Der Himmel ist ein hässliches Gemisch aus Grau und Gelb. Es ist Scharaw. Der heiße Sturm, der im Frühjahr Staub aus den Wüsten der Nachbarländer bringt, fegt an diesem Dienstag über die israelischen Städte hinweg. Wieder einmal. Mit den Masken über Mund und Nase bewegen sich die Israelis auf den Straßen in Richtung der Wahllokale. Heute wird gewählt. Wieder einmal.
WAHLLOKAL »Heute schützt mich die Gesichtsmaske mehr vor dem Sand und Staub als vor dem Virus«, frotzelt Omer Goldberg, als er vor einem Wahllokal hinter dem Rothschild-Boulevard in Tel Aviv steht und auf Einlass wartet. Er sei geimpft und hätte vor einer Infektion keine Angst mehr. »Jetzt geht es nur darum, dass es mit dem Land wieder aufwärts geht, damit es den Leuten wirtschaftlich besser geht. Leider ist es nicht im Interesse dieser Regierung, das Wohl der Bevölkerung vor alles andere zu stellen.«
Goldberg will seine Stimme der Zentrumspartei Jesch Atid geben, obwohl er nicht überzeugt ist, dass es etwas bringt. »Natürlich will ich einen Wandel, einen mit Menschen an der Spitze, die sich um unser Wohl scheren, und nicht nur um ihr eigenes.« Hoffnung hat er allerdings wenig. »Ich bin mir sicher, dass sich auch dieses Mal nicht viel ändern wird.«
Lisa Lelouche hat für den Likud gestimmt, wie in allen Wahlen zuvor. »Netanjahu lässt sich von der Welt nichts vormachen und ist ein sehr starker Politiker. Das hat er bewiesen. Außerdem hat er uns vor allen anderen Ländern aus dieser Coronavirus-Krise herausgeholt. Das soll ihm erst einmal jemand nachmachen.« Lelouche stammt aus Frankreich. »Und die Leute da schauen jetzt ganz neidisch auf uns.«
STRANDPROMENADE Spaziergänger auf der Strandpromenade von Tel Aviv sind heute rar. Wo sonst Scharen flanieren, sind nur wenige Menschen zu sehen. Der gelbe Wind lässt die meisten in ihren Häusern bleiben. Einige Aktivisten der Linkspartei Meretz sind dennoch unterwegs. »Ohne Meretz gewinnen die Rechten«, rufen sie mit ihren Megafonen und verteilen grüne Aufkleber.
»Kein Staat der Welt sollte einen Regierungschef haben, dem wegen Korruption der Prozess gemacht wird.«
Iris Cohen
In einer Grundschule im überwiegend arabischen Viertel Jaffo im Süden Tel Avivs herrscht gähnende Leere. »Viele waren am Morgen da«, so der Wahlhelfer, der mit zwei Kollegen hinter einer Plastikscheibe sitzt, die auf dem Schultisch aufgestellt ist. »Aber jetzt kommen die Leute nur noch kleckerweise.«
JAFFO Wenige Minuten später taucht ein älterer Mann im Türrahmen auf, grüßt auf Arabisch, zeigt seinen blauen Personalausweis vor und erhält den Wahlumschlag. Damit geht er hinter eine Abtrennung aus Pappe. Dort wählt er den Zettel seiner Partei aus und steckt ihn in den Umschlag. Welche Partei er gewählt hat? »Ganz sicher nicht Bibi«, ruft er knapp, dreht sich um und verlässt das Wahllokal, ohne sich noch einmal umzuschauen.
Neben der Schule stehen drei junge Leute, auch sie arabische Israelis. »Wählen«, sagt die Frau in knallengen Jeans und T-Shirt lakonisch, »da muss mir erstmal jemand erklären, was uns das bringen soll«. Einer der Männer sagt, dass er im März seine Stimme abgegeben habe, weil es damals ein gewisses Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Gemeinde gegeben habe. »Es fühlte sich an wie ein frischer Wind.« Heute aber ist er desillusioniert, weil sich nichts geändert habe. »Und so gehe ich nicht wählen.«
PROZESS Iris Cohen hat Ihre Stimme abgegeben – für den Likud. Die Mutter von drei Kindern aus Haifa ist damit allerdings nicht glücklich. Sie hat Bauchschmerzen mit den Anklagen in drei Fällen von Regierungschef Benjamin Netanjahu und meint: »Kein Staat der Welt sollte einen Regierungschef haben, dem wegen Korruption der Prozess gemacht wird.«
Warum sie dennoch für ihn gestimmt hat? »Ich sehe im Moment überhaupt keine Alternative zum Ministerpräsidenten.« Sie hofft, dass Netanjahu mit seiner Chutzpe das Land aus der Krise holen wird. Dann wendet sie sich »wichtigeren Dingen« zu: »Der Pessachputz wird mit diesem Scharaw zur Qual«, beklagt sie sich. »Fast noch mehr als diese Wahl.«