Israel

Unter Geiern

Wenn Mauersegler in der Altstadt von Jerusalem über den Köpfen betender Juden schwirren oder ein Storch mit Namen »Prinzessin« in der Thermik Israels kreist, dann kann ein Mann nicht weit sein: Yossi Leshem. Der israelische Ornithologe gilt als Koryphäe für die Welt der Vögel. Männern wie ihm ist es zu verdanken, dass Israel weltweit als Hotspot sogenannter Birdspotter gilt.

Zweimal jährlich passiert eine gewaltige Menge von 500 Millionen Zugvögeln das Heilige Land. Die meisten davon unbehelligt von Mensch und Flugzeug. Denn dank Yossi Leshem haben Kollisionen zwischen Flugzeugen und Vögeln rapide abgenommen. Es wird geschätzt, dass Yossi Leshems wegweisende Forschung dazu beigetragen hat, enorme Summen einzusparen.

Lebensraum Der ökonomische Nutzen, den Israels Luftwaffe und zivile Luftfahrt durch die Reduzierung von Vogelschlag haben, ist nur ein positiver Effekt von Yossi Leshems Einsatz für die Vogelwelt. Durch überzeugende wirtschaftliche Argumente kann er den Lebensraum von Vögeln in seiner Heimat mehr Geltung verschaffen – und das in Zeiten, in denen dieser durch Zersiedelung und Umweltzerstörung akut in Gefahr ist.

Auch solchen Vögeln, die Israel nur überfliegen, droht Gefahr. Denn noch immer gelten etliche Vogelarten in vielen Gesellschaften als lukullische Spezialität. Das gilt vor allem für Israels Nachbarland Ägypten, wo entlang der Küste Fangnetze mit einer Gesamtlänge von 700 Kilometern ausgebreitet sind. Weltweit sorgen sie für Empörung. Und für einen Ornithologen wie Yossi Leshem bedeuten sie das nackte Grauen.

Doch Leshem kennt auch Erfolgsgeschichten. Die der Mauersegler beispielsweise. Viele Plätze gibt es nicht auf der Welt, an denen sich ihr schrilles Gekreische mit dem Gemurmel von Betern mischt. Die Kotel in Jerusalem ist so ein Ort. 88 Brutpaare dieser schwarzen schwalbenartigen Vögel nisten in den Fugen zwischen den Steinquadern, manche nur wenige Zentimeter über den Köpfen der Beter. In den Morgen- und Abendstunden ist die Luft erfüllt vom schrillen Kreischen dieser nur 40 Gramm schweren Vögel. Es ist Enthusiasten wie Yossi Leshem zu verdanken, dass die Mauersegler alljährlich zu ihren Brutplätzen zurückkehren.

Symbol »Wir glauben, dass die Mauersegler die Kraft haben, die Menschen miteinander zu verbinden. Diese Vögel sind in der Heiligen Stadt Jerusalem ein Symbol der Freiheit, ein Symbol der Liebe.« Das sagte Yossi Leshem bei der letztjährigen Willkommensfeier, die er und ein paar weitere Vogelliebhaber, die mit Ferngläsern anrückten, zu Ehren der Wiederankömmlinge veranstaltet hatten. Repräsentanten verschiedener Weltreligionen waren gekommen, und auch Jerusalems Bürgermeister Nir Barkat demonstrierte durch seine Anwesenheit die Bedeutung der Vögel.

Bereits Mitte Februar kehren Mauersegler aus ihren afrikanischen Winterquartieren nach Israel zurück. Während hierzulande noch klirrende Kälte herrscht, machen diese Vögel für rund 100 Tage in Israel halt, um ihre Eier auszubrüten. Viel braucht es dazu nicht: Es sind ein paar Halme, die auf dem nackten Boden zusammengekratzt werden, um darauf die Eier abzulegen. Aber auch nach dem Schlüpfen der Küken geht es spartanisch zu: Denn die Jungen bleiben, bis auf die Zeit der Fütterung, sich selbst überlassen.

