Es geht um harte Zahlen. Und um Stimmungen und sogar große Gefühle. Der Wirtschaftsexperte Yonatan Katz, leitender Ökonom des größten Investment-Banking- und Finanzberatungsunternehmens des Landes, Leader Capital Markets, bringt es auf den Punkt: »Die politische Unsicherheit hierzulande ist der Grund für die starke Volatilität an den israelischen Aktien- und Devisenmärkten.«
Es seien weder makroökonomische Elemente noch Märkte im Ausland, die den Wechselkurs beeinflussten. »Stattdessen schwankt der Markt zwischen Optimismus und Pessimismus hin und her«, so Katz. Seit der Abstimmung in der Knesset zum Kernelement der höchst umstrittenen Justizreform ist die Stimmung in israelischen Wirtschaftskreisen äußerst düster. In den letzten 90 Handelsminuten nach der Verabschiedung fiel der Tel Aviver Börsenindex und verlor an diesem Tag 2,21 Prozent. Zudem schwächte die Landeswährung Schekel stark ab.
Neue Daten aus einer von »Start-up Nation Central« durchgeführten Umfrage offenbaren zudem einen besorgniserregenden Trend. Die Umfrage der gemeinnützigen Organisation, die israelische Innovationen in der Welt bekannter machen will, basiert auf Gesprächen mit 734 Wirtschaftsexperten, darunter Geschäftsführern und Investoren, die 521 Unternehmen repräsentieren.
AUSWIRKUNGEN Dementsprechend plane die überwiegende Mehrheit der Befragten, und zwar 76 Prozent, jetzt aktive Maßnahmen zu ergreifen. 68 Prozent hätten sogar bereits Schritte unternommen, um die rechtlichen und finanziellen Auswirkungen verschiedener Szenarien zu prüfen, zum Beispiel in naher Zukunft Personal abzubauen (31 Prozent), Gelder aus Israel abzuziehen (29 Prozent) oder die Firmenregistrierung in ein anderes Land zu verlegen (acht Prozent).
In den letzten 90 Handelsminuten nach der Verabschiedung fiel der Tel Aviver Börsenindex und verlor an diesem Tag 2,21 Prozent.
78 Prozent der Führungskräfte von Technologieunternehmen geben an, »die Justizreform hat negative Auswirkungen auf die Aktivitäten unseres Unternehmens«. 80 Prozent der Investoren sind zudem überzeugt, dass eine Verschlechterung der Beziehungen zwischen Israel und den USA auch negative Auswirkungen auf die heimische Technologiebranche haben werde.
Mehrere Unternehmensgruppen nennen die Regierungspolitik der Koalition auch als Auslöser für den 70-prozentigen Rückgang der Investitionen im Technologiebereich in der ersten Jahreshälfte.
Grund genug, um einen Tag nach der Knessetabstimmung in allen großen israelischen Tageszeitungen eine Anzeige auf den Titelblättern zu schalten. Ein tiefschwarzes Rechteck mit nur einem kleinen Satz am unteren Rand: »Ein schwarzer Tag für die israelische Demokratie.« Finanziert wurden die Anzeigen von »Hightech Protest«, einer Gruppe mehrerer hundert Hightech-Unternehmenseigentümer und -Angestellter. Mitglieder der Gruppe protestieren regelmäßig auf den Straßen gegen die Justizreform.
PESSIMISMUS Ein weiterer Beweis für den Pessimismus kam noch am selben Tag: Die bedeutende amerikanische Investmentbank Morgan Stanley stufte Israels Kreditwürdigkeit herab. Man sehe eine »zunehmende Unsicherheit bei den Wirtschaftsaussichten und die Gefahr eines negativen Szenarios«, lautete die Begründung. Premierminister Benjamin Netanjahu und sein Finanzminister Bezalel Smotrich beteuerten indes, die israelische Wirtschaft sei stark.
Doch wie lange noch? »Einige der Maßnahmen, die jetzt stattfinden, können zwar schnell rückgängig gemacht werden, zum Beispiel der Transfer von Bargeld ins Ausland. Aber andere Maßnahmen nicht«, gibt Avi Hasson, Leiter von Start-up Nation Central, zu bedenken. Es werde sehr lange dauern, die Verlegung des Geschäftsstandorts, die Registrierung der Firma oder die Versetzung von Mitarbeitern rückgängig zu machen.
Man stünde zwar in ständigem Kontakt mit den Unternehmensleitungen und wisse um die Sorgen, sagt er, doch die jetzige Umfrage sei auch durchgeführt worden, um eine weitere Ebene aufzuzeigen: »Weil es nicht mehr nur um die Stimmung geht, sondern um die Aktionen vor Ort. Und während das dargestellte Bild nicht überraschend ist, so zeigt es sich doch klar und sehr besorgniserregend.«
Die Stimmung in israelischen Wirtschaftskreisen ist äußerst düster.
Die Hightech-Unternehmen sind ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor Israels: Sie sorgen für 54 Prozent der Exporte und 34 Prozent der Einkommensteuer des Landes, während sie nur ein Zehntel der Beschäftigten stellen. All diese Zahlen könnten bereits in naher Zukunft stark schrumpfen.
SCHADEN Der ehemalige Gouverneur der Bank of Israel, Jacob Frenkel, sprach nach dem Ende des Schabbats während einer Kundgebung in Tel Aviv: »Seit der Veröffentlichung des Regierungsprogramms wurde das Wirtschaftswachstum geschädigt, der Schekel abgewertet, die Investitionen sind zusammengebrochen, der Aktienmarkt ist ins Stocken geraten, die israelischen Exporte der Technologieindustrie haben einen schweren Schlag erlitten und leiden auch weiterhin.«
Das Schlimmste sei seiner Meinung nach allerdings, »dass unser Humankapital, die Techniker, die Cyberexperten, Wissenschaftler und Ärzte nach Wegen der Auswanderung suchen. Und das ist erst der Beginn. Wir spüren immer noch nicht die wahren Konsequenzen«.
Kreditwürdigkeit sei nicht nur ein Wort in Berichten. »Sie ist unser Leben«, fuhr Frenkel fort. »Eine Beeinträchtigung der Kreditwürdigkeit wird für jeden Bürger Konsequenzen haben. Und das alles wofür?« Noch nie habe Israel eine derart umfassende Wertvernichtung in so kurzer Zeit erlebt – »und zwar nicht durch äußere Feinde, sondern aufgrund der eigenen Regierungspolitik«.