Schon am Morgen standen die großen Fragen der Weltpolitik auf der Tagesordnung. Bundeskanzlerin Angela Merkel war heute im Rahmen ihres Abschiedsbesuchs in Israel beim Institut für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) eingeladen. Die Mitglieder dieser Denkfabrik erforschen die Sicherheitsbelange Israels in Bezug auf den Rest der Welt.
Professor Manuel Trajtenberg, Leiter des INSS, betonte die Bedeutung Angela Merkels für die Weltpolitik und bat sie – »sofern das nicht zu viel Chuzpe ist« –, auch nach dem Ende ihrer Amtszeit weiterhin eine Rolle zu spielen.
dank Zwar wisse sie noch nicht genau, was sie im Anschluss machen werde, allerdings ließ die Bundeskanzlerin durchblicken, dass sie Israel verbunden bleibe. Sie bedankte sich beim Institut für dessen »Arbeit und Gedanken«. »Das ist für politisch Agierende wichtig, weil es oft um Themen geht, die nicht immer sofort auf der Tagesordnung stehen.«
Auch bei diesem Gespräch gab Merkel ihrer Freude darüber Ausdruck, »dass sich vor dem Hintergrund des Zivilisationsbruchs der Schoa zwischen unseren beiden Ländern so vielfältige Beziehungen entwickeln konnten«. Dies sei ein einzigartiger Vertrauensbeweis gegenüber Deutschland.
»Es gibt heute viele Kinder, die wenig über den Holocaust wissen.«
Bundeskanzlerin Angela Merkel
Man müsse, vor allem in der Zeit von ansteigendem Antisemitismus und dem Verschwinden der Zeitzeugen, auf das Erinnern achten. Dafür sollten neue Formen des Gedenkens und kluge Konzepte für die nachfolgenden Generationen geschaffen werden. In Deutschland müssten an den Schulen entsprechende Bildungsinhalte vermittelt werden. »Es gibt heute viele Kinder, auch jene mit Migrationshintergrund, die wenig über den Holocaust wissen.«
UMFELD Aus didaktischer Sicht sei es ihrer Meinung nach das Beste, wenn Geschichte an einzelnen Beispielen und im eigenen Umfeld verdeutlicht wird, zum Beispiel durch den Besuch von Konzentrationslagern oder die Aktion Stolpersteine. »So können Kinder die Geschichte erforschen. Wer hat hier gelebt, was ist mit den Menschen geschehen?«
Die Schlussfolgerung für die heutige Zeit sei natürlich, dass sich Deutschland in ganz besonderer Weise der Sicherheit Israels verpflichtet fühle, führte die Kanzlerin aus.
Deshalb wolle sie noch einmal ihre Worte vor der Knesset im Jahr 2008 in Erinnerung rufen: »Die Sicherheit Israels ist für die Bundesrepublik Deutschland niemals verhandelbar. Sie ist Teil unserer Staatsräson.« Nichtsdestotrotz müsse sie immer wieder neu mit Leben erfüllt werden.
POLARISIERUNG Überall auf der Welt gebe es, vor allem durch das Internet, die Tendenz zur Polarisierung von Gesellschaften. »Das verstärkte Aufkommen von Antisemitismus und Hass allgemein sind eine große Gefahr für unsere Demokratien. Wir werden viel Kraft darauf verwenden müssen, uns den Anfängen zu erwehren.«
Ein weiteres Thema war China. Am Tag zuvor hatten israelische Wirtschaftsvertreter mit der Kanzlerin über die große Anzahl an Projekten zwischen Jerusalem und Peking gesprochen. »Es wäre wichtig, dass man weitere Gespräche diesbezüglich führt«, denn sie sei skeptisch, ob man bereits den richtigen Weg im Umgang mit Fragen zu Wirtschaft und Sicherheit gefunden habe.
»In Sachen Nachhaltigkeit kann Israel eines der interessantesten Länder sein«, bemerkte Angela Merkel.
Darüber hinaus wünsche sie sich eine noch stärkere Wirtschaftskooperation mit Israel bei Themen, die bislang nicht im Fokus standen, etwa beim Klimaschutz. »In Sachen Nachhaltigkeit kann Israel eines der interessantesten Länder sein.«
Auf die Frage, ob Europa Lösungsansätze parat habe, wie mit dem Iran umgegangen werden soll, betonte sie, dass die Zeit jetzt sehr dränge. »Der Iran verzögert die Verhandlungen und reichert währenddessen Uran an.« Obwohl sie die Schwächen des Abkommens durchaus gesehen habe, war und sei sie nach wie vor der Meinung, dass es zumindest ein Handlungsrahmen sei, um überhaupt in Verhandlungen mit Teheran zu treten.
BEWAFFNUNG Die gemeinsame Haltung sei, dass die nukleare Bewaffnung des Iran verhindert werden müsse. »Aber ich will ganz deutlich sagen, dass wir uns in einem sehr kritischen Prozess befinden. Wir müssen intensiv daran arbeiten.«
Ein positives Signal seien die Abraham-Abkommen zwischen Israel und den arabischen Staaten. »Je mehr Länder dem Iran zu verstehen geben, dass sie seine Aggression nicht teilen, desto besser ist es für die Region.« Man müsse auch andere bedeutende Akteure wie Russland, Ägypten und Jordanien einbeziehen.
»Wir müssen immer wieder miteinander reden.«
Angela Merkel
Zudem befinde man sich in einem international schwierigen Umfeld, in dem sich die Kräfteverhältnisse verschieben. Der Kampf gegen Terrorismus stehe weiter oben auf der Agenda, auch in der EU. »Israel befindet sich ja sehr nah an Europas Außengrenzen, und daher haben wir auch gemeinsame Sicherheitsinteressen.«
TÜRKEI Was sie den Ländern des Nahen Ostens für ihren Umgang mit der Türkei mitgeben wolle, fragte ein Mitglied des INSS. »Man darf die Türkei nicht ignorieren. Sie ist Mitglied der NATO, und die Bekämpfung der illegalen Migration nach Europa spielt für die EU eine zentrale Rolle.« Die Türkei habe große Ambitionen, und es gebe viele Enttäuschungen in den Beziehungen. Man müsse dennoch pragmatische Absprachen finden, selbst wenn die Einstellungen in großen Fragen auseinandergehen. »Wir müssen immer wieder miteinander reden.«
»Wir können uns unsere Gesprächspartner in der Welt nicht aussuchen«, resümierte die Kanzlerin. »Außenpolitik ist eine Mischung aus Werten und Interessen. Hier die richtige Bilanz zu finden, ist das große Thema.«