Premierminister Benjamin Netanjahu plant israelischen Medienberichten zufolge, einen umfassenden Gesetzesvorschlag in der Knesset voranzutreiben, der die Macht des Obersten Gerichtshofes stark einschränken würde. Sollte ihm dies gelingen, bliebe ein Gericht übrig, das vorschlagen, aber nicht verbindlich urteilen kann.
Knesset Offenbar beabsichtige der Ministerpräsident, einen breit gefächerten sogenannten Außerkraftsetzungs-Paragrafen durchzudrücken. Dieser würde bedeuten, dass die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes auch in Verwaltungsangelegenheiten ignoriert werden könnte. Zunächst war wohl geplant, dass durch den Vorschlag lediglich Urteile missachtet werden können, die eine von der Knesset beschlossene Gesetzgebung aushebeln.
Das Demokratie-Institut kommt zu dem Schluss: »Ein Parlament mit uneingeschränkter Macht ist gefährlich.«
Im Hinterkopf habe Netanjahu dabei vor allem die Aufhebung seiner Immunität durch die Richter – im Falle einer Anklage gegen ihn. Auch Netanjahus Korruptionsverfahren, das wie ein politisches Damoklesschwert über seiner neuen Amtszeit schweben könnte, spielt bei dem angedachten Gesetzesentwurf vermutlich eine Rolle.
Korruption Im Februar hatte Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit verkündet, dass er Netanjahu nach einer Anhörung in drei Fällen wegen Korruption anklagen werde. Der Premier streitet bislang alle Vorwürfe ab und versucht, die Anhörung bis Juli aufzuschieben.
Netanjahus politische Widersacher jedoch fürchten, dass er die Zeit dazu nutzen will, das Gesetz zum Schutz seiner Immunität auf den Weg zu bringen. Angeblich sei der Plan dafür – mithilfe der Union der Rechtsparteien und des Knessetabgeordneten Bezalel Smotrich – bereits ausformuliert.
Macht Das Dokument solle dem Koalitionsvertrag als Anhang beigefügt werden. Smotrich ist der Auffassung, der Oberste Gerichtshof habe zu viel Macht. Mit der vorgesehenen Gesetzesänderung würde diese Macht an das Volk zurückgegeben. Parlamentarier des Likud feilten derzeit an der exakten Formulierung. »Während der Koalitionsverhandlungen wurden verschiedene Vorschläge eingebracht, um die Balance zwischen der Legislative und Judikative wiederherzustellen«, lautet eine Erklärung der Partei.
Auch Netanjahu äußerte sich zu den Vermutungen über einen Gesetzesvorschlag. Er schrieb, die Medienberichte seien »irreführend und verzerrt«. Der Premier gab jedoch zu verstehen, der Gerichtshof sollte nicht in der Lage sein, eine Entscheidung der Knesset zu annullieren.
Für Premier Netanjahu sind die Medienberichte »irreführend und verzerrt«.
Das israelische Demokratie-Institut widerspricht Aussagen zu der angeblichen »uneingeschränkten Macht des Obersten Gerichtshofes«. Anders als viele Demokratien habe Israel »kein Zwei-, sondern ein Einkammerparlament und deswegen nur wenig Kontrolle über Exekutive und Legislative«.
Im Gegensatz zu Deutschland oder den USA gibt es im jüdischen Staat »kein föderales System, um die zentrale Autorität auszubalancieren. Es existieren keine Verfassung oder Gesetze, die grundlegende Rechte garantieren, um Bürger vor der Tyrannei der Mehrheit in Schutz zu nehmen. Sogar demokratische Regime können Gesetze und Vorschriften erlassen, die demokratischen Prinzipien entgegenstehen und gegen Menschenrechte verstoßen. In solchen Fällen übernimmt der Oberste Gerichtshof die Rolle, Schwache und Minderheiten vor der Mehrheit zu schützen.« Das Demokratie-Institut kommt daher zu dem Schluss: »Ein Parlament mit uneingeschränkter Macht ist gefährlich.«
Opposition Auch Oppositionspolitiker sind entsetzt. Benny Gantz von der Union Blau-Weiß erläuterte, dass man zwar erwartet habe, Netanjahu werde alles tun, um eine Koalition zu bilden, die als juristisches Schutzschild für ihn fungieren werde, doch seine deutliche Missachtung der Rechtsstaatlichkeit gehe zu weit. »Wir werden nicht schweigend zusehen.«
Es könne nicht sein, dass Deals ausgehandelt werden, deren Zweck es ist, die Gesetzgebung zu beeinträchtigen und das Fundament der Demokratie zu untergraben, um einen Premierminister zu schützen, dem drei juristische Verfahren drohen. Gantz ergänzte: »Bibi, ich weiß, du hast erwartet, dass wir es unterwürfig akzeptieren. Doch Dinge zu ignorieren, ist dein Ding, nicht unseres!«
Die Vorsitzende der Linkspartei, Tamar Zandberg, nannte die Koalitionsvereinbarung einen Gesetzesbruch. »Das kommt einem Bestechungsversuch auf offener Straße gleich.«
Oppositionspolitiker sind entsetzt. »Wir werden nicht schweigend zusehen«, sagt Benny Gantz.
konferenz Auch die Präsidentin des Obersten Gerichtshofes, Esther Hayut, äußerte sich – wenn auch indirekt. Bei einer Konferenz der deutsch-israelischen Juristenvereinigung in Nürnberg sagte sie in Bezug auf die Nürnberger Gesetze der Nazis von 1935: »Hier in dieser Stadt erreichten Gesetz und Justiz einen Tiefpunkt in der Menschheitsgeschichte. Und das, obwohl das Land eine der progressivsten Verfassungen hatte, die Menschenrechte und Freiheiten schützten – die Weimarer Verfassung.«
Dies, sagte Hayut, sei Beweis, dass Demokratien nicht gegen jeden Angriff gewappnet seien. »Eine der umfassenden Lektionen, die wir aus den historischen Geschehnissen lernen sollten, ist die, dass die juristische Unabhängigkeit eine der wichtigsten Garantien ist, damit der Mensch eine Adresse hat, an die er sich wenden kann, um seine Rechte zu schützen.« Der Schutz dieses Prinzips und der Unabhängigkeit der Richter sei daher Eckpfeiler eines jeden demokratischen Regimes.
»Netanjahu versucht, sich selbst einen Freibrief auszustellen, um nicht ins Gefängnis zu müssen«, fasst Yair Lapid, Vorsitzender der Partei Jesch Atid, zusammen. »Und dabei verwandelt er den Staat Israel in eine Türkei.«