Ja zu Bussen oder Nein zu Bussen? Diese Frage ist eine der kontroversesten in Israel, wird oft hitzig diskutiert und bricht nicht selten gewalttätige Demonstrationen vom Zaun. Mehrere Bürgermeister beschlossen kürzlich, den religiösen Status quo so nicht mehr hinzunehmen. Sie wollen, dass die Räder in ihren Städten auch am Ruhetag rollen, zumindest in begrenztem Rahmen. Doch sie sind nach wie vor die Ausnahmen im Land. Der »Schabbus« fährt unter anderem in Tiberias, Ramat Gan und Ramat Hascharon.
Schmiererei Ihr Aufbegehren hat einen Preis. Extreme ultraorthodoxe Gruppen haben zum Kampf gegen die »Schabbatgegner« aufgerufen. Der stellvertretende Bürgermeister von Ramat Gan, Liad Ilani, fand vor einigen Tagen an seiner Haustür eine Schmiererei: »Ilani wird dafür bezahlen, den Schabbat zu stören«.
Der Politiker hat die Polizei eingeschaltet. »Ich bin eine öffentliche Person, und Kritik ist legitim, solange sie in angemessenem Rahmen geäußert wird«, sagte er. »Die Haustür des Gebäudes, in dem ich lebe, gehört nicht dazu. Meine Nachbarn, meine Frau und meine Kinder sollen darunter nicht leiden. Das geht zu weit. Die Dinge, für die wir stehen, sind nicht antireligiös, sondern es geht um die Bedürfnisse von allen Einwohnern in Ramat Gan – säkular und charedisch gleichermaßen.«
FREIHEIT Die Frage nach religiöser Freiheit ist eines der zentralen Themen bei den kommenden Wahlen am 17. September. Der einstige Verteidigungsminister und säkulare Politiker Avigdor Lieberman hatte Premier Benjamin Netanjahu nach der letzten Wahl eine Koalition verweigert, weil die streng religiösen Parteien seiner Meinung nach zu viel Einfluss in der Regierung hatten.
Ramat Gan folgt dem Beispiel von Haifa und Tiberias.
Jetzt nehmen einige Städte die Sache selbst in die Hand. Ramat Gan, das an Tel Aviv angrenzt, entschied jetzt, am Wochenende begrenzten öffentlichen Nahverkehr einzuführen. Der Plan sieht vor, dass Shuttlebusse vom Zentrum aus den Tel Aviver Strand und andere Freizeitgebiete anfahren. Die Fahrzeuge halten an vorhandenen Bushaltestellen und werden nicht durch Viertel fahren, in denen überwiegend Religiöse leben.
Zuvor hatte sich bereits der Bürgermeister von Tiberias, Ron Kobi, mit der NGO Noa Tnua zusammengetan, die sich für öffentlichen Nahverkehr am Schabbat einsetzt. Jetzt fahren einige Busse in der Stadt am See Genezareth auch am Freitag und Samstag – und sogar kostenlos für die Fahrgäste. Doch auch hier gab und gibt es noch immer extreme Opposition vom Rabbinat der Stadt, das dies als Verstoß gegen den Status quo ansieht.
Kobi argumentiert: »Dies ist kein religiöser Kampf, sondern ein sozialer Kampf für die Menschen in Tiberias, die sich kein Auto leisten können, damit auch sie ihren Schabbat am Kinneret genießen können.« Außerdem habe die Stadtverwaltung Zehntausende von Beschwerden von Besuchern erhalten, die Busse vermissen. »Die Tourismuseinrichtungen sind auch am Schabbat geöffnet, so wie es in einer fortschrittlichen Touristenstadt sein soll.« Andere Bürgermeister, die seinem Beispiel nicht folgten, bezeichnete Kobi als »Feiglinge«.
