Die Gerüchte halten sich hartnäckig: Im israelischen Gangstertum gehe es lediglich um Schutzgelderpressung in Falafelbuden und um Kleinkriminelle, die sich gegenseitig mit Wasserpistolen beschießen. Doch mitnichten: Israelische Verbrechersyndikate können mittlerweile in Sachen Brutalität und Boshaftigkeit locker mit der internationalen Unterwelt mithalten. Sie morden, erpressen, handeln mit Drogen und Menschen. Jetzt gelang den Sicherheitskräften ein Rundumschlag gegen alle mafiösen Familien. Noch nie zuvor wurden so viele Verdächtige auf einmal festgenommen: 57 an der Zahl.
Noch herrscht eine teilweise Nachrichtensperre, um die Ermittlungen nicht zu gefährden, doch Tag für Tag sickern mehr Informationen nach außen. Polizeichef Jochanan Danino ist sicher: »Fall 512 ist die umfangreichste Untersuchung, die jemals in Sachen organisierte Kriminalität durchgeführt wurde. In den nächsten Tagen werden die Details des größten und bedeutungsvollsten Falles unserer Polizei der Öffentlichkeit präsentiert.«
Zusammenarbeit Der Fall umfasst rund 40 einzelne Ermittlungen über die Dauer von zwölf Jahren. Die 57 Verdächtigten wurde im ganzen Land festgenommen, in Tel Aviv und Eilat, Jerusalem und dem noblen Vorort Herzlija. Ihre Bankkonten sind mittlerweile eingefroren, Häuser und Fahrzeuge vorläufig beschlagnahmt worden. Die Aktion war eine Zusammenarbeit der Anti-Betrugs-Einheit Lahav 433 mit der Sonderabteilung Yamar der Tel Aviver Bezirkspolizei.
Schon lange hatten die Behörden angekündigt, verstärkt gegen die Unterwelt vorgehen zu wollen. Denn immer dreister waren die Gangster aufgetreten, hatten mit Bomben und Gewehren am helllichten Tag und inmitten von Städten versucht, Konkurrenten auszuschalten. Wie vor wenigen Monaten, als der Jeep eines mutmaßlichen Gangsters an einem Samstagnachmittag in dem beschaulichen Städtchen Hod Hascharon in die Luft flog. Der Mafioso wurde getötet, seine 17-jährige Tochter leicht verletzt.
»Und jetzt«, sagte einer der Ermittler im Radio, »merken sie, dass wir Ernst machen. Dieses Mal ist es anders, dieses Mal kommen sie nicht davon.«
verbrecher König Im Zentrum des Geschehens steht Yitzhak Abergil, der ungekrönte König des organisierten Verbrechens in Israel. Zwar befindet sich Abergil schon längst hinter Gittern, doch sogar von hier aus gelang es ihm, weiterhin die Fäden zu ziehen.
Immer mehr Isra-Mafiosi hatten in den vergangenen Jahren versucht, sich ins Ausland abzusetzen, oft in die USA. So wie das Brüder-Duo der Abergils. Besonders mit Drogenhandel versuchten sie, einen Fuß in die Tür des internationalen Kriminellengeschäfts zu bekommen. Die Brüder wollten eine Million Ecstasy-Pillen auf den amerikanischen Markt bringen und dafür einen Konkurrenten umbringen lassen. Doch die Abergils, wie viele andere auch, wurden von den amerikanischen Behörden nach Israel ausgeliefert.
Anschlag Die Polizei ist sicher, mit ihrer jetzigen Aktion einen ungelösten Fall aus dem Jahr 2003 aufgeklärt zu haben, »der alle Grenzen überschritt«. Vor zehn Jahren hatte sich offenbar eine Horde von Isra-Mafiosi verschworen, den damaligen Boss der Szene, Zeev Rosenstein, zu ermorden. Doch der Anschlag scheiterte. Statt Rosenstein starben bei der Explosion drei unschuldige Passanten auf offener Straße in Tel Aviv, 18 weitere wurden verletzt.
Das Amtsgericht in Rischon LeZion glich am Dienstag vergangener Woche einer Festung. Hundertschaften von Polizisten bewachten das Gebäude von innen und außen. In vergitterten Fahrzeugen mit Fesseln an Händen und Füßen wurden drei mutmaßliche Anführer und deren Handlanger dem Richter vorgeführt. Die Anklagen lauten: mehrfacher Mord, versuchter Mord, Drogendealerei, Geldwäsche und anderes mehr.
Fluchtversuch Einer der Angeklagten, Avi Ruchan, wird verdächtigt, Chef der Gangsterbande in der Scharon-Region nördlich von Tel Aviv zu sein. Auch ihm wird Mord vorgeworfen. Doch Ruchan lachte bei seiner Verhaftung nur: »Auch aus dieser Verhandlung werde ich als freier Mann gehen.« Aber die Polizei will genau dies nicht geschehen lassen. Dafür sammelte sie über zwölf lange Jahre Beweise, die sie jetzt gebündelt dem Richter überreichte.
Ein anderer Gangster, Nissim Alperon, wurde am Sonntag mit den Koffern in der Hand am Flughafen Ben Gurion dingfest gemacht. Nach Polizeiangaben hatte er versucht, sich ins Ausland abzusetzen, um den Ermittlungen zu entgehen. Er wird unter anderem verdächtigt, an dem Mord an seinem Rivalen Felix Abutbul vor mehr als zehn Jahren in Prag beteiligt gewesen zu sein. Allerdings ließ ihn der Mangel an Beweisen damals unbehelligt davonkommen. Nach seiner Festnahme meinte er: »Warum sollte ich denn abhauen? Ich wollte doch nur mit meiner Familie in den Urlaub fliegen.«