Krankenhäuser

Wenn Patienten ausrasten

Eingangsbereich des Ichilov-Krankenhauses in Tel Aviv Foto: Franziska Knupper

Bewaffnet mit Funkgerät, Headset und Holster geht Asi Zanzuri schnellen Schrittes in die Intensivstation. Ein Patient habe angefangen zu schreien, berichtet eine blecherne Stimme über den Beeper. Es ist zehn Uhr morgens, und es ist bereits der fünfte Einsatz für Zanzuri. Er ist Sicherheitschef in der Notaufnahme des Ichilov-Krankenhauses im Zentrum von Tel Aviv und hat viel zu tun.

»Ich greife immer sofort ein – nach Möglichkeit, bevor überhaupt etwas passiert«, sagt er im Gehen. Zwischen der Arbeit eines Security Guard am Krankenhaus und der eines Türstehers im Nachtklub liegen meilenweite Unterschiede, erklärt Zanzuri. »Du musst sensibel sein, du musst vermitteln. Bei vielen Menschen hier liegen die Nerven blank. Da ist man gleichzeitig Psychologe.«

Direkt am Eingang des Ichilov-Krankenhauses befindet sich eine hauseigene Polizeistation.

Der Schlüsselbund an der Hüfte rasselt bei jedem Schritt, als Zanzuri sich seinen Weg zum Untersuchungszimmer bahnt, um dem Arzt in Not zu helfen. Drei Sicherheitsmänner sind zu jeder Tageszeit in der Notaufnahme im Einsatz. Direkt am Eingang befindet sich zudem eine hauseigene Polizeistation. Das sei auch nötig, sagt Zanzuri. Bis zu 500 neue Patienten gehen jeden Tag in der Notaufnahme des Ichilov-Krankenhauses ein und aus; viele müssen stundenlang auf eine Behandlung warten.

Ungeduld »Manchmal dauert es mehr als einen Tag, bis ein reguläres Bett frei wird. Sowohl Patienten als auch die Angehörigen werden dann ungeduldig und geben dem Personal die Schuld an der Situation«, erzählt Karin Heller, Unfallchirurgin an der Ambulanz. Verbale Angriffe und Beleidigungen ist sie daher schon gewöhnt. Allerdings befindet sie sich seit Kurzem zum ersten Mal in einem Rechtsstreit mit der Familie einer ehemaligen Patientin. »Ich wurde das erste Mal ernsthaft tätlich angegriffen und habe Kratzer und Prellungen davongetragen«, berichtet Heller. Eine ältere Dame musste über 24 Stunden in der Notaufnahme warten; schließlich verlor die Enkelin die Geduld, stürmte hinter die Rezeption, warf Hellers Computer durch die Luft und schlug auf die Ärztin ein.

Dass derartige Angriffe auf Gesundheits­personal keine Einzelfälle in Israel sind, wurde der Öffentlichkeit spätestens durch die Proteste im vergangenen Sommer klar. Überall im Land waren Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte auf die Straße gegangen, um gegen Gewalt im Gesundheitssystem zu protestieren. Auslöser war unter anderem ein Bericht des israelischen Gesundheitsministeriums über Vorfälle aus dem Vorjahr. Demnach gibt es in Israel durchschnittlich mehr als 3000 Übergriffe auf Pflegepersonal pro Jahr; lediglich rund elf Prozent dieser Vorfälle werden dabei polizeilich gemeldet und wiederum nur ein Bruchteil davon vor Gericht gebracht.

In Israel gibt es durchschnittlich mehr als 3000 Übergriffe auf Pflegepersonal pro Jahr.

Das Thema hatte bereits im März 2017 an Bedeutung gewonnen, nachdem ein Mann die Krankenschwester Tova Kararo in einer Klinik in Cholon anzündete und tötete. Laut der Anklageschrift war der Patient wütend gewesen, weil die Grippeimpfung, die die Pflegerin ihm verabreicht hatte, ihm nicht bekam. Nur einen Monat später wurde eine 65-jährige Krankenschwester in Beer Yaakov von einem Patienten mit einem Messer verletzt. Der 31-jährige Asylsuchende Oshar Bakhit stach auf die Pflegerin Rachel Kovo ein, als das Krankenhaus ihn nicht erneut zur Behandlung zulassen wollte.

»Solange nicht sofort Maßnahmen ergriffen werden, um diese unerträgliche Last zu lindern und das Gesundheitspersonal zu schützen, werden Krankenschwestern den Kampf nicht aufgeben«, sagte die Vorsitzende der Gewerkschaft, Ilana Cohen, kurz vor der Streikaktion im August 2018. »Es ist nicht hinnehmbar, dass die Regierung dabei zuschaut, wie sich unsere Gesundheitseinrichtungen in Kriegsgebiete verwandeln.«

Trittbrettfahrer Doch hat Ilana Cohen recht behalten? Wurde der Kampf aufgegeben, oder hat sich die Situation – knapp ein Jahr nach den Protesten – mittlerweile verbessert? »Ich habe da meine Zweifel«, wirft Asi Zanzuri ein. »Im Gegenteil. Ich habe eigentlich das Gefühl, dass es noch zugenommen hat. Als wären seitdem eine Reihe Nachahmer und Trittbrettfahrer hinzugekommen, die der Meinung sind, dass ein solches Verhalten in Kliniken nun üblich ist.«

Dabei hatte das israelische Gesundheitsministerium schon Anfang 2018 einen Katalog an Empfehlungen für weitere Sicherheitsmaßnahmen herausgegeben, um die Situation an Krankenhäusern zu verbessern und Gewalt einzudämmen. Die Vorschläge reichen von weiteren Polizisten vor Ort, Notfallknöpfen für Pfleger, zusätzlichen Kameras in den öffentlichen Bereichen bis hin zu obligatorischen Selbstverteidigungsworkshops für das Personal. Bisher sei nichts davon in die Tat umgesetzt worden, so Heller aus der Unfallchirurgie. Zumindest nicht in Ichilov, dem größten Krankenhaus des Landes. Und soll das wirklich die Lösung sein?

Die Proteste vom vergangenen Sommer haben wenig geändert.

»Ich glaube, dass keiner dieser Vorschläge das Problem wirklich bei der Wurzel packt«, meint Avi Shushan, verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit am Ichilov-Krankenhaus. Auch von der Idee einer härteren Bestrafung für die Patienten – ebenfalls eine Idee aus dem Katalog des Gesundheitsministeriums – hält er deswegen nichts. »Ich weigere mich zu glauben, dass Menschen in eine Klinik kommen, um einen Streit anzufangen oder sich zu prügeln. Wir sind unterbesetzt, die Ausstattung lässt oft zu wünschen übrig, die Aufenthaltsräume sind überfüllt, und die Patienten müssen häufig viel zu lange warten«, schließt er.

Derlei Mängel sind natürlich kein spezifisch israelisches Problem. Laut der WHO ist Gewalt gegen Gesundheitspersonal weltweit auf dem Vormarsch. Allerdings werden Vorfälle in Israel seltener dokumentiert und angezeigt als in anderen Ländern. Die Gründe dafür sind bislang noch unbekannt. Ob ein zentrales, simples Meldesystem dagegen helfen könnte? »Auch solche Empfehlungen bekämpfen lediglich die Symptome eines schlechten Systems«, findet Avi Shushan. »Neben einer besseren Finanzierung würde uns einzig und allein mehr öffentliches Bewusstsein helfen – für ein Problem, über das bislang einfach nicht genug gesprochen wird. Vielleicht verändert diese Aufmerksamkeit dann auch Schritt für Schritt das allgemeine Verhalten.«

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