, einen Sprengsatz direkt neben seinem Wagen. Erschrocken riss er das Lenkrad um und fuhr in einen Abgrund. Sein Wagen überschlug sich, Said war tot. Zwei anderen Arbeitern im Wagen hinter ihm gelang die Flucht.
Nach wenigen Minuten traf eine Kolonne der Golani-Brigade am Attentatsort 30 Kilometer südlich des Gazastreifens ein und nahm den Kampf mit den Angreifern auf: »Die drei Terroristen waren sehr gut ausgerüstet«, sagte Armeesprecherin Oberst Avital Leibovicz. »Sie waren mit Maschinenpistolen, Helmen, Uniformen, Splitterschutzwesten, Granaten, Panzerabwehrraketen und Sprengsätzen ausgestattet. Das waren keine normalen Terroristen – sie müssen eine gute militärische Ausbildung haben.«
Im Feuergefecht traf ein israelischer Soldat einen Sprengsatz auf dem Rücken eines der Terroristen. Der explodierte und tötete zwei Angreifer. Das dritte Mitglied der Terrorzelle entkam über die Grenze in den Sinai. Der Angriff macht eines klar: Israels erste Staatsgrenze, an der Frieden herrschte, ist zu einer Gefahrenzone geworden. Seither ist die Situation eskaliert. Islamisten feuerten seit Dienstag Dutzende Raketen in Richtung Israel. Mehrere Menschen wurden verletzt, am Mittwoch blieben die meisten Grundschulen im Süden Israels geschlossen.
Grenze Faschafsche war einer von rund 1.500 Bauarbeitern, die derzeit im Auftrag des Verteidigungsministeriums einen neuen Grenzzaun zwischen Israel und dem Sinai errichten. Ein schweres Attentat, bei dem im vergangenen August ebenfalls ein Terrorkommando aus dem Sinai eingedrungen war und fünf Israelis tötete, war damals der Anlass für den Beschluss, entlang der 220 Kilometer langen Grenze eine Barriere zu errichten.
Seither wurden bereits 180 Kilometer Grenze mit einem fünf Meter hohen doppelten Stacheldrahtzaun befestigt. Zusätzlich installierte die Armee Radar- und Frühwarnanlagen und gründete neue Einheiten, die Israels Süden künftig besser absichern sollen. Am Montag wurden sogar erstmals seit Abschluss des Friedensvertrags mit Ägypten wieder Panzer entlang der Grenze aufgestellt.
Sicherheitsprobleme im Sinai sind ein bekanntes Phänomen. Schon vor dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak im Januar 2011 war in der Pufferzone zwischen Ägypten und Israel ein Verlust staatlicher Autorität erkennbar. Der Schmuggel von Waffen, Rauschgift und Menschen florierte.
Doch seit der Revolution in Ägypten implodierte die Zentralgewalt völlig: Ganze Landstriche sind für ägyptische Sicherheitskräfte nicht mehr zugänglich, Polizeistationen wurden von Banden erobert, Stützpunkte der Internationalen Beobachtermission, die die Einhaltung des Friedensvertrags überwacht, belagert. Islamisten und Beduinen haben autonome Zonen eingerichtet, in denen sich auch die radikalislamische Hamas aus dem Gazastreifen wohlfühlt.
Laut Angaben israelischer Militärs ist die Hamas dazu übergegangen, einen großen Teil ihres Raketenarsenals im Sinai aufzubewahren. Am Tag vor dem Terrorangriff fanden ägyptische Sicherheitskräfte im Sinai ein Depot mit 200 Katjuscha- und Flugabwehrraketen, von denen die meisten aus Libyen stammten. Davor hatte eine noch nicht identifizierte Terrorzelle zwei Katjuscharaketen auf israelisches Staatsgebiet abgeschossen, dabei kam aber niemand zu Schaden.
Vakuum Der Sinai, so sagte Israels stellvertretender Generalstabchef Yair Naveh vergangene Woche, ist »von einer demilitarisierten Zone zu einer Terrorzone geworden«. Und darin liegt das Problem: Eine Bedrohung durch Terroristen und Raketen an Israels Grenzen ist nichts Neues. Doch während die Armee an den Grenzen zum Gazastreifen, Libanon und Syrien Abschreckung herstellen kann, sind ihr im Sinai die Hände gebunden. Andernorts kann Israel Präventiv- oder Vergeltungsschläge vornehmen, wie kurz nach dem Anschlag am Montag, als die Luftwaffe zwei Mitglieder des Islamischen Dschihad in Gaza tötete, nachdem diese wiederholt auf israelische Bauern jenseits der Grenze geschossen hatten.
Ägyptens Grenzen aber sind für Gewalt vorerst nur in eine Richtung durchlässig, denn es bleibt undenkbar, die Souveränität Ägyptens anzutasten. Der Sinai, schrieb die Jerusalem Post, sei wie der Gazastreifen, nur schlimmer. Noch ist die Gefahr aus dem Sinai nicht groß genug, um eine Gefährdung des strategisch wichtigen Friedensvertrags mit Kairo zu riskieren. Doch im Machtvakuum der Halbinsel können Terroristen zunehmend frei agieren.
Prioritäten Israels Verteidigungsminister Ehud Barak forderte Ägyptens neuen Präsidenten auf, »die Verantwortung für Ägyptens internationale Verpflichtungen wahrzunehmen, einschließlich des Friedensvertrags mit Israel, und sicherzustellen, dass die notwendigen Maßnahmen im Sinai getroffen werden, um derartige Attacken zu verhindern«. Doch angesichts grassierender Armut und innenpolitischer Spannungen hat Kairo vorerst andere Prioritäten als Israels Grenzsicherheit.
Der Befehlshaber an Israels Südfront, Brigadegeneral Tal Hermoni, sprach nach dem Attentat noch ausdrücklich von einer »guten Zusammenarbeit« mit den Ägyptern. Doch nach dem Wahlsieg Muhammad Mursis, dem Kandidaten der Muslimbrüder (MB), könnte diese Kooperation enden. Die MB bekennen sich offen zur Hamas und deren bewaffnetem Kampf gegen Israel.
Auf einer Wahlveranstaltung vor wenigen Tagen erklärte ein Sprecher der MB in Anwesenheit von Mursi: »Unsere Hauptstadt wird nicht Mekka oder Medina, sondern Jerusalem sein. Millionen von Märtyrern marschieren auf die Stadt zu!« Die ganze Welt solle wissen, dass »unser Ziel Jerusalem ist. Wir werden in Jerusalem beten, und wenn nicht, auf ihren Ruinen als Märtyrer sterben.« Zwar wird Mursi wohl kaum in naher Zukunft einen Krieg gegen Israel vom Zaun brechen. In Anbetracht der Aussagen seiner Partei könnte Mursi jedoch versucht sein, durch das bloße Unterlassen entschlossener Einsätze im Sinai dafür zu sorgen, dass Israels Südgrenze unsicher bleibt.