Dieser Haifisch ging ans Netz, nicht ins Netz. Vor drei Wochen begann die Förderung aus dem Erdgasfeld mit Namen Karisch (hebräisch für Hai) vor der Küste Israels. Kurz zuvor war der Disput mit dem Nachbarn Libanon um die Meeresgrenzen durch die Vermittlung der USA beigelegt worden. »Dieser Ort hier ist die Energie- und Wirtschaftszukunft des Staates Israel«, sagte Premierminister Yair Lapid damals bei einer Bootstour zur Förderungsplattform.
»Das Gas aus Karisch wird die Energiepreise zu Hause senken. Gleichzeitig wird Israel seine Erdgasexporte steigern, unser Land zu einem regionalen Energieversorger machen und Europa dabei helfen, die Energiekrise zu bewältigen«, versprach er. »Von hier fließt das Gas, das niedrigere Lebenshaltungskosten verspricht. Das ist eine große Errungenschaft für den Staat Israel.«
endverbraucher Energean PLC, der Eigentümer der Erdgasförderrechte aus den Karisch- und Tanin-Feldern im Mittelmeer, begann bereits mit der Lieferung an heimische Kunden. Seit rund zwei Wochen versorgt das Erdgas die Israelis mit Strom. Infolgedessen sollten die Energiepreise für die Endverbraucher sinken, meinen Wirtschaftsexperten – während sie in vielen Teilen der Welt immer mehr in die Höhe schnellen.
Doch statt niedrigen Preisen gab es zunächst auch für die Israelis höhere Stromrechnungen. Zwar keine, wie die Europäer sie hinnehmen mussten, aber immerhin wurde Energie am Ende des Sommers um knapp zehn Prozent teurer.
Die Elektrizitätsbehörde gab als Grund die globale Energiekrise an, die die Preise aller Brennstoffe erheblich beeinflusst: »In der Folge sind die Energie- und Strompreise in vielen Ländern der Welt erheblich gestiegen. Im Gegensatz dazu sind die Auswirkungen der Energiekrise auf Israel begrenzt, da der größte Teil des Stroms des Landes durch Gas erzeugt wird.«
kohle Allerdings stammen noch immer 23 Prozent der israelischen Gesamtproduktion des Stroms aus Kohle, größtenteils aus Russland, »und die ist stark von der Energiekrise betroffen«, so die Behörde. Allein in den vergangenen Monaten sei der Preis für Kohle um mehr als 140 Prozent gestiegen. Derzeit kostet die Kilowattstunde Strom in Israel 54,49 Agorot, umgerechnet 15 Cent. In Deutschland ist der Preis mit mehr als 48 Cent für dieselbe Menge mehr als dreimal so hoch.
23 Prozent der Stromproduktion stammen noch immer aus Kohle.
Jossi Abu, Geschäftsführer von NewMed Energy, dem rund 45 Prozent des großen Erdgasfeldes Leviathan vor der Küste Israels gehören, erklärte in einem Interview mit der israelischen Zeitung »Israel Hayom«: »Wenn wir diese Entdeckungen nicht gemacht hätten, würden die israelischen Bürger mindestens 60 Prozent für ihre Stromrechnung mehr bezahlen.« Die Weltenergiekrise habe die Bedeutung des israelischen Erdgases fundamental erhöht, nicht nur für Israel, sondern auch auf regionaler Ebene, für Jordanien und Ägypten.
»Wir sehen dies natürlich in Europa, wo der Strompreis dramatisch gestiegen ist. Israel hat heute einen der niedrigsten Erdgaspreise der Welt, und das spiegelt sich in den Stromtarifen der Bürger wider.« Doch es ist mitnichten alles günstig in Israel. Denn trotz relativ stabiler Energiepreise hat es Preiserhöhungen in vielen Bereichen gegeben.
prognose Auch die Elektrizitätsbehörde hatte prognostiziert, dass »die Verteuerung des Stroms voraussichtlich die Preise vieler Produkte beeinflussen wird«. Und so geschah es. Unmittelbar nach den jüdischen Feiertagen mussten die Israelis für viele Waren des täglichen Lebens mehr berappen, darunter für eine Vielzahl von Lebensmitteln, die plötzlich bis zu 16 Prozent mehr kosteten. Darüber hinaus erhöhte die Regierung den Benzinpreis in diesem Jahr bereits viermal.
