Zerstritten war die Nation darüber, ob Benjamin Netanjahu unbedingt mit dem Kopf durch die Wand musste. Seit Wochen war seine geplante Rede vor dem amerikanischen Kongress Thema Nummer eins in Israel. Einig ist die Nation am Tag danach – darüber, dass der Regierungschef ein hervorragender Redner ist. 25-mal Standing Ovations, das muss ihm erst einmal jemand nachmachen, heißt es von allen Seiten. Auch dass die Ansprache PR für den anstehenden Urnengang war, bezweifeln nur wenige. Am 17. März wird in Israel gewählt.
Dass Netanjahu in den USA empfangen wurde wie ein Superstar, hat ihm sichtlich gefallen. Die Stimmung auf der Konferenz der Pro-Israel-Vereinigung AIPAC war fast wie bei einem Rockkonzert, und die Republikaner im Kongress ließen ihn hochleben wie einen verlorenen Sohn. Zu Hause indes wurde seit Wochen kaum ein gutes Wort über den Premier verloren, ein Skandal jagte den nächsten, und das Vorhaben, kurz vor der Wahl nach Washington zu reisen und Präsident Barack Obama vor den Kopf zu stoßen, wurde von Oppositionspolitikern sowie der Mehrheit der Israelis scharf kritisiert. Wieder und wieder wurde Netanjahu aufgefordert, die Rede abzusagen, um die Beziehung zu den USA nicht weiter zu belasten.
Existenz Doch Netanjahu hielt mit fast stoischer Ruhe an seinem Plan fest. Wenige Tage vor der Reise veröffentlichte sein Büro ein Video, wie er die Worte an die Welt vorbereitete. Passend zu seiner »historischen Reise«, wie er sie selbst nannte, machte Netanjahu am Abend vor dem Abflug einen Abstecher zur Klagemauer in Jerusalem. Hier, vor geschichtsträchtiger Kulisse, bekräftigte er: »Als Premierminister Israels ist es meine Pflicht, mich um die Sicherheit Israels zu sorgen. Daher sprechen wir uns eindeutig gegen eine Vereinbarung zwischen dem Iran und den Supermächten aus, die unsere Existenz gefährden könnte. Im Angesicht dieser Gefahr müssen wir uns zusammentun und die Bedrohung, die aus diesem Abkommen hervorgehen könnte, Israel, der Region und der Welt erklären.«
Am selben Ort betonte er auch, dass er Präsident Obama respektiere und an die Stärke der Verbindung zwischen Israel und den USA glaube sowie sicher sei, man könne Meinungsverschiedenheiten aus dem Weg räumen. Sein oberstes Ziel sei es, die Welt über die Gefährlichkeit des iranischen Regimes zu unterrichten. Böse Zungen im Land meinten indes, Ziel Nummer eins sei seine Wiederwahl.