REFORM Mit 15 zu sechs Stimmen nahm der Stadtrat in Ramat Gan die Reform letztendlich an. Allerdings waren dem Beschluss eine hitzige Debatte und massiver Widerstand der ultraorthodoxen Parteien vorausgegangen. Nach dem Ergebnis zeigte sich Bürgermeister Carmel Shama-Hacohen entschlossen: »Die Verwaltung wird umgehend einen Betreiber beauftragen und die Routen und Zeiten veröffentlichen.« Versöhnlich fügte er hinzu: »Wir haben gestritten, aber wir sind alle Brüder, die einander lieben und respektieren. Das jüdische Volk hängt zuallererst von seiner Einheit ab.«
Die jedoch gibt es zwischen charedischen und säkularen Israelis in Sachen Schabbat nur selten. Die ultraorthodoxen Vertreter im Rat echauffierten sich über die »Entweihung des heiligen Schabbats« und sprachen von einer »schändlichen Entscheidung«. Der Vorsitzende der Partei Vereinigtes Tora-Judentum und stellvertretende Gesundheitsminister, Yaakov Litzman, warnte, dass er dagegen vorgehen will, weil »dies eine Grenze überschreitet«. Shama-Hacohen werde dafür einen hohen politischen Preis zahlen.
Andere hießen den Schritt willkommen, darunter Lieberman. Der schrieb, dass die Verwaltung in Ramat Gan die Idee der Schabbatbusse »im richtigen Ausmaß und mit Bedacht umgesetzt hat. Ich hoffe, dass andere Städte dem Beispiel folgen«. Auch Yair Lapid äußerte sich: »Israel muss frei sein und jeden Menschen respektieren – was auch immer seine Lebensweise oder Bräuche sein mögen.«
Besonders betroffen vom Mangel an Bussen sind die sozial schwächeren Gruppen der Bevölkerung.
Doch was ist der besagte Status quo eigentlich? »Das weiß wohl niemand genau«, sagt die Sozialwissenschaftlerin Galit Cohen-Blankshtain. »Er ist bestenfalls vage und wird immer dann heraufbeschworen, wenn man ihn politisch brauchen kann. Denn er macht viel Lärm und ist das reinste Totschlagargument.« Sie ist sicher, dass der sogenannte Status quo ständig gebrochen wird. »Allerdings meist so, dass es nicht sonderlich auffällt. Und dann kümmert es niemanden.«
STATUS QUO Generell gehöre aber schon dazu, dass es keinen öffentlichen Nahverkehr am Schabbat gibt. Allerdings mit Ausnahmen. Dazu gehört Haifa, die Stadt, die für ihre friedliche Koexistenz zwischen den Religionen und ethnischen Gruppen bekannt ist. Hier verkehren auch am Wochenende einige reguläre Linienbusse. Außerdem gibt es in Jerusalem das palästinensische Bussystem, das im Ostteil der Stadt an allen Tagen der Woche verkehrt.
Besonders betroffen vom Mangel an Bussen seien natürlich die sozial schwächeren Gruppen der Bevölkerung. »Doch offenbar reicht dieser Druck in der Politik nicht aus, um die Politik zum Umdenken zu bewegen.« Cohen-Blankshtain meint, dass das Brachliegen des öffentlichen Verkehrs am Wochenende ein Anachronismus ist. »Vor 40 oder 50 Jahren sind die Leute am Schabbat einfach nicht viel herumgefahren, und für die meisten war es in Ordnung, die Zeit zu Hause zu verbringen. Doch heute sind wir viel mobiler als damals. Der Bedarf ist gestiegen, und der Kontrast wird dadurch viel deutlicher.« Außerdem stünden die Busse für die säkularen Israelis symbolisch für etwas Wesentliches: die Freiheit der Fortbewegung.
Gesetz Lange sei es ungeschriebenes Gesetz gewesen, dass keine Geschäfte, Restaurants oder Kinos in unmittelbarer Nähe von charedischen Vierteln am Schabbat geöffnet sind und dort auch keine Busse verkehren. »Der Status quo war, dass wir den Schabbat in religiösen Gegenden nicht stören. Die Säkularen erwarteten im Gegenzug, dass sie in ihren Vierteln machen konnten, was sie wollten. Doch so ist es nicht mehr. Der Kampf wird auf beiden Seiten immer aggressiver.«
Dass in absehbarer Zeit ein regulärer Busverkehr am Ruhetag eingeführt wird, bezweifelt die Expertin jedoch. »Die ultra-orthodoxen Parteien haben tatsächlich viel Einfluss in der Politik. In diesem politischen Klima werden die Räder ganz sicher nicht regulär rollen.«