Die Hand siegessicher zur Faust geballt, in einen blau-weißen Schal gehüllt, das Gesicht bemalt – so laden die israelischen Berühmtheiten auf Plakaten ihre Landsleute zum größten Sportereignis aller Zeiten ein. Ob Starkoch Chaim Cohen oder Kinderstar Tal Mosseri: Sie alle wollen bei der U21-Europameisterschaft mit dabei sein, die zurzeit in Israel stattfindet.
»Seit ich denken kann, habe ich diesen Moment herbeigesehnt. Ich habe mich schon lange auf den Tag vorbereitet, an dem ich mit einem breiten Lächeln sagen darf: ›Willkommen Europa, Willkommen in Israel‹«, freute sich Fußball-Legende Mordechai Spiegler vor dem ersten großen Turnier der Europäischen Fußball-Union (UEFA) in seiner Heimat. »Es wird höchste Zeit«, sagt der 68-jährige Rekordnationalspieler und ehemalige Stürmer von Maccabi Netanya, Paris Saint-Germain und Hapoel Haifa.
Blau-Weiß Auch in Israel ist Fußball die beliebteste Sportart. Und selbst wenn die heimischen Kicker in internationalen Turnieren nur selten Erfolg haben, tut das der Feierlaune der Israelis keinen Abbruch. Sie surfen dieser Tage stundenlang im Internet, stehen an den Verkaufsständen Schlange, um Karten für die Topspiele zu ergattern. Banken und Kreditkartengesellschaften bieten Familienkarten zum Sonderpreis, Väter können es kaum noch erwarten, mit ihren Söhnen und Töchtern zu einem »Superspiel« zu gehen – die Wangen blau-weiß bemalt, Fahnen mit dem Davidstern in den Händen.
Das hat auch Lior Ben-Ami vor. Der Vater von zwei Jungen im Alter von acht und zwölf Jahren hat seine Liebe zum Fußball an die Kinder weitergegeben. Seit Wochen fiebern die drei auf das Turnier hin. »Es ist toll, dass bei uns jetzt Weltklassefußball gespielt wird. Ich werde versuchen, so viele Karten wie möglich zu bekommen.«
Acht Teams sind bei der Europameisterschaft dabei. Gastgeber Israel traf in der Gruppe A im Eröffnungsspiel am Mittwoch in Netanya auf Norwegen, am Samstag wird er in Tel Aviv gegen Italien antreten und am 11. Juni in Jerusalem gegen England. In der Gruppe B spielen Deutschland, die Niederlande, Spanien und Russland. Das Finale findet am 18. Juni in Jerusalem statt.
Kader Zwei Wochen vor dem Auftakt hatte der israelische Trainer Guy Luzon seinen 23-Mann-Kader für die Endrunde nominiert. »Das ist ein schwerer Tag für mich«, sagte er auf einer Pressekonferenz. Auf den besten Kicker, Mittelfeldspieler Gay Assulin, der bei Racing Santander in Spanien sein Geld verdient, verzichtete Luzon überraschend – ohne dies zu begründen.
Der Coach, der nach der EM zu Standard Lüttich nach Belgien wechseln wird, setzt auf »die Motivation und das Verlangen« seiner Mannschaft. »Wenn meine Spieler beides in die Waagschale werfen, werden wir uns gut verkaufen«, sagte er. Turnier-Botschafter und Ex-Profi Eli Ohana hofft: »Mit ein wenig Glück können wir die Sensation sein und ins Halbfinale kommen.«
Ausländische Fußball-Experten sehen dies durchaus skeptischer. »Die Israelis haben Außenseiter-Chancen, wenn sie, getragen von der Euphorie im Land, über sich hinauswachsen. Favoriten sind Titelverteidiger Spanien, die Niederlande und Deutschland – mit Abstrichen auch noch Italien und England«, sagt Guido Wüstemann, der für die deutschen Fernsehsender RTL und n-tv von der EM berichten wird.
Der deutsche U21-Trainer Rainer Adrion muss zwar auf die verletzten Jan Kirchhoff (Mainz), Sebastian Jung (Frankfurt) und Tolgay Arslan (Hamburg) verzichten, der Kader des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) ist aber trotzdem noch mit gestandenen Bundesliga-Profis gespickt. Namen wie Bernd Leno (Leverkusen), Patrick Herrmann oder Peniel Mlapa (beide Mönchengladbach) sind für jeden Fußballfan in Deutschland ein Begriff.
Pokal »Wir haben alle genügend Bundesliga-Erfahrung und müssen uns nicht verstecken. Schließlich hat Deutschland die beste Nationalmannschaft der Welt, und als U21 sind wir nicht so weit weg davon«, sagt Lewis Holtby, Kapitän der DFB-Elf. Und der England-Legionär von den Tottenham Hotspurs kündigt an: »Wir wollen jedes Spiel gewinnen. So wird man Europameister. Wir wollen keinen Applaus, sondern etwas Zählbares mitnehmen. Und da gibt es nur den Titel und den Pokal, den man mit nach Hause bringen kann.« So wie 2009, als Deutschland mit heutigen Weltklassespielern wie Manuel Neuer, Mats Hummels und Mesut Özil U21-Europameister wurde.
Die Fans aus England, Spanien oder Deutschland treffen sich während des Turniers in fahnengeschmückten Fan-Bars in Tel Aviv und Jerusalem oder am Mittelmeerstrand. Dort johlen sie vor riesigen Bildschirmen für die Mannschaften ihrer ehemaligen Heimatländer.
Für die israelischen Kicker zählt in erster Linie, dabei zu sein, selbst wenn die Chancen auf einen Sieg nicht sehr groß sind. Sie wollen gegen Top-Mannschaften spielen, im Rücken ihre Fans, die sie aus vollem Herzen anfeuern. Auch Fußballfan Ben-Ami will mitgrölen. Sollte Israel ausscheiden, würden er und seine Söhne Spanien anfeuern. »Doch unser Herz gehört ganz klar unserer Heimat, Israel. Wer weiß, vielleicht geschieht ja ein Wunder.«