Es ist Schabbat-Mittag im Hotel in Jerusalem. Die jungen Leute haben eine intensive Woche hinter sich: eine Fülle von Briefings, Gesprächen, Orten, die einander diametral entgegengesetzt scheinen: die Westmauer und ein Tel Aviver Polit-Kinoabend, Yad Vashem und der lärmende Mahane-Yehuda-Markt. Damit ist das Programm allerdings noch lange nicht erschöpft.
Gleich am Nachmittag werden sich die 30 jungen Erwachsenen – Teilnehmer der vom Zentralrat der Juden in Deutschland in Kooperation mit der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) und mit Unterstützung der Genesis Philanthropy Group veranstalteten Israelreise – auf eine gesellschaftspolitische Stadtführung durch verschiedene Viertel Jerusalems begeben, zu Fuß, es ist ja noch Schabbat.
Am Abend ist ein intensiver Workshop geplant. Da ist die Zeit für die vergnüglicheren Seiten des Landes knapp. Gewiss: Eine Segway-Tour steht noch auf dem Programm, und einen halben Tag lang dürfen die Besucher eine Jeep-Wüstentour machen und im Toten Meer baden. Für den Strand in Tel Aviv hat die Zeit aber nicht gereicht, und schon am Montag ist der Rückflug nach Deutschland.
Fürsprache Bei der Studienreise geht es darum, den Teilnehmern Instrumente und Wissen aus erster Hand für »Israel Advocacy« zu geben – ein neudeutsches Wort, das sich als »Fürsprache« übersetzen lässt. Fürsprache für einen Staat, der sich nicht nur militärischen Bedrohungen und erbarmungslosem Terrorismus gegenübersieht, sondern auf der internationalen Bühne diskriminiert und dämonisiert wird.
Und weil solche Fürsprache die große Meinungsvielfalt in Israel wie innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in anderen Ländern widerspiegeln muss, war die Vielfalt von Meinungen, mit denen sich die Teilnehmer in den sieben Tagen vertraut machten, nicht minder beeindruckend als die Vielfalt der Orte, die die Gruppe besuchte. Ein Höhepunkt des Programms war das Treffen mit Yuval Diskin, dem ehemaligen Leiter des Inlandssicherheitsdienstes Schin Bet.
Diskin, im Ruhestand ein Kritiker der gegenwärtigen Regierung und Verfechter einer israelischen diplomatischen Initiative zur Lösung des Nahostkonflikts, versorgte die Gäste aus Deutschland nicht nur mit Informationen, sondern auch mit beeindruckenden persönlichen Geschichten.
Kernthema Eindrucksvoll ist auch die geopolitische Jerusalem-Tour mit Miri Eisin, langjährige Offizierin im Armeenachrichtendienst und ehemalige außenpolitische Beraterin im Ministerpräsidentenamt. Unter dem Titel »Was ist denn nur so kompliziert?« weiht sie die Teilnehmer in die komplexe politische und demografische Lage in Israels Hauptstadt ein. Sehr anschaulich zeigte ein Besuch an der Grenze zu Gaza, wie schwer das Leben in den von Granatwerfern, Raketen und Brandsätzen der Hamas heimgesuchten israelischen Ortschaften ist.
Für Information und Analyse zum Nahostkonflikt sorgten auch Richard C. Schneider, langjähriger Israel-Chefkorrespondent der ARD, sowie Avital Leibovich, Direktorin des American Jewish Committee in Jerusalem. Briefings erhielten die Teilnehmer auch an der deutschen und an der amerikanischen Botschaft sowie von der ehemaligen Botschafterin Israels in Russland, Dorit Golender.
An diesem Schabbat-Mittag geht es aber ruhig, nachdenklich und reflektierend zu. In einem Workshop diskutieren die Teilnehmer über ein Kernthema: die Fürsprache für den jüdischen Staat als Teil der eigenen Identität. Der Jugendreferent des Zentralrats, Marat Schlafstein, der die Reise begleitet, betont, eine solche Identifizierung könne das Engagement für Israel stärken. Nach vielen Jahren, in denen die jüdische Gemeinschaft in Deutschland ihre Kräfte auf die Integration der Zuwanderer aus der Ex-UdSSR konzentrieren musste, sei es nun möglich, sich stärker der Fürsprache für Israel zuzuwenden.
Sichtweise Von der Informationsfülle beeindruckt zeigte sich Igor Matviyets aus Halle an der Saale. Als »Normaltourist« komme man an solche Gesprächspartner, wie die Reise sie geboten hat, nicht heran. Das Gehörte und Erlebte werde ihm Argumentationshilfe für Gespräche über Israel liefern. Die Münchnerin Diana Goldberg ist mit Israel seit Langem vertraut. Dennoch habe sie auf der Bildungsreise neue und differenzierte Einsichten gewonnen. So etwa auch bei dem Treffen mit einem Vertreter der Siedlungsbewegung im Westjordanland. Zwar habe er sie letztendlich nicht überzeugen können, doch habe sie seine Sichtweise besser verstanden.
Arthur Poliakow, JSUD-Vorstandsmitglied, meinte, neben der Wissensvermittlung sei auch wichtig, dass die Reiseteilnehmer einander besser kennengelernt haben. Solches Networking schaffe die Möglichkeit, nach der Rückkehr bessere Aufklärungs- und Bildungsarbeit über Israel zu leisten. In einem waren sich die Teilnehmer einig: Die Reise war nur der Anfang eines stärkeren und effektiveren Engagements für Israel. Die wirkliche Arbeit, so meinen viele, fängt erst nach der Rückkehr nach Deutschland an.