Es wurde eng für Benjamin Netanjahu. Der Jubel nach dem guten Abschneiden seiner Likud-Partei bei den Knessetwahlen im März wurde bald von Unkenrufen über das Chaos bei den Koalitionsverhandlungen übertönt. Am Donnerstag musste der designierte Ministerpräsident eine funktionsfähige Regierung präsentieren. Noch Mittwochvormittag schien keine Lösung in Sicht.
Italienische Verhältnisse in Israel? Weit davon entfernt schien Jerusalem in den vergangenen Wochen nicht zu sein. Denn das Geschacher um Posten und Positionen wird selbst von Offiziellen des Likud als »reine Erpressung« bezeichnet. Nach dem Rücktritt von Außenminister Avigdor Lieberman und dessen Mitteilung, er werde nicht Teil der Koalition sein, stand Netanjahu mit dem Rücken zur Wand. Denn seine Mehrheit im Kabinett schrumpfte ohne Liebermans Partei sechs Mandate auf 61 – das absolute Minimum für eine Regierung.
Andere haben die Koalitionsvereinbarung mit dem Likud bereits unterschrieben. Als erster Mosche Kahlon mit seiner Kulanu-Partei, der dafür den Chefsessel im Finanzministerium erhält, auf dem vorher Yair Lapid Platz genommen hatte. Auch die orthodoxe Schas-Partei und das Vereinte Tora-Judentum sind mit dabei. Damit hat Netanjahu 53 Sitze sicher. Doch für die nötigen 61 brauchte er das Ja von Naftali Bennetts Jüdischem Haus. Aber Bennett verhandelte hart.
Für seine acht Mandate, die er in die Koalition einbringt, wurde Bennett bereits ein übervoller politischer Präsentkorb versprochen: das Bildungs- und das Landwirtschaftsministerium sowie der Vizeposten bei der Verteidigung. Außerdem sollte ein Abgeordneter vom Jüdischen Haus dem prestigeträchtigen Knessetkomitee für Konstitution, Gesetz und Recht vorsitzen.
Einfluss Aber Bennett wollte noch mehr, auf den letzten Drücker stellte er sogar ein Ultimatum: Entweder seine Partei bekomme weitere einflussreiche Posten, oder er gehe in die Opposition. Am Mittwoch meldeten israelische Medien, dass die Bennett-Vertraute Ayelet Shaked das Justizministerium übernehmen soll. Zuvor hatte Bennett getönt, er bestehe darauf, Außenminister zu werden.
Für viele Israelis ist das allerdings eine Schreckensvorstellung. Denn während Lieberman zwar oft als polternder Elefant im diplomatischen Porzellanladen auffiel, so gilt Bennett als noch weniger geeignet für den Job des Chefdiplomaten. Seine radikalen Positionen in Sachen Palästinenserpolitik verschrecken die meisten Moderaten. Dem Verhältnis zu den Amerikanern und Europäern dürfte der Vorsitzende des Jüdischen Hauses im Außenministerium nicht gut bekommen.
Liebermans Rücktritt war ein Paukenschlag: Obwohl er so sehr darauf beharrt hatte, das Amt des Außenministers zu behalten, hielt der Vorsitzende der Rechtspartei Israel Beiteinu den »Opportunismus, den die kommende Regierung verkörpert«, für nicht vertretbar. Als Beispiele nannte er den Gesetzesentwurf, der den jüdischen Charakter des Staates festschreiben würde und der offensichtlich nicht mehr zur Debatte stehe. Auch habe niemand mehr die Absicht, die Hamas im Gazastreifen zu bekämpfen. Seine Partei könne aus der Opposition viel mehr erreichen, so Lieberman.
Doch auch die Ämterverteilung, die den ultraorthodoxen Parteien bei den Koalitionsverhandlungen zugesagt wurde, behagte Lieberman nicht. Vor allem jene Posten, die die streng religiöse sefardische Partei Schas erhalten soll: die Chefsitze im Wirtschafts- und im Religionsministerium. Damit, befürchtet Lieberman, würden alle Erleichterungen bei Konversionen revidiert und wieder auf den orthodoxen Standard festgeschrieben werden. Für die hauptsächlich russischstämmigen und nichtreligiösen Wähler von Israel Beiteinu wäre das ein herber Schlag.
Fiasko Israel Beiteinu hatte vor der Wahl ein Fiasko erlebt. Zeitweilig saßen mehr als 30 Parteimitglieder, darunter eine Vizeministerin und ein Ex-Minister, wegen Korruption im Gefängnis. Lieberman und Co. hatten daraufhin fünf der ihnen zuvor prognostizierten Sitze verloren. Die sechs Mandate, die die Partei dennoch erhielt, zählen zukünftig zur Opposition.
Netanjahus Ziel war klar: politisches Überleben um jeden Preis. Dafür verteilte er mehr als großzügige Geschenke an alle, die ihm dies garantieren könnten. Dieses Verhalten jedoch kritisierte die Opposition lautstark. Allen voran Yair Lapid (Jesch Atid), der jüngst in Tel Aviv zu einer Demonstration gegen das Koalitionsabkommen aufrief und es als Ausverkauf bezeichnete. Er befürchtet, dass sämtliche Gesetzesänderungen, die Charedim betreffen, wieder zurückgenommen werden. Was sehr wahrscheinlich ist.
Zu den Änderungen gehört etwa die Reform des Tal-Gesetzes, nach der auch ultraorthodoxe junge Männer Armeedienst leisten sollen. Lapid hatte seinerzeit hart darum gekämpft. »Netanjahu verkauft das Land. Ich werde vor Gericht ziehen«, rief er aufgebracht vom Podium der Menge zu.
Doch Netanjahu wird ihm wahrscheinlich gar nicht zugehört haben. Seine Aufmerksamkeit galt ganz der Koalitionsbildung. Dabei hatte er bereits bei Staatspräsident Reuven Rivlin um eine zweiwöchige Verlängerung gebeten, nachdem die ersten vier Wochen ohne konkretes Ergebnis verstrichen waren. Doch auch diese zweite Frist lief in der Nacht zu Donnerstag aus.