Der Feind meines Feindes ist mein Freund», lautet ein altes Sprichwort. Was aber, wenn der Freund meines Freundes mein Feind ist? Schwierig! Obwohl die Türkei als Verbündeter des Irans gilt, reichten die Regierungen von Jerusalem und Ankara jetzt einander die Hände und nahmen trotz gravierender Differenzen wieder volle diplomatische Beziehungen auf.
Einst engste Partner in der Region, dann Erzfeinde und jetzt wieder Freunde. Wenn auch vorsichtige. Am 17. August gaben die Regierungen bekannt, wieder Botschafter und Generalkonsulate zu entsenden. Damit ist zumindest eine Normalisierung der Beziehungen erreicht.
Der konkrete Prozess der erneuten Annäherung hatte Anfang dieses Jahres begonnen. Im März traf sich Präsident Isaac Herzog mit seinem Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan in der türkischen Hauptstadt. Vor zwei Monaten besuchte Yair Lapid als Außenminister Ankara, nachdem sein türkischer Amtskollege nach Jerusalem gereist war. Es war der erste hochrangige Besuch eines Beamten aus der Türkei seit 15 Jahren.
nachbarschaft «Ich begrüße die Wiederaufnahme der vollen diplomatischen Beziehungen mit der Türkei – eine wichtige Entwicklung, die engere Wirtschaftsbeziehungen, gegenseitigen Tourismus und Freundschaft zwischen dem israelischen und dem türkischen Volk fördern wird», twitterte Herzog. «Gute nachbarschaftliche Beziehungen und die Partnerschaftlichkeit im Nahen Osten sind für uns alle wichtig. Angehörige aller Glaubensrichtungen, Muslime, Juden und Christen, können und müssen friedlich zusammenleben.»
Lapid sprach anschließend mit dem türkischen Präsidenten. «Die Wiederaufnahme der Beziehungen zur Türkei ist ein großer Vorteil für die regionale Stabilität und birgt wichtige Wirtschaftsnachrichten für die Bürger Israels. Wir werden Israels Ansehen in der Welt weiter stärken.» Außenminister Mevlüt Cavusoglu bestätigte die Entscheidung zur neuerlichen Ernennung von Botschaftern und sagte, Ankara werde seinen Gesandten nach Tel Aviv schicken. Er fügte hinzu, dass die Türkei trotz des Normalisierungsprozesses mit dem jüdischen Staat weiterhin «die Rechte von Palästina, Jerusalem und Gaza verteidigen» werde.
Die Länder hatten ihre jeweiligen Botschafter im Jahr 2010 zurückbeordert, nachdem die israelische Marine eine Flottille aus der Türkei abgefangen hatte. Neun türkische Staatsangehörige starben damals. Nach einem Versuch, die Beziehungen zu kitten, zog die Türkei 2018 ihren Diplomaten wieder ab, als die USA ihre Botschaft nach Jerusalem verlegten.
Was aber, wenn der Freund meines Freundes mein Feind ist?
Trotz der tief sitzenden Verstimmung liefen die Handelsbeziehungen weiter und erreichten 2021 einen historischen Höchststand von knapp sieben Milliarden Dollar Volumen. 4,7 Milliarden Dollar erreichten die türkischen Warenlieferungen nach Israel, rund zwei Milliarden erzielten israelische Exporte. Die Türkei ist einer der fünf wichtigsten Handelspartner Israels, während Israel einen der zehn wichtigsten Exportmärkte der Türkei darstellt.
gaslieferungen Einen weiteren wirtschaftlichen Aspekt will die Türkei im Rahmen der Normalisierung sicher vorantreiben: Gaslieferungen in oder durch die Türkei. Eine Pipeline, die israelisches Gas in die Türkei transportiert, könnte Ankara helfen, seine Lieferanten zu diversifizieren und die starke Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern. Darüber hinaus birgt dies die Möglichkeit, die Stellung der Türkei als Transitknoten für Erdgas in den europäischen Markt zu stärken.
Doch stehen die Verbindungen dieses Mal auf einem stärkeren Fundament? «Wir haben gesehen, dass die türkische Seite mehr daran interessiert war, die Verbindungen zu verbessern. In der Vergangenheit war es meist andersherum. Da war Israel die ›schwächere Seite‹ und suchte Annäherung. Doch dieses Mal kam das Signal von einer wirtschaftlich und regional geschwächten Türkei», erläutert die Türkei-Expertin Gallia Lindenstrauss vom Institut für Nationale Sicherheitsstudien der Universität Tel Aviv.
Jerusalem sei skeptisch gewesen, ob die Versuche der Türkei ernst gemeint waren. Doch es habe einige vertrauensbildende Maßnahmen gegeben, die Israel überzeugt hätten, die diplomatischen Beziehungen zu normalisieren, sagt sie.
Erdogan unterstütze indes nach wie vor eine Zweistaatenlösung im Nahostkonflikt, und dass die Hamas auf türkischem Boden agiere, sei ebenfalls kein Geheimnis. «Die Position der Türkei zum israelisch-palästinensischen Konflikt ist bekannt. Viele von Israels Partnern haben dieselbe Einstellung», so Lindenstrauss. «Doch natürlich ist es ein besonders wichtiger Aspekt für Israel, die Türkei zu drängen, die militärische Aktivität der Hamas in ihrem Land zu begrenzen.» Ihrer Meinung nach habe Erdogan auch hier Jerusalem signalisiert, dass er härter gegen die Terrorgruppe durchgreifen wolle. «Hoffentlich hält er sein Wort.»
Ob es sicher sei, für Israelis, jetzt in die Türkei zu reisen, habe nichts mit den bilateralen Beziehungen zu tun, betont sie. Vielmehr gebe es Gefährdungen für israelische Touristen aus dem Iran und durch Terrororganisationen nicht nur in der Türkei, sondern auch an Orten, wo dies nicht erwartet werde. Allerdings habe man bei dem letzten Vorfall in der Türkei eine extrem enge Zusammenarbeit zwischen den israelischen und türkischen Geheimdiensten gesehen, um iranische Anschläge gegen Israelis in der Türkei zu vereiteln, «und das ist für Israelis und Türken gleichermaßen eine sehr gute Nachricht».
Verbindungen Zudem spielten auch die guten türkischen Verbindungen zum Iran in der Beziehung zu Jerusalem eine Rolle. «Natürlich ist Israel nur ein Teil der regionalen Verbindungen der Türkei. Jerusalem und Ankara stimmen nach wie vor in vielen Bereichen nicht überein. Doch auch die Verständigung zwischen der Türkei und dem Iran ist begrenzt», so die Expertin. Es gebe Spannungen und Konkurrenz zwischen den Regimen bezüglich des Kaukasus, Nord-Iraks und Nord-Syriens. «Während ich es nicht sehe, dass die Türkei und Jerusalem in Sachen Iran auf einer strategischen Linie liegen, gibt es auf jeden Fall Dinge, die Teheran tut, die den türkischen Präsidenten mächtig stören.»
Es wird vermutet, dass Erdogan sich vor allem deshalb Israel jetzt annähern wollte, weil die Wahlen in seinem Land bevorstehen. Das bestätigt Lindenstrauss. Danach, meint sie, bestehe durchaus die Gefahr, dass wieder der Hardliner Erdogan zum Vorschein komme. «Wir befinden uns gerade in stürmischen Zeiten, Israel wählt im November, die Türkei im Juni. Klar ist, dass Ankara die jetzige gemäßigte Regierung in Jerusalem für die Normalisierung ausnutzen wollte. Doch was danach kommt, weiß niemand.»