Kfar Kama

Tscherkessische Sabras

Auf Zehenspitzen tänzeln sie umeinander herum. Die zwei jungen Frauen, gehüllt in schneeweiße hochgeschlossene Gewänder mit Schleiern und Silberverzierungen, drehen sich und lächeln, doch halten sie den Blick stets auf den Boden gesenkt. Ihre Tanzpartner, maskulin und verwegen in Paradeuniformen mit Fellmützen, versuchen, sie zu umgarnen, bewegen sich lockend. Immer schneller, immer forscher. Sie suchen die Bestätigung, getanzte Zuneigung.

Die jungen Leute, die im Kulturzentrum von Kfar Kama in traditionellen Kostümen ihre Tänze aufführen, sind Tscherkessen, eine Minderheit, die in zwei Dörfern im Norden Israels lebt. Kfar Kama in Untergaliläa hat rund 3500 Bewohner, sunnitische Muslime, die von Einwanderern aus dem Kaukasus am Schwarzen Meer abstammen.

»katastrophe« Dort lebten die Tscherkessen bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Im Jahr 1864 geschah die »Katastrophe«, wie sie es nennen, als die Armee des russischen Zaren rund eineinhalb Millionen Tscherkessen ermordete.

Die Gründer kamen in den 1870ern, als sie die Erlaubnis der Osmanen erhielten.

Die Überlebenden flohen und ließen sich hauptsächlich in der Türkei, Ägypten und in Syrien nieder. In den 1870er-Jahren kamen die Gründer von Kfar Kama nach Galiläa, nachdem sie die Erlaubnis der damals herrschenden Osmanen erhalten hatten. Sie blieben – und haben es nun auf die Liste herausragender Dörfer der Tourismusorganisation der Vereinten Nationen 2022 geschafft. Es ist der erste israelische Ort, dem diese Ehre zuteilwird. Eine Delegation aus Kfar Kama reist Ende Februar zur Zeremonie in Saudi-Arabien.

Tradition Die Botschaft aus New York kam im Dezember vergangenen Jahres. Dabei hat der Großteil der Welt von diesem Fleckchen wahrscheinlich noch nie gehört. Doch gerade darum geht es. Denn durch die Aufnahme auf die Liste soll ländlicher Tourismus gefördert und der einzigartige Charakter eines Ortes bewahrt werden. Auswahlkriterien waren unter anderem Nachhaltigkeit und die Bewahrung der ursprünglichen Traditionen. Die werden in Kfar Kama ganz offensichtlich hochgehalten.

Für den Zuschauer, der die anmutigen Bewegungen der Tänzer beobachtet, scheint die Zeit stillzustehen. Dann, als eine der jungen Frauen in Jeans vorbeihuscht, nachdem sie ihr Kostüm abgelegt hat, reiben sich einige die Augen, als fiele es ihnen schwer, wieder in der Gegenwart angelangt zu sein.

Dabei leben junge Tscherkessen durchaus im Hier und Jetzt. Ein Mitglied des Ensembles studiert Elektrotechnik, die 19-jährige Nafna Napso möchte Zahnärztin werden. In fließendem Englisch erzählt sie, wie sehr sie ihre Kultur liebt und gleichzeitig modern lebt. »Wir sprechen Tscherkessisch miteinander, aber im Beruf, in Schule oder Uni meist Iwrit.« Natürlich texten sie, wie andere Gleichaltrige, per Handy auf Tscherkessisch, mit hebräischen Buchstaben.«

Tscherkessisch ist eine sogenannte Konsonantensprache, die hier jedes Kind in der Familie und im Kindergarten lernt.

Denn die geschriebene Sprache ist schwer zu erlernen, das kyrillische Alphabet besteht aus 64 Buchstaben. Tscherkessisch ist eine sogenannte Konsonantensprache, die hier jedes Kind in der Familie und im Kindergarten lernt.

Vielsprachigkeit Bei der Einschulung kommt Hebräisch dazu, ab Klasse zwei Arabisch und Englisch. Die meisten Bewohner der Gemeinde sind viersprachig. Nicht alle Tscherkessen in anderen Ländern haben die Sprache bewahrt. Und doch können die meisten miteinander kommunizieren. »Denn unsere Tänze sind überall dieselben«, weiß Nafna. »Wenn wir uns treffen, tanzen wir meist mehr, als wir reden.«

Heute leben Tscherkessen in mehr als 50 Ländern, erklärt der Bürgermeister des Dorfes, Zakaria Napso. In Deutschland seien es um die 50.000. Auch Cem Özdemir, Landwirtschaftsminister der Grünen, gehört dazu, hebt Napso stolz hervor. Sein Vater war Tscherkesse.

Das Dorf am Fuße des Berges Meron könnte Paradebeispiel für einen Ort sein, den man als »malerisch« bezeichnet. Die blitzsauberen Gässchen führen entlang gepflegter Häuser mit sattgrünen Gärten. Zentrum ist eine Moschee aus schwarzen und weißen Steinen. Die Bewohner sind freundlich, grüßen, wenn sie Fremden begegnen, »und betätigen niemals die Hupe ihres Autos«, wie der Leiter des Kulturerbezentrums, Aibek Napso, betont.

stolz Dass sich dies ändern würde, wenn Touristenmassen hierher strömen, darüber sorgen sich nicht wenige Einwohner. Denn sie sind stolz auf ihre Ordnung, die Sauberkeit und Ruhe in ihrem etwas verschlafenen Zuhause. Natürlich, Parkplätze, Toiletten und mehr Gastronomie müssten her, meint Napso. Doch er ist sicher, die Menschen hier seien bereit.