Die Erdgas-Vorkommen sind nicht nur für Israels nahezu unabhängige Energieversorgung verantwortlich, sondern auch für die Inflationsrate, die mit 4,4 Prozent derzeit weniger als die Hälfte vieler Industrieländer beträgt. In Deutschland lag sie im Oktober bei 10,4, in den USA bei 8,2 Prozent.
Jahrelange Forschungen haben gezeigt, dass die Inflationsraten der westlichen Länder eng miteinander verflochten sind und sich dieser Zusammenhang im vergangenen Jahrzehnt sogar verstärkt hat. Grund dafür ist, dass die meisten entwickelten Länder ähnliche Inflationsziele verfolgen und alle von denselben Lieferketten und derselben globalen Produktion abhängig sind.
korrelation Trotz dieser starken Korrelation stellte die Bank of Israel fest, dass die Verbindung zwischen den Inflationsraten der verschiedenen Industrieländer viel weniger eng sei, wenn die Energiekomponente vom Preisanstieg abgezogen werde. Sie resümiert: »Die divergierenden Inflationsraten Israels und seiner Handelspartner sind hauptsächlich auf die Unterschiede bei den Energiepreisen zurückzuführen«.
Denn der Anstieg der weltweiten Inflation in der ersten Hälfte des Jahres wird vor allem auf die extrem erhöhten Energie- und Rohstoffpreise seit der russischen Invasion in der Ukraine sowie auf die Unterbrechungen innerhalb der Lieferketten zurückgeführt, die wiederum durch wiederholte Lockdowns in China als Reaktion auf die Covid-Pandemie entstanden waren.
Das Erdgas bleibt voraussichtlich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten die verlässlichste Quelle für Strom in Israel.
Wenn der Winter kommt und der Erdgaspreis in Europa aufgrund der unsicheren Lieferungen aus Russland wahrscheinlich weiter steigen werde, während Israels Erdgaspreis unverändert bleibe, könnte sich die Inflationslücke zwischen Israel und Europa weiter vergrößern, sagt die Bank of Israel voraus.
Während sich auch immer mehr Israelis für erneuerbare Energien, vor allem Sonnenenergie, interessieren und es sogar finanzielle Anreize für Solarpanels auf privaten Hausdächern gibt, scheint eine Revolution in diesem Bereich nicht in Sicht. Das vom Energieministerium gesetzte Ziel von zehn Prozent an erneuerbaren Energien bis 2020 hatte das Land mit nur sechs Prozent nicht erreicht. Trotz Sonnenschein praktisch das ganze Jahr über, riesiger Wüstengebiete und Zugang zu neuen Technologien zur effizienten Stromerzeugung und -speicherung gibt es Zweifel daran, ob selbst das Ziel von 30 Prozent bis 2030 realistisch ist.
Energiequelle Denn die Hürden sind vielfältig; darunter die Suche nach Plätzen für die Solarmodule, die zur Stromversorgung benötigt werden, die Lösung organisatorischer Probleme und die Modernisierung der veralteten und unzureichenden elektrischen Infrastruktur des Landes. Jedem achten Israeli, der sein Dach zur Solaranlage umfunktionieren möchte, wird gesagt, dass das Stromnetz dies nicht verarbeiten könne.
Daher bleibt das Erdgas voraussichtlich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten die verlässlichste Quelle für Strom in Israel. NewMed Energy will auch daran beteiligt sein, Europas Abhängigkeit von russischer Energie zu verringern. »Ich glaube, dass wir in den kommenden Jahren den Zustand erreichen werden, dass Israel ein äußerst wichtiger Energielieferant für Europa sein wird. Wir werden zwar die Russen nicht ersetzen, aber ein zentraler Teil der europäischen Lösung für seine Energiekrise werden«, sagt Jossi Abu.
Der Geschäftsführer geht davon aus, dass man über einen Zeitraum von 20 Jahren jährlich zehn bis 20 Milliarden Kubikmeter Gas nach Europa liefern könne. »Es ist ein Deal von 100 Milliarden Dollar. Der Staat erhält 50 Prozent davon, ohne etwas zu investieren. Wir sprechen von dramatischen Einnahmen für Israel: Erdgas ist ein äußerst wichtiger Wirtschaftsanker.«