Die UNRWA steht nicht erst seit dem 7. Oktober 2023 in der Kritik. Doch der aktuelle Fall geht um die Welt: Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (United Nations Relief and Works Agency) steht im Verdacht, dass einige seiner Mitarbeiter an den Massakern und Entführungen des 7. Oktober beteiligt waren, bei denen mehr als 1200 Menschen ermordet und 253 verschleppt wurden.
Das brachte ein Dossier des israelischen Geheimdienstes ans Licht. Daraufhin haben mehr als zehn Länder ihre Zahlungen an UNRWA vorübergehend ausgesetzt. Der israelische Außenminister Israel Katz forderte Konsequenzen: »UNRWA-Mitarbeiter beteiligten sich an dem Massaker vom 7. Oktober – UNRWA-Chef Philippe Lazzarini sollte zurücktreten.«
Der palästinensische Premier Mohammad Shtayyeh warf Israel einen »vorsätzlichen politischen Angriff« auf die Organisation vor, die von Jerusalem seit Langem kritisiert wird, und forderte, die Zahlungen wieder aufzunehmen. Ein UNRWA-Sprecher sagte, man könne die Hilfe in Gaza nicht fortsetzen, wenn die Finanzierung nicht wiederaufgenommen würde.
»Es wird jetzt eine interne Untersuchung geben.«
Adi Schwartz, Politologe
Adi Schwartz, Politikwissenschaftler am Ben-Gurion-Forschungsinstitut und Experte für den israelisch-palästinensischen Konflikt, ist sich sicher: »Es wird jetzt eine interne Untersuchung geben. UNRWA muss diesen Fall ernster nehmen als Vorkommnisse der Vergangenheit, weil er so in der Öffentlichkeit steht.« Allerdings sei bereits in den 60er-Jahren bekannt geworden, dass einige UNRWA-Mitarbeiter gleichzeitig auf der Gehaltsliste der internationalen Organisation und der von Terrorgruppen standen.
Faule Äpfel aussortieren
Schon bald werde UNRWA vor die Kameras treten und sagen, es sei schrecklich, aber man habe die wenigen faulen Äpfel aussortiert und müsse jetzt weitermachen, »für das Wohl der Palästinenser und der Flüchtlinge«. Ein schrecklicher Fehler, so Schwartz’ Meinung, »für alle, die hier jemals Frieden sehen wollen«. Denn die UNRWA mache die Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern unmöglich.
»Stattdessen glauben die Palästinenser mithilfe der Organisation seit 75 Jahren, die Welt stehe hinter ihnen und ihrem Traum vom ›River to the Sea‹ (dem Schlachtruf, der zur Zerstörung Israels aufruft) und schickt ihnen dafür Milliarden Dollar.« Doch damit sende UNRWA die gegenteilige Botschaft statt der, die sie eigentlich bringen sollte: dass die internationale Gemeinschaft den Palästinensern helfen würde, wollten sie in Frieden an der Seite Israels leben.
13.000 Mitarbeiter in Gaza
In dem Papier des israelischen Geheimdienstes steht laut der Nachrichtenagentur Reuters, die es eingesehen hat, dass rund 190 UNRWA-Mitarbeiter gleichzeitig Mitglieder der Hamas oder des Islamischen Dschihad gewesen seien. Es enthält Namen und Bilder von elf von ihnen. Das Palästinenser-Hilfswerk gab mittlerweile an, einige Mitarbeiter entlassen zu haben. Man wolle die Vorkommnisse untersuchen.
Die Vorwürfe wiegen schwer: Bei den 190 Personen handele es sich um »hartgesottene Kämpfer und Mörder«, schreibt der israelische Geheimdienst. Fast zehn Prozent des UNRWA-Personals stehen vermutlich mit der Hamas oder dem Islamischen Dschihad in Verbindung, das sind mehr als 1200 der 13.000 von der UNRWA beschäftigten Mitarbeiter in Gaza.
