Neidvoll blicken viele im Moment auf Israel. Knapp 30 Prozent der israelischen Bevölkerung ist bereits gegen das Coronavirus geimpft – nur die Vereinigten Arabischen Emirate können da einigermaßen Schritt halten. Alle anderen Länder, darunter auch Deutschland, haben nur einen Bruchteil der israelischen Impfquote erreicht.
VERTRAG In Israel besteht die Pflicht, sich in einer von vier öffentlichen Krankenkassen zu registrieren. Diese führen die Impfungen jeweils in Eigenregie durch. Fast alle Israelis sind in elektronischen Gesundheitsregistern erfasst. Das ermöglicht nicht nur ein Tempo bei der Impfkampagne, sondern erlaubt auch einen guten Einblick in die Patientendaten.
Schon seit Beginn der Kampagne im Dezember werden aber Vorhaltungen an die Adresse Israels laut. Der Preis, den das Land dem amerikanischen Pharmariesen Pfizer für die Lieferung des Vakzins zahle, sei viel höher als beispielsweise in Europa, hieß es zunächst. Israel werde deshalb von Pfizer eine Extrawurst gebraten. Dann wurde suggeriert, Israel verwehre den Palästinensern den Zugang zum Impfstoff.
Israel mache sich freiwillig zum »Testkaninchen« der Pharmakonzerne, sagt Ehud Barak.
Jetzt wurde ein neuer Vorwurf laut: Israel verscherble im Gegenzug für die schnellere Belieferung mit Impfstoff die Gesundheitsdaten seiner Patienten an Pfizer und verletze so den Datenschutz und die Privatsphäre der Bürger. Das Israel Democracy Institute (IDI) warf der Regierung in Jerusalem vor, Pfizer Zugang zur Impfdatenbank des Landes zu gewähren. Das Unternehmen habe schon seit Jahren darauf abgesehen, an die in dem »Nahliel« genannten System gespeicherten Daten zu gelangen, erklärte IDI-Juristin Tehilla Shwartz-Altshuler.
Das israelische Helsinki-Komitee forderte im Zusammenhang mit der Impfkampagne, man müsse sicherstellen, »dass die Rechte und die Privatsphäre der israelischen Bürger geschützt werden«. Der frühere Ministerpräsident Ehud Barak ging noch weiter. Israel mache sich freiwillig zum »Testkaninchen« der Pharmakonzerne, sagte er Anfang des Monats.
VERWENDUNG Am Sonntag veröffentlichte das Gesundheitsministerium als Reaktion auf die Debatte ein 20 Seiten langes »Memorandum of Understanding« (MoU) mit dem Pharmariesen Pfizer, das am 6. Januar unterzeichnet worden war. Zwar sind darin einige wichtig Passagen geschwärzt, dennoch liefert das Papier Erkenntnisse über die Modalitäten der Zusammenarbeit mit Pfizer. Ziel sei es, so der Vertragstext, möglichst schnell in Israel das Stadium der »Herdenimmunität« zu erzielen. Das bedeutet, dass ein ausreichender Teil der Bevölkerung gegen das Virus immunisiert ist.
Ob allerdings auch persönliche Daten weitergeben werden, ist nicht klar.
Mindestens einmal in der Woche sollen die Behörden demnach Daten an Pfizer übermitteln. Das Unternehmen enthält neben den öffentlich bekannten Covid-19-Infektions- und Sterberaten auch nach Alter und »anderen demografischen Untergruppen« aufgeschlüsselte Daten zur laufenden Impfkampagne. Zusätzlich sollen laut Vertrag Analysen über die Wirksamkeit zwischen den Vertragspartner ausgetauscht werden – ebenfalls nach Untergruppen aufgeteilt.
Ob allerdings auch persönliche Daten weitergeben werden, ist nicht klar. Wörtlich heißt es in dem Memorandum: »Beide Parteien werden sich bei Bedarf gegenseitig die folgenden Zusatzdokumente zur Verfügung stellen: Gegebenenfalls ein elektronisches ›Daten-Wörterbuch‹, bestehend aus allen verwendeten Datenvariablen, kommentiert mit Variablennamen und entsprechenden Datensätzen; eine Dokumentation der statistischen Programmieralgorithmen, die zur Erstellung der Analysedatensätze verwendet wurden; Methoden zur Konvertierung von Quelldaten in (abgeleitete) Ausgabedaten; und relevante statistische Analyseannahmen oder -pläne, falls zum Verständnis der Datensätze erforderlich (zum Beispiel statistischer Analyse Plan, Tabellenverzeichnis, Programmierplan); jede andere Dokumentation, die von einer der beiden Parteien vernünftigerweise angefordert werden kann und von beiden Parteien einvernehmlich von beiden Parteien vereinbart werden.«
VERÖFFENTLICHUNG Die Analyse der Daten im Zusammenhang mit dem Impfprojekt werde »unabhängig oder gemeinsam« vom israelischen Gesundheitsministerium und von Pfizer durchgeführt und mit der jeweils anderen Partei geteilt, stellt der Vertrag klar. Dem Pharmakonzern ist es zwar nicht gestattet, die Datensätze an Dritte weiterzugeben oder zu Zwecken zu verwenden, die nicht der öffentlichen Gesundheitsvorsorge dienen.
Dennoch wird ausdrücklich nicht ausgeschlossen, dass die israelischen Daten über die Covid-19-Bekämpfung hinaus auch zur Entwicklung von Mitteln gegen andere Krankheitserreger verwendet werden. Pfizer scheint also zum Dank für die schnelle Belieferung Israels einen Vorteil zu bekommen, den seine Mitbewerber bislang nicht haben: Zugang großen und potenziell aufschlussreichen Datenmengen. Zu einem späteren Zeitpunkt sollen die Erkenntnisse gemäß dem MoU auch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Die israelische Regierung argumentiert, dass praktisch alle relevanten Information in Bezug auf die Corona-Pandemie und die Impfkampagne sowieso öffentlich zugänglich seien.
Bereits vor drei Jahren hatte die Netanjahu-Regierung beschlossen, die medizinischen Daten aller Bürger des Landes in anonymisierter Form für Forschungszwecke freizugeben. Die israelische Regierung argumentiert zudem, dass praktisch alle relevanten Information in Bezug auf die Corona-Pandemie und die Impfkampagne sowieso öffentlich zugänglich seien.
»Es handelt sich um offizielle Informationen über die Krankheit und die Epidemie, die täglich vom Gesundheitsministerium für die Öffentlichkeit und an alle Gesundheitsbehörden des Landes verteilt werden«, so das Gesundheitsministerium in einer Stellungnahme. Die übermittelten Informationen enthielten keine identifizierbaren Daten und fielen deshalb auch nicht unter die Vorschriften zum Schutz der Privatsphäre.
Warum dennoch ein Vertrag mit Pfizer eigens zum Thema Datenaustausch und -nutzung abgeschlossen werden musste, erklärte das Ministerium aber nicht. mth