Ob er wohl sagen kann, dass er Deutscher ist? Als Michael Krupp 1959 als Volontär in den Kibbuz Tirat Zvi im Jordantal kam, war er sich da nicht so sicher. Deutsche Besucher waren damals in Israel eine Rarität, Visa gab es damals genauso wenig wie diplomatische Beziehungen. Deutsche konnten nur auf Einladung einreisen.
Heute, knapp 60 Jahre später, sitzt Michael Krupp mit einer kleinen Gruppe deutscher Stipendiaten in Jerusalem zusammen, die ganz selbstverständlich hier ein Auslandsjahr verbringen – mit Studentenvisum. Michael Krupp erzählt von den ersten Annäherungsversuchen, den deutsch-israelischen und den christlich-jüdischen. Diese Beziehungen hat er zu seiner Lebensaufgabe gemacht – er, ein Theologe, Judaist und Pionier des interreligiösen Dialogs.
Verständigung Es ist das erste Stipendiatentreffen im Leo-Baeck-Institut in Jerusalem, initiiert vom Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES). Denn eines der Ziele von ELES ist die interreligiöse Verständigung. So organisiert das Studienwerk beispielsweise im Rahmen des Programms »Dialogperspektiven« Treffen zwischen Stipendiaten der verschiedenen Begabtenförderungswerke in Deutschland.
Und nun auch in Israel. Einer der Stipendiaten, Liad Levy-Mousan, 32, ein Israeli mit deutsch-schweizerischen Wurzeln, der in Jerusalem Jüdische Philoso- phie studiert, kam in einem Seminar über deutsch-jüdische Polemik mit einer christlichen Kommilitonin ins Gespräch: der 23-jährigen Theologiestudentin Elisa Koch. Sie hatten die Idee, die Studenten zusammenzubringen: Deutsche und Israelis, Christen und Juden. Allesamt Stipendiaten eines der 13 Begabtenförderungswerke, die das deutsche Bildungsministerium unterstützt. Die Teilnehmerzahl ist in diesem Jahr zwar noch gering. Doch das soll erst der Anfang gewesen sein. Liad Levy-Mousan: »Wir hoffen, einen Austausch dieser Art im nächsten Jahr fortzusetzen.«
Gemeinsamkeiten Das Leo-Baeck-Institut in Jerusalem als Treffpunkt war dabei Absicht. »Schließlich haben wir einige ideelle Gemeinsamkeiten. Stichwort ›cultural heritage‹. Auch hier geht es darum, sich mit deutsch-jüdischer Geschichte auseinanderzusetzen«, so Liad Levy-Mousan. Gekommen sind deshalb auch der Vorsitzende des Leo-Baeck-Instituts und Professor für moderne jüdische Geschichte an der Bar-Ilan-Universität, Schmuel Feiner, sowie die Direktorin Irene Aue-Ben David.
Und kaum einer war an diesem ersten Abend mit dem Thema »Migration mal anders, deutsche Migrant_innen in Israel« besser als Redner geeignet als Michael Krupp. Er ist der lebendige Beweis der deutsch-israelischen und der christlich-jüdischen Annäherung.
Krupp hat seine deutsche Identität 1959 dann doch nicht verheimlicht, sondern hat das Gespräch gesucht, auch wenn das damals nicht leicht war. »Die Deutschen, die im Kibbuz lebten, kannten ja auch gute Deutsche. Aber die Polen kannten nur deutsche SS-Offiziere.« Für ihn war diese erste Reise aber auch der Versuch, als Pfarrerssohn und späterer Theologiestudent dem Judentum näherzukommen. »Es war ein religiöser Kibbuz, und ich habe gesehen: Die Leute waren ganz fröhlich dort, nicht so verstockt, wie es immer geheißen hatte.«
Austausch Während seines Studiums zurück in Deutschland setzte er sich in politisch linken Studentengruppen für Israel ein. In den 70ern ging er dann, bereits als Theologe, zurück nach Israel und baute interreligiöse Brücken, leitete das Büro von Aktion Sühnezeichen und gründete zusammen mit anderen »Studium in Israel«, ein Programm, das deutsche Theologiestudenten für ein Auslandsjahr nach Jerusalem bringt, damit sie hier das Judentum kennenlernen.
Nichts liegt Michael Krupp ferner als antijüdische, ja antisemitische Tendenzen in der christlichen Kirche. Die hat er stets zu bekämpfen versucht. Dem Judentum ist er dabei auch ganz persönlich nähergekommen: Er hat eine Jüdin algerischer Herkunft geheiratet, mit der er vier Kinder hat. Mit den Jungen ging er damals in die Synagoge, selbst ist er aber überzeugter Christ geblieben und nicht konvertiert. »Schließlich will ich ja meine Kirche missionieren. Das wäre dann nicht mehr gegangen.«
Michael Krupp hat seine Fühler immer in alle Richtungen ausgestreckt: Ein Sohn feierte seine Barmizwa in der jemenitischen Gemeinde, eine Tochter die Batmizwa bei den Reformjuden. »Und weil ich alte Handschriften sammle, habe ich auch gute Kontakte zu den Ultraorthodoxen«, erzählt er. »Einmal rief mich ein ultraorthodoxer Bekannter spätabends an und meinte, er habe jetzt mal das Neue Testament gelesen.« Ganz erstaunt sei der gewesen – Gotteslästerung konnte er darin keine erkennen. »Eine gewisse Neugier gibt es eben auch bei den Ultraorthodoxen.«
Wie er finden auch immer wieder andere Deutsche den Weg nach Israel – für ein Auslandsjahr oder für länger. Der derzeitige Jahrgang der Theologiestudenten von »Studieren in Israel« steckt gerade im letzten Monat, im Juli geht es zurück nach Deutschland. Die Anziehungskraft dieses Landes haben auch sie zu spüren bekommen. Stipendiatin Elisa Koch: »Jeder von uns hat zumindest wohl mal kurz mit dem Gedanken gespielt: Gehen? Bleiben? Oder zurückkommen?«