Dem Dossier zufolge handelt es sich bei einer der Personen um einen Schulberater, der am 7. Oktober bei der Entführung einer Frau während der Hamas-Infiltration geholfen habe. Ein anderer soll an dem Massaker im Kibbuz Be’eri beteiligt gewesen sein. Wieder ein anderer habe beim Blutbad der Nova-Party mitgemordet. Reuters gab an, das Dossier sei vom israelischen Geheimdienst an die USA weitergegeben worden, die am vergangenen Freitag die Zahlungen an die UNRWA vorerst eingestellt haben.
»Die UNRWA hat den israelisch-palästinensischen Konflikt verschlimmert.«
Adi Schwartz, Politologe
Laut Schwartz ein Schritt in die richtige Richtung, der lange überfällig war. Er erwartet, dass die vorläufige Aussetzung der Zahlungen dauerhaft wird. »UNRWA muss abgeschafft werden.« Denn die Organisation habe den israelisch-palästinensischen Konflikt verschlimmert, statt ihn zu lösen. Als UNRWA 1949 gegründet wurde, sei ihr Zweck gewesen, sich um das Flüchtlingsproblem zu kümmern und die Menschen umzusiedeln. »Die Agentur war für 18 Monate angelegt und hätte vor mehr als 70 Jahren aufgelöst werden sollen. Stattdessen wurde sie Teil des palästinensischen Narrativs. Denn heute sehen wir keine humanitäre Organisation, sondern eine rein politische – deren Zweck die Abschaffung des Staates Israel ist.«
Das werde deutlich, wenn man die »Flüchtlingssituation« der Palästinenser mit der von Menschen in aller Welt vergleicht, führt Schwartz aus. Nach Angaben der UNRWA gibt es etwa sechs Millionen palästinensische Flüchtlinge, dazu gehören die in Gaza, im Westjordanland und in Jordanien. »Diese Zahlen sind mindestens um das 20-fache aufgeblasen«, erklärt er. Palästinenser in Jordanien beispielsweise hätten die jordanische Staatsangehörigkeit und damit ihren Flüchtlingsstatus verwirkt.
Ähnlich sei es in Gaza zu betrachten. »Die Menschen dort sehen sich als Palästinenser, die in palästinensischen Städten leben. Sie betrachten Gaza als Teil Palästinas. Somit ist es der einzige Ort der Welt, wo Menschen in ihrer Heimat leben und gleichzeitig Flüchtlinge sein sollen – ein Widerspruch!« Schwartz ist überzeugt, mit den übertriebenen Flüchtlingszahlen solle verhindert werden, dass der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern gelöst wird und es Frieden geben kann.
Die UNRWA hat der Hamas geholfen
Schwartz hält auch die Ansicht des israelischen Verteidigungsestablishments, dass UNRWA »das geringste Übel der Optionen in Gaza« sei, für falsch. »Diese Einstellung hat uns nicht geholfen und hat den 7. Oktober nicht verhindert.« Es sei illusorisch anzunehmen, jemand könne im Gazastreifen arbeiten, der nicht unter dem Kommando und der Kontrolle der Hamas stehe, resümiert er. UNRWA habe der Terrororganisation in den ganzen Jahren sogar geholfen. »Denn dadurch, dass sie Dienste wie Bildung oder Verteilung von Hilfsgütern übernahm, konnte sich die Hamas darauf vorbereiten, wie sie Israel infiltrieren und Juden töten kann.«
Schwartz meint, die internationale Gemeinschaft solle die Menschen in Gaza »als Erwachsene ansehen, die sich gut um sich selbst kümmern können«. Dies schließe finanzielle Hilfe an sie nicht aus. »Die Frage ist aber nicht, wie viel Geld nach Gaza fließt, sondern was damit gemacht wird. Dass sich zunächst die Prioritäten der Palästinenser und ihrer Führung ändern, muss dabei oberstes Gebot sein.«