Dies war sein längster Kampf. Und sogar in seinen letzten Tagen habe er »gekämpft wie ein Löwe«, bescheinigten ihm die Ärzte im Scheba-Krankenhaus. Jetzt hat er ihn verloren. Nach acht Jahren im Koma starb Ariel Scharon, Israels elfter Premierminister, am Samstag mit 85 Jahren in Tel Aviv.
Im Januar 2006 hatte der damalige Regierungschef Scharon während seiner Amtszeit (2001 bis 2006) einen zweiten schweren Schlaganfall innerhalb weniger Tage erlitten, von dem er sich nie wieder erholen sollte. Stundenlang operierten ihn die medizinischen Koryphäen des Landes, doch »Arik«, wie ihn seine Freunde und politischen Weggefährten nannten, wachte nicht mehr auf.
Obwohl im Koma, war Scharons Gesundheitszustand jahrelang stabil gewesen. Erst vor wenigen Wochen begann sich seine Lage zu verschlimmern. Seine Nieren arbeiteten nicht mehr, das anschließende multiple Organversagen führte zu seinem Tod. Bis zuletzt hatten seine Söhne Omri und Gilad an seinem Bett gewacht. Dutzende von Freunden und einstigen Kollegen kamen, um sich von ihm zu verabschieden. Auch der US-Spion Jonathan Pollard hätte dabei sein wollen. Dafür, dass sich Scharon zeitlebens für seine Freilassung eingesetzt hatte, habe er ihm persönlich danken wollen. Es war ihm nicht vergönnt.
Lebensweg Geboren am 26. Februar 1928 im Moschaw Kfar Malal als Ariel Scheinerman, lernte der Junge früh, was es bedeutet zu kämpfen. In seinem kollektiv geprägten Heimatdorf, in dem er seine Jugend verbrachte, war nicht alles Friede und Freude. Seine Eltern legten sich oft und gern mit der sozialistischen Verwaltung des Moschaws an. »Die Scharons gegen den Rest der Welt« sollte sich wie ein roter Faden durch sein Leben ziehen.
Dass er sich voller Leidenschaft – und nicht selten auch voller Rücksichtslosigkeit – für das einsetzte, woran er glaubte, war schon früh in seiner militärischen Karriere zu spüren. Scharon kletterte unaufhaltsam die Armeelaufbahn hinauf und war bald General mit Entscheidungsgewalt.
Viele seiner gewagten Manöver in den Kriegen seit 1948 machten ihn zu einer Ikone des jungen jüdischen Staates. Sein Foto mit großem Kopfverband aus dem Jom-Kippur-Krieg ging um die Welt. »Arik« galt als furchtloser Kämpfer, der, wenn es seiner Meinung nach sein musste, auch Befehle verweigerte und seine eigene Taktik aufstellte.
Politik Nach seinem militärischen Ruhestand trat er dem rechtsgerichteten Likud-Block bei und hielt von 1977 bis 1992 sowie 1996 bis 1999 verschiedene Ministerposten. Doch besonders der des Verteidigungsministers sollte in die Geschichtsbücher eingehen. Als jener war er oberster Befehlshaber während des Libanonkrieges von 1982, in dessen Verlauf christliche libanesische Phalangisten-Milizen schreckliche Massaker an der Zivilbevölkerung der palästinensischen Flüchtlingslager Sabra und Schatila anrichteten.
Scharon wurde ein Jahr darauf von der Kahan-Kommission als »persönlich verantwortlich« befunden, den Eintritt der Milizen nicht verhindert zu haben. Vor allem dieses Urteil war es, dass Scharons Ansehen in der Welt bestimmte. Internationale Medien titulierten ihn als »Schlächter von Beirut«. Doch auch seine intensive Bebauung palästinensischen Landes mit jüdischen Siedlungen trug nicht dazu bei, sein Ansehen zu verbessern. Scharon schien das nicht zu scheren. Er ließ sich von der Siedlerbewegung als »König von Israel« feiern und war gleichzeitig bei den Linken im Land als extremer Hardliner verschrien.
Gaza-Rückzug Doch ein Ideologe war Scharon nicht. Obwohl er ein extremes Durchsetzungsvermögen hatte und stets seinen eigenen Weg ging, war er gleichsam durch und durch Pragmatiker. Wenn es dem Zweck diente, konnte er eine politische 180-Grad-Wende vollführen, ohne mit der Wimper zu zucken. Er war es, der die israelischen Bauten auf dem Sinai abreißen ließ und den Wüstenstreifen an Ägypten zurückgab. »Weil es schlicht notwendig für den Frieden ist«, erklärte er damals. Ebenso vollzog er als Premierminister einen für viele unerwarteten unilateralen Rückzug aus dem Gazastreifen. Nach 38 Jahren der militärischen Kontrolle in dem Gebiet hoffte er damit auf eine neue Ausgangsposition in den Verhandlungen mit den Palästinensern.
Bei den Linken in Israel stieg er dafür auf der Beliebtheitsskala von null auf zehn, von seiner eigenen Partei Likud blies ihm anschließend heftigster Gegenwind ins Gesicht. Doch eisige Luftzüge waren nichts, was Scharon hätte stoppen können. Wie immer machte er sein Ding. Prompt gründete er eine eigene Partei, die Kadima. Unter anderem holte er Zipi Livni und Ehud Olmert mit ins Boot. Olmert, zuvor Bürgermeister von Jerusalem, wurde nach der Erkrankung Scharons Nachfolger auf dem Sessel des Premierministers.
Familie So sehr seine politische Laufbahn auch Schlagzeilen schrieb, so war er gleichzeitig darauf bedacht, seine Privatsphäre zu schützen. Am liebsten hielt er sich auf seiner Farm in der Negevwüste auf und kümmerte sich um die Tiere. Schon früh hatte Scharon schwere Schicksalsschläge zu verkraften. Seine erste Frau Margalit starb 1962 bei einem Autounfall, ihr gemeinsamer Sohn Gur wurde beim Spielen versehentlich von einem Freund erschossen. Nach Margalits Tod heiratete Scharon ihre jüngere Schwester Lily und hatte mit ihr die Söhne Omri und Gilad. Lily starb im Jahr 2000 an Krebs.
Der für seine Neigung zu feinem Essen und sein Übergewicht bekannte Scharon sagte einmal: »Ich liebe das Leben, ich liebe alles daran – und tatsächlich liebe ich auch das Essen«.
Trotz aller Widersprüche in seinem Leben wurde Ariel Scharon während der Amtszeit als Regierungschef von seinen Landsleuten zu einem der bedeutendsten Israelis gekürt. Eine Umfrage der Zeitung Yedioth Ahronoth bescheinigte dem Staatsmann im Jahre 2005, zu den »zehn wichtigsten Israelis aller Zeiten« zu gehören. Weder schärfste Kritik aus dem In- und Ausland noch Widerstände in der eigenen Partei hielten Scharon jemals auf. Erst das Schicksal bremste den »Bulldozer Israels« schließlich für immer aus.