Vor gut zwei Jahren machte ein damals 57-jähriger Kanadier mit seiner englischen Frau Alija. Der Neueinwanderer brachte zwei besondere Eigenschaften mit: Er ist Milliardär, und er liebt das Radfahren. Sylvan Adams heißt der Mann. Er ist eines der vier Kinder des rumänischen Schoa-Überlebenden Marcel Adams.
Der kämpfte nach seiner erfolgreichen Flucht aus einem NS-Lager im israelischen Unabhängigkeitskrieg, ehe er 1951 nach Kanada auswanderte und mit dem Bau von Shoppingmalls und anderen Immobilien zum Milliardär wurde. Als Marcel Adams sich zur Ruhe setzte, übernahm sein Sohn Sylvan die Geschäfte.
Die Immobiliengeschäfte führt mittlerweile dessen Sohn Josh. Im Dezember 2015 wanderte Sylvan Adams mit seiner Ehefrau Margaret, die er dreieinhalb Jahrzehnte zuvor in einem Kibbuz kennengelernt hatte, nach Tel Aviv aus. Seine Vision: die israelische Metropole in das »Amsterdam des Nahen Ostens« zu verwandeln, wie er 2016 den »Canadian Jewish News« verriet.
Adams will Tel Aviv so fahrradfreundlich wie die niederländische Großstadt machen und arbeitet dafür mit dem jüdischen Nationalfonds KKL zusammen. Das Ziel ist ein flächendeckendes Netz aus Radwegen zwischen der Weißen Stadt und ihren Vororten. »Petach Tikwa beispielsweise ist nur acht Kilometer vom Zentrum Tel Avivs entfernt. Morgens kann es mit dem Auto eine Stunde dauern, diese Strecke zu fahren – mit dem Fahrrad geht es in 20 bis 30 Minuten«, schwärmte Adams.
Goldmedaillen Auch den israelischen Radsport fördert Adams. So spendete er 21 Millionen Dollar zur Finanzierung eines Velodroms auf dem Gelände des Olympischen Zentrums im Norden Tel Avivs. Dabei kennt Adams das Radfahren keineswegs nur aus dem Fernsehen: Er war als Aktiver sechsmal kanadischer Meister und holte 2009 und 2013 bei den Makkabi-Spielen insgesamt fünf Goldmedaillen. Alles in den jeweiligen Seniorenklassen, denn zum Radsport kam der Geschäftsmann erst in seinen frühen Vierzigern.
Doch Sylvan Adams’ vielleicht größter Radsportcoup steht kommende Woche auf dem Terminkalender: Der Giro d’Italia, nach der Tour de France das zweitwichtigste Radrennen der Welt, startet erstmals außerhalb Europas. Genauer gesagt, er beginnt in Israels Hauptstadt Jerusalem. Das Event wird womöglich das größte in der Geschichte Israels – Millionen Fernsehzuschauer und Zehntausende Touristen vor Ort werden den Auftakt des Giro in Jerusalem live verfolgen. Es ist außerdem das erste Mal, dass mit dem Team der Israeli Cycling Academy eine israelische Mannschaft an einem so renommierten Radrennen teilnimmt.
Bereits am Donnerstag ging es los mit einer Zeremonie vor dem Jerusalemer Rathaus, bei der die 176 Teilnehmer vorgestellt wurden – unter ihnen erstmals beim Giro übrigens auch ein israelischer Fahrer. Unter den anderen Teams sind auch zwei nominell arabische, eines aus Bahrein, eines aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Für Adams ganz normal: »Ich höre wenige politische Diskussionen über diese beiden Teams«, zeigt er sich in einem Interview mit der australischen Radsport-Website »CyclingTips.com« entspannt.
BDS In Italien gab es durchaus einige Diskussionen; aus der Ecke der antisemitischen BDS-Bewegung kamen die üblichen »Weißwasch«- und »Apartheid«-Vorwürfe. Adams verwies darauf, dass dem israelischen Team auch ein türkischer Muslim und ein Druse angehören. Und dann gab es Ende 2017 noch kurz Aufregung über die richtigen Begriffe.
Aus der israelischen Regierung kam Protest gegen die Verwendung des Wortes »West-Jerusalem« in ersten offiziellen Giro-Materialien. »In Jerusalem, der Hauptstadt Israels, gibt es kein Ost und West«, schrieben Tourismusminister Jariv Levin und Sportministerin Miri Regev in einer Stellungnahme. »Es gibt nur ein unteilbares Jerusalem.« Das veranstaltende Unternehmen RC versicherte schnell, dass diese Wortwahl keinen politischen Hintergrund gehabt habe und das Rennen selbstverständlich in der »Stadt Jerusalem« starten werde.
Und zwar am Freitag mit dem Prolog durch die israelische Hauptstadt – man will deutlich vor Schabbatbeginn fertig sein –, ehe es am nächsten Tag zur zweiten Etappe von Haifa nach Tel Aviv geht. Am dritten Tag schließlich fährt das Peloton 230 Kilometer von Beer Sheva nach Eilat. Danach wechselt der Giro in seine italienische Heimat, über Sizilien und Norditalien geht es schließlich in die Hauptstadt Rom.
Dass der Giro dort, und nicht wie üblich in Mailand, endet, ist für Adams ein besonderes Zeichen. »Der Weg von Jerusalem nach Rom symbolisiert die Verbrüderung zwischen Israel und Italien, und, noch wichtiger, Frieden und Brüderlichkeit zwischen Judentum und Christentum«, sagt Adams – der Mann, der den Giro d’Italia nach Israel gebracht hat.
Retter Für ein positives Verhältnis zwischen den beiden Religionen steht auch die italienische Radsportlegende Gino Bartali. Der am 5. Mai vor 18 Jahren verstorbene Rennfahrer gewann dreimal den Giro d’Italia – 1936, 1937 und 1946. Zwischen seinem zweiten und dritten Sieg rettete der gläubige Katholik etwa 800 Juden das Leben. Doch dieser Teil von Bartalis Leben wurde erst lange nach der Nazizeit bekannt. Vielen Menschen war der einstige Radprofi vor allem durch die legendären Duelle mit seinem Landsmann Fausto Coppi bekannt.
Doch während der Herrschaft des italienischen Faschismus und später unter der Besatzung durch die Truppen NS-Deutschlands beteiligte sich Bartali am sogenannten Assisi-Untergrund, der erstmals 1985 durch den gleichnamigen Spielfilm einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde. Immer wieder fuhr Bartali die 180 Kilometer zwischen Florenz und Assisi.
Vorbei an Kontrollposten und Soldaten schmuggelte er im Rahmen und im Sattel seines Rennrads Fotos und gefälschte Dokumente für insgesamt etwa 800 versteckte Juden, denen er so die Flucht vor Deportation und Vernichtung ermöglichte. Einige versteckte der Rennfahrer sogar persönlich in seinem Keller. Yad Vashem verlieh Bartali im September 2013 dafür den Titel eines »Gerechten unter den Völkern«. Nun wurde bei einer Zeremonie in Yad Vashem am Mittwoch Bartali postum die israelische Ehrenbürgerwürde verliehen.