Nahost

Was hat Israels Angriff auf den Iran gebracht?

Eine Analyse von Michael Wolffsohn

von Michael Wolffsohn  01.11.2024 16:07 Uhr

Michael Wolffsohn Foto: picture alliance/dpa

Eine Analyse von Michael Wolffsohn

von Michael Wolffsohn  01.11.2024 16:07 Uhr

Natürlich: Unmittelbar, nachdem die israelische Luftwaffe Raketenfabriken im Iran angegriffen hat, melden sich die Besserwisser. In und außerhalb Israels.

Sie sagen Sätze wie: »Die Gefahr der Eskalation ist nicht gebannt.« Oder auch: »Israel hätte strategische Ziele angreifen sollen: Die iranischen Öl- und Atomanlagen«. »Das waren nur symbolische Schläge. Biden und Harris haben Israel von vornherein gebremst. Sie verhindern einmal mehr einen entscheidenden Schlag Israels.« Und so weiter und so weiter.

Fakt ist: Als Ergebnis des israelischen Luftschlages ist die – bereits am 13. April 2024 erkennbar unzulängliche – Luftabwehr des Iran nunmehr strategisch (!) weitgehend ausgeschaltet. Das bedeutet: Israel könnte jederzeit jedes Ziel im Iran mühelos erreichen – und zerstören.

Es liegt also nicht nur im Interesse Israels, sondern besonders des Iran, diesen Sieben-Fronten-Krieg so schnell wie möglich zu beenden. Diese Fronten sind: Gaza (Hamas), Libanon (Hisbollah), Westjordanland, Syrien (Armee, Hisbollah, iranische Soldaten, iranische Söldner), Irak (iranische Milizen), Jemen (Huthis) und eben Iran selbst.

Zerstört wurden Raketenfabriken. Das bedeutet vor allem, dass die Gefahr des Abschusses ballistischer Raketen auf Israel verringert ist. Bezüglich ihrer Abwehr erkannte die Welt am 1. Oktober: Israels Raketenabwehr ist nicht hermetisch, aber außerordentlich wirksam.

Nahost-»Experten« haben die militärischen Fähigkeiten des Irans und der Hisbollah dramatisch über- und Israels militärische Fähigkeiten dramatisch unterschätzt. Viel Reden, wenig Wissen.

Wie im Sechstagekrieg vom Juni 1967 gegen Ägypten, Syrien und Jordanien, verfügt Israel über die nahezu absolute Lufthoheit gegenüber dem Iran. Zerstört wurden Ziele der iranischen Revolutionsgarden in Teheran, also im militärischen und symbolischen Herzen des Mullah-Regimes.

Unklar ist, ob auch Drohnenfabriken getroffen wurden. Die Antwort hierauf ist für die Ukraine und den Westen von fundamentaler Bedeutung, denn Russland wäre ohne iranische Drohnen erheblich geschwächt, die Ukraine erheblich gestärkt. Klar ist aber seit der Nacht vom 25. auf den 26. Oktober: Israel kann auch die Drohnenfabriken erreichen.

Luftangriff war ein taktischer und strategischer Erfolg

Wer im Westen einen Sieg der Ukraine über Putins Russland will, muss (mit oder ohne Netanjahu) Israel zumindest politisch unterstützen, eigentlich auch wenigstens durch Waffenlieferungen. Auch so gesehen, ist die zögerliche Haltung der Bundesregierung der Ukraine und Israel gegenüber nicht nur unmoralisch, sondern vollkommen kontraproduktiv.

Über Moral kann man streiten, Fehler sind eindeutig erkennbar. Klar ist auch: Irans Öl- und Atomanlagen können jederzeit durch Israel – selbst ohne direktes Eingreifen der USA – zerstört werden.

Klar ist auch: Anders als oft unterstellt, setzt sogar die Regierung Netanjahu strategisch auf Diplomatie. Selbst dem Mullah-Regime wurde die Möglichkeit eingeräumt, politisch zu handeln, also den Krieg an allen sieben Fronten zu beenden. Die Mullahs haben die Wahl.