Die jungen Leute leben im Hier und Jetzt. Sie texten auf Tscherkessisch mit hebräischen Lettern.

»Im vergangenen Jahr besuchten bereits mehr als 30.000 Gäste das Kulturzentrum. Wir wissen, wie wir damit umgehen.« Auch der Bürgermeister freut sich auf Gäste aus dem In- und Ausland und erklärt, dass man lange vor der UN-Liste mit der Entwicklung des Tourismus begonnen habe. Es sei ein strategischer Schritt, damit die Familien ihren Lebensunterhalt verdienen können. »Es gibt keinen Ort auf der Welt wie diesen, ein Dorf, das ganz tscherkessisch ist. Die gesamte tscherkessische Welt schaut auf uns und treibt uns an.«

Das sieht auch Aibek Napso so und hebt einen weiteren Vorzug dieses Erbes hervor: »unsere hervorragende Küche«. Die tischt Suzi Ashmooz in ihrem eigenen Wohnzimmer für Gäste mit Vorbestellung auf. Die Tafel scheint sich unter den Dutzenden von Köstlichkeiten zu biegen. Eine zentrale Rolle spielt dabei fetter, geräucherter Käse. Sara Thakoo und ihr Mann bieten ihn in ihrer Molkerei an – handgemacht nach dem Rezept der Großmutter. »Köstlich«, befinden die Gäste beim Probieren und fragen, wo man diesen Käse sonst noch kaufen könne. Tehawki lächelt: »Nirgends, nur in Kfar Kama.«.

Für Tscherkessen auf der ganzen Welt ist Kfar Kama nicht irgendein Dorf – ob auf der UN-Liste oder nicht. Aibek Napso zieht eine Parallele: »Wenn Israelis sagen: ›Nächstes Jahr in Jerusalem‹, dann sagen Tscherkessen: ›Nächstes Jahr in Kfar Kama.‹«

aktivitäten Es ist das Zentrum, von dem aus die Aktivitäten aller Tscherkessen gelenkt werden. Weltweit gibt es schätzungsweise neun Millionen, in Israel sind es insgesamt weniger als 5000. Aibek lebt in vierter Generation im Dorf. »Doch dass ich Tscherkesse bin, würde mir kaum jemand ansehen. Ich bin ein israelischer Sabra.« Das ist auch Bibras Natcho. Der Kapitän der israelischen Fußballnationalmannschaft ist ebenfalls Dorfjunge aus Kfar Kama.

Kfar Kama ist nicht irgendein Dorf, sondern das Zentrum aller Tscherkessen weltweit.

»Nicht außergewöhnlich«, meint der Bürgermeister. »Schließlich sind Tscherkessen Teil der israelischen Gesellschaft in allen Bereichen. Wir streben Höheres an und haben viele Ambitionen.« Auch den Traum eines eigenen Staates würden alle Tscherkessen teilen, meint er noch. Doch dass der bald entstehe, daran glaubt hier niemand. Immerhin, eine eigene Flagge gibt es schon: Zwölf goldene Sterne stellen die ursprünglichen Stämme dar, die im Kaukasus lebten, Pfeile auf grünem Grund stehen für die Kraft des Volkes und die Verbindung mit der Natur.

Ein eigener Staat erscheint hier auch nicht so wichtig. Über ihre jetzige Heimat sagen die Bewohner Kfar Kamas nur Gutes. »Wir leben in einer Demokratie, haben alle Rechte, dürfen unsere Kultur bewahren, wie wir es wünschen und sind gleichzeitig voll in die Gesellschaft integriert«, lobt Aibek Napso. »Das ist nicht selbstverständlich.«

spagat Zwar sei dieser Spagat ohne eigenen Staat keine leichte Aufgabe, »doch für uns funktioniert es«. Vielleicht auch deshalb, weil die Tscherkessen keinerlei Anspruch auf Land in Israel erheben. Wenn ein Staat, dann nur im Kaukasus. Kritik an der Regierung ist übrigens keine tscherkessische Art. Sie sind dem Staat gegenüber loyal, ähnlich den Drusen, die in Galiläa leben. Der Dienst in der israelischen Armee ist für sie eine Selbstverständlichkeit.

»Obwohl wir anders sind, fühlen wir uns hier völlig willkommen«, bestätigt Nafna, die Tänzerin. Dauerhaft aus Kfar Kama wegzuziehen, das komme für sie nicht in Betracht. Auch nicht ins Zentrum, vielleicht nach Tel Aviv? »Auf gar keinen Fall«, schüttelt sie den Kopf. »Sogar wenn ich 10.000-mal wiedergeboren würde, ich wähle immer Kfar Kama«, sagt sie, klemmt ihren wehenden Schleier unter den Arm, lächelt charmant und läuft in ihren All-Star-Turnschuhen davon.

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