Sie bleiben vage, hadern mit einer Antwort, drucksen herum. Man merkt ihnen an, dass sie sich am liebsten gar nicht äußern würden. Doch die Frage stellt sich den Beamten, Vertretern der öffentlichen Verwaltung und der Politik in Israel dieser Tage immer wieder: Auf wen würden sie im Falle einer Verfassungskrise hören? Auf die Regierung oder die Gerichte?
Unklar äußerte sich auch der Polizeichef der Küstenregion, Yoram Sofer, der als Spitzenkandidat für das Amt des Polizeikommissars gilt. Vergangene Woche wurde er bei einer Pressekonferenz, bei der es um die tödliche Gewaltkriminalität in der arabischen Gemeinschaft ging, gefragt, wie er sich im Fall einer solchen Krise verhalten würde.
konflikt »Ich bin ein Beamter, ein Mann des Gesetzes. Ich denke, die Frage ist für diese Thematik nicht relevant«, antwortete er, als er neben dem nationalen Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir von der rechtsextremen Partei Otzma Yehudit saß, der die Polizei beaufsichtigt. Nur wenige Tage zuvor war der jetzige Polizeikommissar Kobi Shabtai diesbezüglich öffentlich mit Ben-Gvir in Konflikt geraten, als er klarmachte, »die Polizei muss sich an das Gesetz halten«. Solange er das Kommando habe, sei es das einzige Leitprinzip. Seine Amtszeit endet im Januar.
Der Minister indes besteht darauf, dass die Polizei den Politikern folgt. Er sagte, dass er »keinen Widerspruch« darin sehe, da »die gewählte Regierung die Gesetze festlegt, die die Polizei durchsetzt«.
Am Dienstag stellte der Kandidat für den Posten, Sofer, dann doch klar, dass er sich auf die Seite des Obersten Gerichtshofs stellen werde. »Die israelische Polizei ist die Autorität, überall und jederzeit für die Einhaltung des Gesetzes zu sorgen. Daher bin ich als Polizeibeamter und Kommandant der Organisation an die Gesetze und Gerichtsurteile gebunden. Dies ist mein rechtlicher Rahmen und die Quelle meiner Autorität für mein Handeln – auf immer und ewig.«
PETITIONEN Hintergrund der Äußerungen sind mehrere Petitionen, die der Oberste Gerichtshof im nächsten Monat hören wird, die die Aufhebung der beiden von der Regierung verabschiedeten quasi-verfassungsmäßigen Grundgesetze fordern (zur Ausschlussregelung und der Angemessenheitsklausel). Zudem wird es vor den Richtern darum gehen, Justizminister Yariv Levin zum Einberufen des Komitees der Richterernennung zu zwingen. Der weigert sich bislang, dies zu tun, da die heutige Mehrheit des Komitees liberaler eingestellt ist als die Regierung. So könnte es zu einer Neubesetzung des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes kommen, die der Regierung nicht zusagt – und genau das will Levin verhindern. Die jetzige Präsidentin Esther Hayut wird im Oktober in den Ruhestand gehen.
Die Polizei könnte aufgefordert werden, ein Urteil des Obersten Gerichtshofs durchzusetzen, das von der Regierung abgelehnt wird. Das Gesetz zur Aufhebung des Grundsatzes der Angemessenheit ist Teil der Umwälzung des Rechtssystems von Levin und bringt seit Monaten Hunderttausende Demonstranten auf die Straße.
Minister Ben-Gvir besteht darauf, dass die Polizei der Politik gehorcht.
In der rechtsreligiösen Koalition indes gibt es Forderungen, möglichen Gerichtsentscheiden nicht zu folgen. So sagte Kulturminister Amichai Eliyahu im Radio Galey Israel: »Wir müssen die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs nicht respektieren, er respektiert auch die der Knesset nicht.« Ein derartiges Szenario aber würde Israel in eine tiefe Verfassungskrise stürzen und könnte die Sicherheitskräfte wie Polizei und Armee in die Lage bringen, sich entscheiden zu müssen, ob sie der Regierung oder dem Gericht gehorchen.
Der Experte für Recht und Sicherheit, Amichai Cohen, Juraprofessor am Ono Academic College, ist allerdings der Meinung, dass in »naher Zukunft erst einmal gar nichts geschieht«. Erstens werden die Beratungen wahrscheinlich einige Monate in Anspruch nehmen, bevor ein Urteil gefällt wird, und zweitens würden sich weder Politiker noch Richter auf derart dünnes Eis bewegen. »Denn ein Gericht in Israel hat noch nie ein Grundrecht oder eine Änderung dessen niedergeschlagen.«
ETHOS Was allerdings in fernerer Zukunft passiert, das sei in der Tat ungewiss, etwa, wenn die Regierung die Generalstaatsanwältin feuert. Das wäre eine echte Verfassungskrise, und es könnte sich schnell die Frage stellen: Wem folgt die öffentliche Verwaltung, beispielsweise die Polizei? »Alle Sicherheitskräfte und sonstige Verwaltungsbeamte würden dann aber auf der Seite des Gerichts stehen«, ist Cohen sicher. »Allein wegen ihres starken professionellen Ethos.«
Der Rechtsexperte ist zudem von einer anderen Sache überzeugt: »Im Fall einer Verfassungskrise wird diese Regierung fallen. In anderen Ländern könnte eine Machtergreifung durch einen Coup folgen, doch das sehe ich bei uns nicht. Stattdessen würde es wohl eine Einheitsregierung geben. Mit oder ohne Netanjahu.« Allerdings zweifelt er daran, dass es überhaupt dazu kommt. »Denn so, wie ich weiß, dass sich der öffentliche Dienst pro Gericht entscheiden würde, so weiß das auch die Regierung und wird ein derartiges Szenario nicht zulassen.«
Gleichfalls geht Cohen davon aus, dass sich der Oberste Gerichtshof zurückhalten wird. »Ich glaube, dass er in erster Linie einheitlich erscheinen will, denn selbst, wenn er mit einem Urteil gegen die Gesetze durchkommt, könnte es den Gerichtshof langfristig schwächen, weil die Regierung alles dafür tun würde.«
prozedere Stattdessen setzt er auf einen Entscheid, der den Prozess der Gesetzgebung anprangert. Der Vorsitzende des Gesetzgebungskomitees, Simcha Rothman, hat ein »fragwürdiges Prozedere angewandt«, erklärt Cohen. Ein prozeduraler Einwand wäre in gewisser Weise »ein Mittel- und auch ein Ausweg«. Ob er sich dessen sicher ist? »Es ist nur eine Möglichkeit. Man muss bedenken, dass Israel so etwas noch nie erlebt hat.«
Auch Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hielt sich mehrfach zurück, eine eindeutige Stellungnahme abzugeben. »Israelische Regierungen respektieren immer die Rechtsprechung, und das Gericht hat sich immer als den Grundgesetzen unterworfen betrachtet, denen es den Status einer Verfassung zuschreibt«, erläuterte er. Die Frage, ob sich auch seine Koalition an ein Urteil halten werde, ließ er offen. »Wir hoffen, dass es nicht dazu kommt«, fügte er hinzu.