Die Mullahs arrangieren sich derzeit sogar mit Saudi-Arabien. Beide Streitkräfte führen gemeinsame Manöver durch. Sagen die »Experten«. Das stimmt. Sie können jedoch nicht zwischen Strategie und Taktik unterscheiden. Sie fühlen sich bestätigt, weil Saudi-Arabien Israels Angriff auf den Iran prompt verurteilte. Sie fragen aber nicht nach dem Fundamentalinteresse der Saudis.

Dieses heißt: Sicherheit. Sicherheit vor dem Iran, der außen- und innenpolitisch - über die saudischen Schiiten in der Ölregion - das Land bedroht. Sicherheit vor dem Iran bekommt Saudi-Arabien nicht mit und vom Iran, sondern von Israel – selbst wenn und weil die USA ungewillt sind, selbst direkt einzugreifen.

In der Nacht zu Samstag flog die israelische Luftwaffe Angriffe auf militärische Ziele in TeheranFoto: picture alliance / Xinhua News Agency

Fazit: Israels Luftangriff auf den Iran war nicht nur ein taktischer, sondern ein strategischer Erfolg. Er eröffnet die Möglichkeit einer politischen Lösung für die gesamte Region. Krieg als Instrument der Politik. Klassischer Clausewitz. Nachlesbar. Eigentlich Pflichtlektüre, nicht nur für deutsche Politiker und Militärs.

Aus eigener Erfahrung weiß ich: In Israel kennt man den deutschen Militärpraktiker und – theoretiker weitaus besser als in Deutschland. Das beweist einmal mehr Israels Luftangriff auf den Iran.

Eine Grundtatsache vergessen weltweit viele: Den Krieg begonnen haben der Iran und seine Satelliten, allen voran Hamas und Hisbollah. Ihre Politik, das eigene Zivil als Menschenopfer zu missbrauchen, hat dazu geführt, dass ihr Land nun in Schutt und Asche liegt.

Deutsche erinnern sich hoffentlich daran: Am 1. September 1939 haben Hitler & Konsorten den Krieg begonnen. Am 8. Mai 1945 lag Deutschland in Schutt und Asche. Was den meisten Deutschen damals als »Katastrophe« schien, erwies sich als Befreiung – von Deutschland und für Deutschland. Ähnliches wäre jetzt in Nahost möglich.

Der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn lehrte von 1981 bis 2012 an der Bundeswehruniversität München. Er ist u.a. Autor von »Eine andere Jüdische Weltgeschichte« und »Wem gehört das Heilige Land?«

Internationaler Strafgerichtshof

Netanjahu: »Verfahren wird wie Dreyfus-Prozess enden«

Gegen Israels Ministerpräsidenten wurde ein internationaler Haftbefehl erlassen – nun wehrt er sich mit scharfen Worten

 21.11.2024

Den Haag

Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant erlassen

Der Internationale Strafgerichtshof hat am Donnerstag einem Antrag des Chefanklägers Karim Khan stattgegeben

von Michael Thaidigsmann  21.11.2024

Nahost

Israelischer Historiker bei Feldstudie im Südlibanon getötet

Der Wissenschaftler wollte in der Kampfzone eine Festung studieren

 21.11.2024

Nahost

Ringen um Waffenruhe: Amerikanischer Vermittler optimistisch

Amos Hochstein trifft heute Benjamin Netanjahu

 21.11.2024

Charedim

Wehrpflicht für alle?

Unter Israels Reservisten wächst der Unmut über die Ausnahmeregelung

von Sabine Brandes  21.11.2024

Vermisst

»Meinem Vater ist kalt«

Ohad Ben Ami wurde ohne Kleidung gekidnappt

von Sabine Brandes  21.11.2024

Libanon/Israel

US-Vermittler: Fortschritte im Ringen um Waffenruhe

Amos Hochstein bringt Bewegung in die Verhandlungen

 20.11.2024

Nahost

Lebensmittelpreise in Gaza wohl stark gestiegen

Nach der Plünderung eines großen Hilfskonvois ist die Lage schlimmer geworden

 20.11.2024

Düsseldorf

Heine-Preis für israelischen Autor David Grossman

Die Publizistin Carolin Emcke wird die Laudatio halten

 20.11.2024