»Rock solid« – »felsenfest« sei sein Bekenntnis zu Israel, so lautete bisher Joe Bidens Credo. Doch jener Fels bekam in den vergangenen Tagen deutliche Risse, man könnte sogar meinen, das Engagement des demokratischen Präsidenten für Israel beginne zu bröckeln. Ob das wirklich substanziell der Fall ist, lässt sich nicht verifizieren. Allerdings lassen Bidens für seine Verhältnisse schrillen Töne gegenüber Benjamin Netanjahu sowie der etwas aktionistisch angekündigte Bau eines Behelfshafens in Gaza nur einen Schluss zu: Der Wahlkampf in den USA nimmt Fahrt auf.
Und in diesem Wahlkampf hat Joe Biden ein doppeltes Problem. Links von ihm steht seine eigene Partei – zu großen Teilen in Treue fest zur Sache Palästinas. Rechts von ihm, auf den Brandruinen der republikanischen Partei, thront Donald Trump, sozusagen der Nero der US-Politik, blickt auf sein Zerstörungswerk und posaunt – wie gerade auf dem TV-Sender Fox – Solidaritätsadressen in Richtung Israel heraus. Die Angriffe müssten »bis zum totalen Sieg« fortgesetzt werden. »Das Problem muss aus der Welt geschafft werden.« Töne, die allerdings in erster Linie an seine radikale Wählerschaft christlicher Fundamentalisten gerichtet sind und weniger als Solidaritätsadresse an Amerikas Juden.
Schlamassel für jüdische Wähler
Die jüdischen Wähler haben bei der anstehenden Wahl nämlich den Schlamassel, zwischen Baum und Borke zu hocken. Trumps martialische Parolen mögen Benjamin Netanjahu gefallen, hilfreich für Amerikas Juden sind sie nicht. Denn bis Trump eventuell wieder Oberbefehlshaber sein sollte, dauert es noch ein knappes Jahr – und den amerikanischen Juden fällt so viel pro-israelische Kreuzzugsrhetorik wieder auf die Füße; durch verstärkten Antisemitismus an Universitäten, eine propalästinensische Stimmung im US-Parlament und durch Gewaltakte vor der eigenen Haustür, die massiv zugenommen haben.
Benjamin Netanjahu sieht in Bidens Kritik einen Profilierungsversuch im Wahlkampf.
Benjamin Netanjahu ordnet Bidens Kritik als Profilierungsversuch im Wahlkampf ein. Prompt konterte Israels Regierungschef Bidens Vorwurf, dass Netanjahu Israel mit seinem Vorgehen mehr schade als helfe, im Interview mit der »Bild«-Zeitung: »Wenn der US-Präsident damit meint, dass ich eine Privatpolitik gegen den Wunsch der Mehrheit der Israelis verfolge und dies Israels Interessen schadet, dann liegt er in beiden Punkten falsch.«
Netanjahu behauptete dagegen, die Politik des Kriegskabinetts werde von einer »überwältigenden Mehrheit« der Israelis unterstützt. »Die Mehrheit der Israelis versteht: Wenn wir das jetzt nicht tun, dann werden wir eine Wiederholung des Massakers vom 7. Oktober haben – und das ist schlecht für Israelis, schlecht für Palästinenser und schlecht für den Frieden im Nahen Osten.«
Das war bis vor Kurzem auch die verbindlich scheinende Haltung der Biden-Administration, die sich lange gegen eine »Ja, aber«-Politik nach dem 7. Oktober wehrte. Doch anscheinend ist der Druck im Kessel amerikanischer Innenpolitik und in der Gemengelage bei den Demokraten dermaßen gestiegen, dass der amtierende Präsident nun die bei den Wählern seiner Partei überaus populäre Humanismus-Karte spielt.
Bedeutung des Hilfshafens noch nicht absehbar.
Dabei steht das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza im Vordergrund. Berichte darüber stützen sich vor allem auf Aussagen des Gesundheitsministeriums der Hamas, also auf die Informationen der Terror-Organisation selbst, die den 7. Oktober geplant und ausgeführt hat, sowie auf Hamas-freundliche Organisationen wie die UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East), des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, deren Mitarbeiter teils proaktiv an dem Morden des 7. Oktober teilnahmen, sowie die Weltgesundheitsorganisation WHO. Auch sie ist für israelkritische Positionen bekannt. Doch auch andere Quellen bestätigen eine schwierige humanitäre Lage im Gazastreifen.
Es sind keine guten Zeiten, was die Frage anbelangt, inwieweit Hilfslieferungen aus den USA und Europa denn auch wirklich die Adressaten erreichen, nämlich die unschuldigen Bewohner Gazas, die seit Jahren von der Hamas wie Geiseln in dem winzigen Küstenstreifen gehalten werden. Die BBC, ebenfalls nicht gerade als Freund Israels bekannt, sprach im Zusammenhang mit dem Beginn der Bauarbeiten für einen Behelfshafen vor Gaza zum Anlanden von Hilfsgütern von »einem hohen Grad an Gesetzlosigkeit in Gaza« und bezweifelte die Sinnhaftigkeit solcher Aktionen.
Ägypten trägt Blockade mit
Dass Gaza keinen funktionierenden Hafen mehr hat, liegt daran, dass der Seeweg immer wieder zum Transport von Waffen für die Hamas missbraucht wurde. Aus diesem Grund trägt auch Ägypten die Blockade des Gazastreifens mit. Was der Bau eines Hilfspiers in dieser Hinsicht bedeuten könnte, ist noch nicht absehbar.
So spielen Israel und Gaza diesmal eine Hauptrolle im US-Wahlkampf – durchaus angeheizt von Joe Bidens Bemerkung während seiner Rede zur Lage der Nation: »Wenn wir nach vorn blicken, ist die einzig wahre Lösung eine Zweistaatenlösung«, so der Präsident, der nach eigener Aussage »lebenslanger Unterstützer Israels« ist, unter dem Jubel und den Standing Ovations der demokratischen Abgeordneten.