Was der Kritisierte weit von sich wies. Gleich zum Auftakt gab er vor dem versammelten amerikanischen Kongress zu, dass die »Ansprache zu vielen Kontroversen geführt hat. Es tut mir zutiefst leid, dass einige meine Anwesenheit als politisch motiviert betrachten. Dies war nie meine Absicht.«
Deal Stattdessen wolle er deutlich machen, dass das Nuklear-Abkommen zwischen dem iranischen Regime und den Westmächten den Weg zu einem Atomarsenal für den Iran ebne, statt es zu verhindern. Netanjahu drängte die amerikanischen Senatoren und Kongressabgeordneten, von diesem »sehr schlechten Deal« Abstand zu nehmen. »Denn das wird Teheran mit einer riesigen nuklearen Infrastruktur zurücklassen, die es gefährlich nah an die Fähigkeit bringt, eine Atombombe zu bauen. Der Deal garantiert, dass der Iran Atomwaffen haben wird – und zwar viele.«
Dennoch gab sich Netanjahu auch kompromissbereit. Er rief statt der geplanten zu einer Vereinbarung auf, die die Sanktionen aufrechterhält, bis die iranische Aggression endet. »Es muss keine Vereinbarung sein, die Israel liebt. Aber eine, mit der wir leben können – buchstäblich.«
Vor dem Ende der Restriktionen müsse vom Iran gefordert werden, Angriffe auf andere Länder in der Region zu beenden und aufzuhören, Terrorismus zu unterstützen. Die Drohungen, Israel zu vernichten, müssten beendet werden. In Anspielung auf das Purimfest sagte Netanjahu: »Heute ist das jüdische Volk mit einer neuen Bedrohung durch einen persischen Despoten konfrontiert – Irans Anführer Ayatollah Khamenei. Er twittert auf Englisch, dass Israel zerstört werden muss.«
Starke Worte – doch keine neuen Worte. Das findet zumindest Michael Oren, ehemaliger israelischer Botschafter in den USA, und ist damit der gleichen Meinung wie Obama. »Er brachte keine neuen Ideen ein«, so Oren in einem Fernsehinterview. »All das hätte er in jedem amerikanischen Fernsehsender sagen können. Es ging ja nicht darum, dass Netanjahu nicht reden soll. Sondern darum, wie und wo.«
Opposition Für die Opposition bleibt die Katerstimmung: Die Vorsitzende der Linkspartei Meretz, Zahava Gal-On, sagt, der Premier habe nichts Positives von sich gegeben, weil er das gar nicht könne. »Es ist eine Frechheit, Präsident Obama zu sagen, er würde einen ›sehr schlechten Deal‹ machen.« Shelly Jachimowitsch, Nummer drei auf der Liste der Zionistischen Union, lobte den Premier hingegen für den Inhalt seiner Rede. »Das alles hätte Isaac Herzog genauso sagen können.« Allerdings mit dem Unterschied, fügte sie in einem Seitenhieb hinzu, »dass er Obama und den Vizepräsidenten an seiner Seite gehabt hätte«.
Oppositionsführer Isaac Herzog, der nicht mit nach Washington gereist war, bestätigte, es sei »eine schöne Rede« gewesen. »Allerdings lautet die traurige Wahrheit, dass Netanjahu nach dem Applaus allein dasteht und Israel isoliert ist. Die Rede hat die Verbindung zu den USA sabotiert und wird die Sichtweise der amerikanischen Regierung nicht ändern. Stattdessen hat sie den Bruch strategisch noch verstärkt.«
Lektion Die rechten Parteien stärkten dem Ministerpräsidenten allesamt den Rücken. Allen voran Naftali Bennett vom Jüdischen Haus, der mit in Washington war. »Die Opposition reagiert völlig unverantwortlich«, schimpfte er. Jariv Levin vom Likud erklärte, die amerikanischen Kongressabgeordneten hätten Zipi Livni und Isaac Herzog eine Lektion erteilt. »Mit ihrem wiederholten Applaus zollten sie einem Staatsmann Respekt, der für die Zukunft seines Landes kämpft.«
Unumstritten ist, dass der Zeitpunkt aus Netanjahus Sicht nicht besser hätte gewählt werden können. Wenige Tage vor der Wahl sprach der israelische Regierungschef zur besten Sendezeit zu den Menschen. Für die 20-Uhr-Nachrichten auf sämtlichen Kanälen gab es kein anderes Thema. Und auch in den USA beherrschte die Rede sämtliche Schlagzeilen. Kein Wahlkampfvideo, kein noch so durchdachter Slogan hätte Netanjahu und seinem Likud diese Aufmerksamkeit bringen können.
Am Mittwochmorgen hatte das inoffizielle Sprachrohr der Regierung, die Gratiszeitung Israel Hayom des US-Kasinomoguls Sheldon Adelson, gleich zwei Schlagzeilen parat. Für die hebräisch sprechenden Leser in der Heimat hieß es auf der Titelseite kämpferisch: »Bedingungen für den Iran«. Die englischsprachige Website machte auf mit: »Israel und Amerika sind wie eine Familie«. Es war der Morgen danach – und die diplomatischen Aufräumarbeiten haben begonnen.