Keiner guckt in Israel in die Mülltonne. Abfallinspektoren mit bösen Briefen gibt es nicht. Auch klebt niemand Warnsticker auf den Deckel, wenn Wertstoffe im Restmüll gelandet sind. Traditionell schmeißt man hier weg – und damit fertig.
Doch inzwischen verwerten die Israelis immer mehr. Ganz freiwillig. Im vergangenen Jahr stachen sie bei den Mengen der zurückgegebenen Plastikflaschen sogar die Europäer und Amerikaner aus. Recycling ist in.
Überholt Laut dem neuesten Bericht von ELA, der gemeinnützigen Flaschensammelkooperation Israels, haben die Israelis 2011 mehr als die Hälfte ihrer Plastikflaschen zum Container getragen und damit der Verwertung zugeführt. So überholten sie locker die Amerikaner, die lediglich mit 29 Prozent dabei sind, und sogar knapp die Europäer (48 Prozent). »Damit haben wir das anvisierte Ziel der Regierung von 35 Prozent bereits innerhalb eines Jahres überschritten«, erklärte ELA-Chefin Nachama Ronen. »Es zeigt, dass die Israelis sich dem Recycling wirklich verbunden fühlen.«
20.000 Tonnen Plastikflaschen sind in die Gitterkäfige gewandert, die heutzutage in fast allen Ortschaften des Landes an den Straßenrändern stehen. Begonnen hatte das Projekt 1999, im letzten Jahr allein haben Stadt- und Gemeindeverwaltungen zu-
sätzlich 4.400 neue Stationen aufgestellt.
Innerhalb kurzer Zeit ist die Zahl von Verwertungsstationen etwa in Bnei Brak, der Stadt mit einer großen Gemeinde an Ultraorthodoxen – nicht eben Vorreiter in Sachen Umweltschutz –, von sieben auf 400 hochgeschnellt. Landesweit gibt es jetzt 15.000 Recycling-Stationen, die neben einem großen Behälter für Plastikflaschen zusätzlich über kleinere für die Rückgabe von Altbatterien, Papier und Pappe sowie CDs verfügen.
Pfand Auch die Rückgabe der Pfandflaschen funktioniere besser als erwartet, so ELA. Durch den Pfand, den es allerdings lediglich auf kleine Plastik- sowie Glasflaschen und Dosen gibt, habe sich die Bevölkerung mehr als eine Milliarde Schekel, umgerechnet etwa 200 Millionen Euro, in die Tasche stecken können.
Offenbar wissen die Israelis, wie das geht mit dem Umweltschutz: Binnen weniger Monate avancierte ein neuer Radiosender zur beliebtesten Station im Zentrum des Landes. »99FM Ökoradio« sendet neben den aktuellen Hits und Nachrichten rund um die Uhr Tipps rund ums Thema Umweltbewusstsein. »Wenn ihr mit vollem Kofferraum unterwegs seid, braucht euer Auto viel mehr Benzin als sonst. Räumt also die Klamotten aus der Kiste – es sei denn, ihr fahrt in den Urlaub«, erläutert der Moderator. Das Konzept kommt an, immer mehr Israelis schalten beim Ökoradio ein.
Aufklärung »Israel ist ein Entwicklungsland – und da war immer etwas anderes von größerer Bedeutung«, erläutert Jekutiel Zippori, Sprecher im Umweltministerium, den Bewusstseinswandel, »Sicherheit und Verteidigung etwa«. »Der Schutz der Natur stand ganz unten auf der Liste. Doch das verändert sich in den letzten Jahren drastisch.« Das liege vor allem an der umfassenden Aufklärung, ist sich Zippori sicher.
Nur mit dem Müllvermeiden klappt es noch nicht so richtig. Dabei will die Regierung angeblich genau darauf setzen. In Israel werden jährlich mehr als sechs Millionen Tonnen Müll produziert, davon entfallen allein fünf Millionen Tonnen auf den Hausmüll. Und davon wandern noch immer satte 80 Prozent auf hässliche Müllkippen, die meist am Rande der Autobahnen zum Himmel stinken.
