Nach mehr als einem Jahr Krieg zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah gilt seit dem frühen Morgen eine Waffenruhe. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu richtete eine Warnung an die vom Iran unterstützte Terrororganisation: »Die Dauer der Waffenruhe hängt davon ab, was im Libanon geschieht.«
Die Feuerpause war von den USA und Frankreich vermittelt worden, um eine »dauerhafte Einstellung der Feindseligkeiten« zu erreichen, wie US-Präsident Joe Biden sagte. Von der Hisbollah selbst gab es zunächst keine Reaktion auf die Verkündung der Waffenruhe.
Kurz nach Inkrafttreten der Feuerpause waren im Raum der libanesischen Hauptstadt Beirut Freudenschüsse zu hören. Die ersten aus dem Süden des Libanons geflohenen Menschen machten sich in Autos auf den Weg zurück in Dörfer, in denen keine israelischen Truppen stationiert sind.
Schwere Explosionen
Ein israelischer Militärsprecher hatte in arabischer Sprache auf X geschrieben, Bewohner von Gegenden, für die es Aufforderungen zur Evakuierung gegeben habe, dürften vorerst nicht in ihre Dörfer zurückkehren. »Mit dem Inkrafttreten der Waffenruhe und ihren Bestimmungen zufolge werden (die israelischen Streitkräfte) an Positionen im Süden des Libanon stationiert bleiben«, schrieb der Sprecher.
Die israelische Luftwaffe flog bis kurz vor dem Inkrafttreten der vereinbarten Kampfpause um 4.00 Uhr Ortszeit (3.00 Uhr MEZ) noch besonders massive Angriffe auf Terror-Ziele in Beirut und die südlichen Vororte der Stadt.
Überall in der Hauptstadt waren schwere Explosionen zu hören, wie eine Reporterin der Deutschen Presse-Agentur in der Nacht schilderte. Um 4.00 Uhr seien die Explosionen und das Donnern der Kampfflugzeuge dann verstummt. Auch die Hisbollah hatte zuvor weiter Raketen auf den Norden Israels abgefeuert, wo erneut die Sirenen heulten.
Massiver Druck
Seit dem 8. Oktober 2023 hatte die Hisbollah täglich Raketenangriffe gegen Israel gestartet. Die Streitkräfte (IDF) reagierten entsprechend. Da die Terror-Attacken jedoch nicht aufhörten, tötete Israel die gesamte Führungsriege der Hisbollah und zerstörte zumeist in Wohngegenden versteckte Waffenlager der Terrorgruppe. Dieser enorme militärische Druck führte dazu, dass die Hisbollah der Waffenruhe zustimmte.
Die Hisbollah soll sich laut unbestätigten Medienberichten über die Abmachung zunächst hinter den Litani-Fluss etwa 30 Kilometer nördlich der israelisch-libanesischen Grenze zurückziehen. Laut der seit Jahren geltenden UNO-Resolution 1701 muss die Terrororganisation dies ohnehin tun.
Danach sollten sich Israels Bodentruppen binnen 60 Tagen aus dem Libanon zurückziehen. Um eine Rückkehr von Hisbollah-Terroristen zu verhindern, sollen Soldaten der libanesischen Armee, die am Krieg eigentlich nicht beteiligt ist, parallel zum israelischen Abzug im Grenzgebiet stationiert werden, wie ein ranghoher Vertreter der US-Regierung berichtete.
Sofortige Umsetzung
Die USA hätten nicht mit der Hisbollah über die Waffenruhe verhandelt, sondern mit der libanesischen Regierung, hieß es. Diese müsse nun die Verantwortung dafür übernehmen, was in ihrem Land passiere. Ob sie dazu angesichts der Schwäche des libanesischen Staates in der Lage sein wird, ist fraglich.
Libanons geschäftsführender Ministerpräsident Nadschib Mikati forderte die sofortige Umsetzung der Abmachung. Überwachen soll die Waffenruhe Medien zufolge eine von den USA angeführte Staatengruppe mit Frankreich, dem Libanon, Israel und der UN-Friedenstruppe Unifil, die seit Jahren im Libanon stationiert ist.
Die Überwachungskommission soll zudem sicherstellen, dass sich die Hisbollah nicht neu bewaffnet. Israel reklamiert für sich das Recht, jederzeit im Libanon militärisch einzugreifen, falls die Hisbollah die Übereinkunft brechen sollte und die libanesische Armee sowie die internationale Staatengruppe untätig bleiben.
Militärische Handlungsfreiheit
»Mit dem vollen Einverständnis der USA behalten wir die volle militärische Handlungsfreiheit«, sagte Netanjahu. »Wenn die Hisbollah das Abkommen verletzt und versucht, sich zu bewaffnen, werden wir angreifen.« Nach Angaben eines hochrangigen US-Regierungsvertreters behält neben Israel auch der Libanon das Recht auf Selbstverteidigung gemäß Völkerrecht.
Der französische Präsident Emmanuel Macron sprach von einer Chance für den Libanon. »Es ist wichtig, dass diese Waffenruhe eingehalten wird und das auf Dauer«, sagte Macron in einem auf X veröffentlichten Video. Das Abkommen unterstütze die Souveränität des Landes und läute »einen Neuanfang für den Libanon« ein, sagte auch US-Präsident Biden.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sprach von einem »Lichtblick für die ganze Region«. Hunderttausende Frauen, Kinder und Familien im Libanon könnten nun neue Hoffnung schöpfen, ebenso Zehntausende Menschen aus dem Norden Israels, sagte die Grünen-Politikerin am Abend.
Abkommen für Gaza
Ein Ende des Kriegs mit der Hisbollah lasse die Hamas im Gazastreifen isoliert zurück, sagte Netanjahu. »Wir werden den Druck auf die Hamas erhöhen«, kündigte er am Abend an. Dies könne den Weg zu einer Vereinbarung über die Freilassung der rund 100 Geiseln ebnen, die noch immer im Gazastreifen festgehalten werden - wobei unklar ist, wie viele von ihnen noch am Leben sind.
Kurz vor Beginn der Waffenruhe im Krieg gegen die Hisbollah gab Israels Armee die Tötung eines weiteren ranghohen Mitglieds der Hamas bekannt. Mumin al-Dschabari habe der Scharfschützen-Einheit der Hamas-Brigade in der Stadt Gaza angehört. Er sei bei einem präzisen Angriff auf ein Gebäude getroffen worden, das früher als Schule genutzt worden sei.
US-Präsident Biden setzt sich auch für eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas ein. »Genauso wie das libanesische Volk eine Zukunft in Sicherheit und Wohlstand verdient, verdienen auch die Menschen in Gaza eine Zukunft in Sicherheit und Wohlstand. Auch sie verdienen ein Ende der Kämpfe«, sagte er. dpa/ja