Autofahrer umgehen Neve Zedek am besten, denn Lastwagen, Betonmischer und Kräne haben dieser Tage Vorfahrt. Trotz der strikten Auflagen der Stadtverwaltung entstehen überall neue Häuser und Wohnungen. Bei einem Mindest-Quadratmeterpreis von 50.000 Schekel (etwa 10.000 Euro) können sich die allerdings nur Besserverdiener leisten.
Bis in die 80er-Jahre war es der Slum der Stadt. Dann erkannten Makler den Wert der Lage des urbanen Schandflecks zwischen Strand und Rothschild-Boulevard. Heute ist Neve Zedek die trendigste Gegend von ganz Tel Aviv. Und die teuerste. Trotzdem wollen sich immer mehr – vornehmlich gut betuchte – Menschen hier niederlassen. An fast jeder Ecke wird derzeit gebaut.
Besserverdiener Dass es mittlerweile Tel Avivs luxuriöseste Wohngegend ist, bestätigt Oren Katz vom Maklerbüro an der Schabazi-Straße. »Ich habe auch Residenzen im Angebot, für die man 100.000 Schekel pro Quadratmeter zahlen muss. Das hat man sonst nirgends.« Gleichzeitig gebe es hier noch viele alte, abrissreife Häuschen und jede Menge Straßenkatzen, erzählt er. »Das ist eben der besondere Charme von Neve Zedek.«
Gern kaufen sich heute wohlhabende Juden aus Frankreich oder den USA eine schicke Wohnung mit Blick aufs Meer, entweder, um sofort Alija zu machen, oder um sich den Zukunftstraum eines Ruhestandes im Heiligen Land zu erfüllen. Die verwinkelten Gassen mit den schmucken Häusern haben jede Menge Flair und laden zum Umherschlendern ein. Die Lage könnte besser nicht sein: An der einen Seite grenzt Neve Zedek an die Strandpromenade, von der anderen aus stößt man auf die beliebte Ausgehmeile Rothschild-Boulevard. Verlässt man die Straßen in Richtung Norden, steht man mitten im bunten Carmel-Markt.
Milliardäre Touristen aus dem In- und Ausland spazieren am liebsten auf der angesagten Schabazi-Straße. Boutiquen, Cafés, Restaurants, Design- und Juweliergeschäfte reihen sich aneinander. Auffallend viele französische Läden öffnen zudem ihre Pforten: eine Bäckerei mit den typischen Croissants und Baguettes in den Auslagen, eine Epicerie mit Feinkost wie in Paris oder Marseille.
Am südlichen Ende der Schabazi liegt das weltbekannte Suzanne-Dellal-Zentrum für Tanz und Theater. Außerdem befinden sich hier das Rokach House und das Nachum-Gutman-Museum. Und sogar auf der Schabazi wird gebaut. Das alte Kopfsteinpflaster weicht einem ebenen Belag, darunter wurde die gesamte Wasser- und Stromversorgung erneuert.
Die Gerüchteküche in den Gassen brodelt, dass mittlerweile mehr als ein Dutzend Milliardäre Neve Zedek ihr Zuhause nennen. Die meisten von ihnen sollen jüdische Tycoons aus Russland sein. Einer von ihnen ist Roman Abramovich, besser bekannt als Eigentümer des Fußballvereins Chelsea.
Residenz Vor wenigen Wochen kaufte der für 25 Millionen Dollar das einstige Varsano-Hotel. Die New York Times beschrieb das Gebäude aus dem 19. Jahrhundert als »fantastischen und durchgestylten Ort«.
Auf 1500 Quadratmetern umfasst es ein Haupthaus mit Lobby und Speisesaal sowie sechs Schlafzimmer, die in verschiedenen Gartenvillen untergebracht sind. Doch Roman Abramovich wird wohl keine fremden Gäste beherbergen, sondern will das Haus zu einer Privatresidenz umgestalten lassen.
Neve Zedek ist der älteste Teil von Tel Aviv. Den Grundstein legte 1883 die Familie Chelouche, die dem »Gestank und den Seuchen in der Hafenstadt Jaffa« entkommen wollte und ihr neues Haus auf diesem damals freien Fleckchen Erde baute. 1887 wurde es mit dem Einzug von 48 weiteren Familien offiziell als Stadtviertel anerkannt. Nach den Einwanderungswellen der 50er- und 60er-Jahre allerdings zogen sozial schwächere Israelis in die Gegend. Wer sagte: »Ich wohne in Neve Zedek«, erntete schiefe Blicke. Denn das Viertel verkam zu einem der berüchtigtsten von ganz Tel Aviv, das für seine windschiefen, illegalen Bauten und die hohe Kriminalitätsrate berüchtigt war.
Bauaufsicht Das alles ist längst Vergangenheit. Heute ist fast alles schick. Die hässlichen Häuschen weichen zusehends hypermodernen Wohnkomplexen in Pastellfarben, typisch für die Gegend. Bauleiter Aviad Levy ist seit einem Monat auf einer Baustelle an der Hermon-Straße beschäftigt. »Neve Zedek hat was, das ist klar. Aber die Regeln der Stadtverwaltung sind hier extrem streng«, weiß er. »Die Behörden sichern sich heute doppelt und dreifach ab, damit der Charakter des Viertels bestehen bleibt.« Dazu gehört, dass die Häuser nicht mehr als drei Stockwerke hoch sein dürfen.
Ständig würden Beamte der Stadtverwaltung durch die Straßen gehen und den Architekten sowie Bauleitern auf die Finger schauen, damit die auch nichts Verbotenes tun. »Das ist sehr anstrengend«, findet Aviad Levy. Außerdem machten die vielen speziellen Auflagen das Bauen hier viel teurer als anderswo in der Stadt. »Doch die meisten Leute, die sich hier ein Haus leisten können«, sagt er dann und zuckt mit den Schultern, »schert das kein bisschen.«