Müllberge Der Boden ist knapp im Heiligen Land. Und eine dicke Mülldeponie am Rande der hübschen neuen Wohngegend – wer will das schon? Daher veröffentlichte das Umweltministerium jetzt aktuelle Zahlen, die die Bürger schocken sollen: Jeder Israeli produziert fast zwei Kilogramm Müll. Jeden einzelnen Tag. Riesige, vor sich hin rottende Berge.
Schlimmer noch: Diese Menge ist in den vergangenen Jahren durchschnittlich um drei bis fünf Prozent pro Jahr angewachsen. Der erste Schritt zur Verringerung dieser Massen ist vor wenigen Tagen in der Knesset gemacht worden. Das neue Gesetz zum Elektroabfall wurde in der ersten Lesung akzeptiert.
Der Vorschlag will Hersteller und Importeure von Elektroartikeln dazu verpflichten, diese nach Gebrauch zurückzunehmen und entsprechend zu verwerten. Derzeit werden alte TVs, Ladestationen und Ähnliches in keiner Weise recycelt. Alles landet auf den Müllhalden und sickert langsam ins Grundwasser. Umweltminister Gilad Erdan will zudem ab 2020 keine Elektrogeräte mehr auf den Müllbergen sehen.
Biomüll Zusätzlich hat Erdan 50 Millionen Euro locker gemacht, um den Bau von Recyclinganlagen für organischen Müll voranzutreiben. Laut Ministerium sollen mit dem Geld 20 Anlagen von Nord nach Süd finanziert werden. Insgesamt, versprach er, werden innerhalb der nächsten drei Jahre mehr als 120 Millionen Euro in derartige Müll-Vermeidungsstrategien fließen.
Organische Abfälle und Restmüll trennen allerdings die wenigsten Israelis. Bislang ist das Sammeln des Öko-Mülls lediglich Pilotprojekt in 31 Gemeinden. Dort steht neben der blauen Papiertonne seit einigen Monaten eine braune vor dem Haus. Die Stadtverwaltung von Ramat Hascharon etwa propagiert mithilfe von Seminaren und Postern die Nutzung. »Nasser, schwerer Müll ist eine entscheidende Masse, die die Müllberge stetig wachsen lässt«, steht auf Flyern. »Helfen Sie, sie zu reduzieren!«
Kompost Auch Modiin, die junge Stadt zwischen Tel Aviv und Jerusalem, macht mit. Die Hauptstadt selbst verfügt zwar noch über keine Infrastruktur, die das Abholen des Biomülls möglich macht, über das gesamte Stadtgebiet verteilt gibt es aber 20 gemeinschaftliche Gärten, in denen aus mitgebrachtem Müll eigener Kompost hergestellt werden kann.
Aviad Cohen wohnt in Ramat Hascharon. Vor seinem Haus gibt es die verschiedenfarbigen Tonnen, doch »ehrlich gesagt, sind sie mir gar nicht aufgefallen«. Bis seine Kinder eines Tages mit der Nachricht aus der Schule kamen, »ab heute wird Müll bei uns getrennt«. Das Umweltbewusstsein wird von den Kleinen an die Großen weitergegeben, weiß Cohen aus eigener Erfahrung.
»Unsere Generation ist gänzlich ohne Umweltbewusstsein aufgewachsen«, so der Vater von drei Kindern, »doch unsere Sprösslinge lernen den Umweltschutz von der Pieke auf und bringen ihn uns bei. Mülltrennung ist bei uns zu Hause ein Spiel geworden. Jeder will mitmachen, jeder am meisten dazu beitragen«. Die Mitspieler finden es klasse – und bei den Cohens darf man jetzt jederzeit in die Tonnen gucken.