»Rüsten Sie sich mit einem Radio aus, das mit Batterien betrieben wird«, »Haben Sie genug Wasser und Essensvorräte für drei Tage im Haus«, »Verschieben Sie die Betten der Kinder in ein Zimmer mit möglichst wenig Außenwänden.« Die 17-seitige Broschüre, die der Bürgermeister von Jerusalem am Montag an die Bewohner seiner Stadt verschickt hat, zeigt, wie ernst die israelischen Gemeinden die Warnungen vor einer Eskalation des Krieges nehmen. Nach der Tötung von Ismail Haniyeh und Fouad Shukr haben der Iran und seine Verbündeten Rache geschworen.
Im ganzen Land stellen sich die Menschen auf etwas ein, von dem niemand weiß, was da überhaupt kommt. »Ich fühle mich zurückversetzt in den April, als wir im Bunker auf Irans Raketen warteten«, sagt Tomer, der in Jerusalem lebt. Viele hofften, dass es diesmal ähnlich glimpflich verläuft, Israels Schutzschild erneut hält.
Doch die tödlichen Drohnenattacken der letzten Wochen, sei es auf ein Wohngebäude in Tel Aviv oder einen Fußballplatz auf dem Golan, offenbaren die Löchrigkeit der israelischen Luftabwehr. Die Geschosse des Irans, aber auch seiner Proxies Hisbollah, Hamas und Huthi können das System von gleich mehreren Seiten durchbrechen.
»Es fühlt sich surreal an. Wir leben unseren Alltag, aber wissen auch, dass jeden Moment hier der Dritte Weltkrieg losbrechen kann.«
»Es fühlt sich surreal an. Wir leben unseren Alltag, aber wissen auch, dass jeden Moment hier der Dritte Weltkrieg losbrechen kann«, sagt Schlomo aus Tel Aviv, mit durchaus fatalistischen Unterton. Die Straßen und Strände seien voll. »Ich plane jeden Morgen meinen Tag, verabrede mich mit Kollegen, und füge dann hinzu: ›Es sei denn wir sitzen dann schon alle im Bunker‹ «.
Auch Oppositionsführer Yair Lapid scheint diese Ungewissheit zu zermürben: »Ist es für Sie akzeptabel, dass seit fünf Tagen ein ganzes Land darauf wartet, bombardiert zu werden?«, fragte er Anfang der Woche im israelischen Parlament. Der führenden Koalition wirft er vor, in der brenzligen Situation weder Abschreckung nach Außen noch wirkliche Regierungsarbeit im Inneren zu leisten.
In Haifa bereitet die Klinik die Bunkeretagen vor
Während in Tel Aviv die Menschen noch am Strand liegen, ist man weiter nördlich nervöser. Die Regionalbehörden in Obergaliläa und auf den Golanhöhen sowie in Naharija haben die Bewohner angewiesen, sich in der Nähe von Notunterkünften oder Bunkern aufzuhalten und Fahrten zu minimieren.
In Haifa finden kaum mehr öffentliche Veranstaltungen statt, Großevents sind abgeblasen. Die lokale Presse berichtet, aus dem Industriehafen der Stadt seien gefährliche und leicht entzündliche Chemikalien abgepumpt worden, auch rund um den Flughafen laufen Sicherheitsvorkehrungen. Das Rambam Krankenhaus, immerhin die größte Klinik im israelischen Norden, ist in Alarmbereitschaft. Bereits seit dem 7. Oktober sind die drei »Bunkerstockwerke« vorbereitet: Bei Beschuss können bis zu 2200 Verwundete hier unter der Erde versorgt werden.
Viele Bewohner erinnern sich noch gut an den Sommer 2006, als die Hisbollah Haifa im zweiten Libanonkrieg mit hunderten Raketen überzog. Acht Menschen starben, als eine von ihnen in einem Eisenbahndepot landete.
Ein ähnliches Szenario scheint die israelische Armee für die nächsten Tage nicht auszuschließen. Laut der »Times of Israel« haben etlichen Stadtverwaltungen im Norden eine entsprechende schriftliche Einweisung der IDF erhalten. Im Falle eines umfänglichen Krieges mit der Hisbollah warnt die Armee darin vor tagelangen Stromausfällen, gekappter Wasserversorgung und Netzausfällen für Mobilfunk und Internet.
Der Krieg könnte eine Massenevakuierung bedeuten
Laut dem Dokument könnte der Krieg eine Massenevakuierung auslösen: Die Binnenflüchtlinge aus Akko, Haifa oder sogar Tel Aviv sollen dann zunächst in Hotels und Schulen im Raum Jerusalem untergebracht werden. Weiter im Süden sind Zeltstädte geplant, unter anderem in Timna nördlich von Eilat und im Eshkol-Park im Negev.
Auch das erinnert an den Libanonkrieg von 2006, als eine halbe Million Bürger aus dem Norden unter anderem in Zelten zwischen den südlichen Mittelmeerstädten Aschdod und Aschkelon Zuflucht fanden.
Doch die Zeiten sind andere, und jene Orte in der Nähe des Gazastreifens fühlen sich seit dem 7. Oktober für viele Israelis nicht mehr sicher an. Und auch dort laufen die Sicherheitsvorkehrungen für einen möglichen Angriff auf Hochtouren: »Aschdod befindet sich seit Tagen in einem angespannten Notfallmodus«, sagt Miki Zaidel, kommunaler Sicherheitsoffizier der Stadt. »Wir sind bereit für Entwicklungen, die wir ›von Null auf 100‹ nennen.«
Aschdod bereitet sich auf Stromausfälle vor
Auch in Aschdod wurde eine Informationsbroschüre für den richtigen Umgang mit Notfällen an die Bewohner verteilt. Darüber hinaus habe man Vorbereitungen getroffen, was im Fall von Stromausfällen aufgrund von Schäden an Kraftwerken geschehen soll, berichtet Zaidel. »Stadt in der Dunkelheit« heißt das Programm. »Man informiert die Bewohner, wo sie eine Notunterkunft finden können oder ein Mobiltelefon aufladen.«
Kürzlich haben in Israel die Sommerferien begonnen, doch die meisten Flüge nach Europa sind gecancelt. Viele Familien zieht es in den wenig bewohnten Südosten, ans Tote Meer oder gleich nach Eilat: Laut dem israelischen Tourismusministerium sind die Hotels dort beinahe ausgebucht, obgleich kaum ausländische Touristen im Land sind. Seit Monaten harren dort die Evakuierten aus den bereits attackierten Kibbutzim und Grenzregionen aus – zu ihnen stoßen nun alle, die freiwillig flüchten. Und hoffen, dass die Kinder einen Sommer ohne Sirenen verbringen können.