Erst wenn sich die Jungvögel mit einem kühnen Sprung aus der Nesthöhle in die Lüfte erheben, geschieht Unglaubliches: Von da an bleiben Mauersegler ganze drei Jahre lang in der Luft – und zwar pausenlos. Sie trinken beim Fliegen, und sie schlafen beim Fliegen. Und sie paaren sich sogar beim Fliegen. Erst nach drei Jahren, wenn sie ihre eigene Bruthöhle beziehen, haben sie erstmals wieder Bodenkontakt. Was bis dahin geschieht, weiß man nicht genau. Aber Yossi Leshem ist diesem Mysterium auf der Spur. Er hat Vögel mit Transpondern versehen, um herauszufinden, was halbstarke Mauersegler so alles treiben.

munitionskisten Doch Yossi Leshem beschäftigt sich nicht nur mit Mauerseglern. Auch wenn es darum geht, dem Nationalvogel Israels, dem seltenen Wiedehopf, geeignete Brutmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, ist der Ornithologe zur Stelle: Kurzerhand funktioniert er ausgediente Munitionskisten zu Brutkästen um. Selbst vor dem Fenster seines Büros an der Zoologischen Fakultät der Universität Tel Aviv hat er diese Kästen angebracht.

Besonderes Augenmerk legt Yossi Leshem auf die Wiederansiedelung der Schleiereule, die in Israel selten geworden ist. Was zunächst ein wenig kauzig klingt, ist in wissenschaftlicher Hinsicht durchaus sinnvoll, denn mit Eulen und Turmfalken lässt sich der Gebrauch von gesundheitsgefährdenden Pestiziden deutlich minimieren. 3000 Nistkästen hat Leshem gemeinsam mit anderen Vogelaktivisten schon gebaut. Die Mühe lohnt sich, denn jedes Brutpaar vertilgt jährlich 2000 bis 6000 Nagetiere, etwa Ratten oder Mäuse.

Das Projekt funktioniert gut, die Israelis arbeiten inzwischen auch mit Jordaniern und Palästinensern zusammen. In Beit She’an an der Grenze zu Jordanien gab es vor Kurzem sogar ein Schleiereulenpaar. »Das Männchen war ein Israeli und das Weibchen eine Jordanierin, und sie hatten sieben Küken«, freut sich Leshem. »Ein Spaßvogel von der Regierung hat uns gefragt, ob die Küken denn nun Muslime oder Juden sind. Den Vögeln ist das natürlich piepegal!«

pestizide Neben der Vernichtung der Habitate zählen Pestizide zu den schlimmsten Feinden des Artenreichtums in Israel. Durch den Einsatz des inzwischen verbotenen DDT sind bereits etliche Spezies ausgestorben. Ihre Eierschalen waren so dünn und brüchig geworden, dass sie beim Brüten kaputtgingen.

Ein Schicksal, das auch Israels inzwischen ausgestorbene Geier ereilt hat. Dabei genießt doch gerade der Bartgeier dort besonderes Ansehen, schließlich ist der amtierende Staatspräsident nach ihm benannt – das zumindest glaubt man in Ornithologenkreisen. Yossi Leshems Version lautet so: »Als Schimon Peres nach Palästina kam, wollte er den Negev erkunden. Weil er aber dafür von den Briten offiziell keine Erlaubnis bekam, behauptete Peres, er wolle eine zoologische Expedition machen.«

Peres, der damals noch seinen polnischen Namen Perski trug, nahm also den Berliner Naturforscher Heinrich Mendelssohn mit in die Wüste, um seine wahre Absicht zu tarnen. »Plötzlich kreiste ein Bartgeier mit einer Spannweite von drei Metern dicht über ihren Köpfen. Und der Professor schrie: Peres! Peres! Und da Peres ohnehin auf der Suche nach einem hebräischen Namen war, dachte er sich: Okay, das wird mein Name sein!«

sachsen-Anhalt Selbst zu fliegen, hat Yossi Leshem erst später gelernt, und zwar mit einem Motorgleiter. Eine recht praktische Erfindung, wenn man Schwärmen von Zugvögeln nachsetzt oder eine »Prinzessin« begleitet. Auf diesen Namen wurde ein weiblicher Storch getauft, dessen Vogelzug jährlich vom Dorf Loburg in Sachsen-Anhalt via Israel in das Winterquartier in Südafrika führte. Und wieder zurück.

Mit seinem wendigen Flugvehikel hat Leshem Tausende von Stunden unter Störchen und anderen Vögeln verbracht. Es ist das Wahrwerden eines Kindheitstraums, auch wenn er ursprünglich Jet-Pilot werden wollte. Aber als der 1947 in Haifa geborene Zoologe in der Pubertät eine Brille bekam, war der Plan, Flugzeugführer zu werden, zunichte. Als er später promovierte, bekam Leshem doch noch mit der Fliegerei zu tun. Ich habe 1983 mit der Luftwaffe eine Forschungsarbeit organisiert, bei der die Anzahl an Greifvögeln im Herbst über Israel ermittelt werden sollte. Wir haben herausgefunden, dass es sich um eine enorme Menge handelte, was bis dato noch gar nicht bekannt war.«

armee Durch Leshems Zusammenarbeit mit dem Militär war es möglich, geheime Logbücher einzusehen, in denen jeder einzelne Zusammenstoß eines Armeeflugzeugs mit einem Vogel zwischen 1972 und 1982 aufgelistet war: »Fünf Jets waren abgestürzt. Und ein Pilot wurde wegen eines Pelikans getötet. 35 Kollisionen hatte es mit Sachschaden von rund einer Million Dollar gegeben, und viele von mehreren Hunderttausend aufgrund von Vogelschlag.«

Kein Wunder also, dass die Luftwaffe größtes Interesse an Leshems Forschung zeigte. Der Ornithologe fand heraus, dass 74 Prozent der Kollisionen durch Zugvögel verursacht wurden. Die meisten durch große Thermiksegler wie Greifvögel, Pelikane und Störche. Also zeigte der Wissenschaftler durch Radarmessungen, in welcher Höhe diese Vögel fliegen und welche Routen sie nehmen. Daraufhin wurden die Flugschneisen verändert und Vogelzugkarten erstellt. Mit der Konsequenz, dass die Militärjets zwischen Anfang März und Anfang Mai über bestimmten Arealen nicht mehr fliegen sollten.

Anfangs stieß Leshem bei den Zahal-Piloten auf Widerstand, doch nachdem im ersten Jahr die Kollisionen um satte 88 Prozent zurückgegangen waren, änderten selbst die Hardliner ihre Meinung. Seit 1984 ist der Vogelschlag um 76 Prozent zurückgegangen. Der israelische Staat konnte dadurch rund eine Milliarde Dollar einsparen.

lufthansa Durch seine Arbeit genießt Yossi Leshem in Israel größtes Ansehen. Und nicht nur dort. Als geschickter Lobbyist in Sachen Naturschutz gelingt es ihm immer wieder, Politik und Industrie für seine Projekte zu begeistern. Selbst die Deutsche Lufthansa oder das deutsche Umweltschutzministerium unter Klaus Töpfer und später Angela Merkel haben schon Rat von Leshem geholt. 2012 wurde der Professor der Universität Tel Aviv mit dem renommierten Bruno-H.-Schubert-Wissenschaftspreis ausgezeichnet.

Ausgerechnet in Frankfurt. Von dort war Yossi Leshems Mutter einst geflohen. »1988 war sie erstmals dorthin zurückgekehrt«, erzählt Leshem. »Als sie die Rolltreppe herunterstieg, sah sie ein Orchester und einen Mann mit Blumen. Es war der Frankfurter Bürgermeister. Sie verstand nicht, was das sollte, bis der Mann sagte: ›Frau Löffelholz‹ – ihr deutscher Name war nicht Leshem, sondern Löffelholz – ›Frau Löffelholz, sie sind Gast Nummer 1000 von Frankfurt am Main.‹«

Die anschließende Festveranstaltung fand im Kaisersaal statt – jenem Ort, an dem Yossi Leshem Jahre später auch den Schubert-Preis verliehen bekam. Doch mit Frankfurt verbindet Yossi Leshem noch mehr. Und wieder einmal geht es dabei um Vögel, genauer gesagt um Mauersegler. In Frankfurt wurden bereits 1500 Brutkästen und Lockruf-Anlagen installiert.

Leshems Kästen finden sich auch an der Geburtskirche in Bethlehem, der König Abdullah-Moschee im jordanischen Amman und natürlich auch an der Klagemauer in Jerusalem. Seine Ornithologie ist eine Friedenswissenschaft.

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