Beim Großangriff der Hamas teilten viele thailändische Erntehelfer in Israel das Schicksal Hunderter Einheimischer, die getötet, entführt oder in die Flucht getrieben wurden. Mehr als 7000 der insgesamt etwa 30 000 Arbeitskräfte aus dem südostasiatischen Land kehrten seit dem 7. Oktober mit staatlichen Evakuierungsflügen in ihre Heimat zurück. Doch viele entschieden sich zu bleiben, da sie in Israel viel mehr Geld verdienen können als zu Hause.
Nach thailändischen Angaben sind unter den Geiseln der Hamas mindestens 23 thailändische Staatsangehörige – die größte Gruppe an Ausländern in der Hand der im Gazastreifen herrschenden Extremisten. Viele weitere werden vermisst, 32 wurden Berichten zufolge getötet.
Zu den Entführten gehört der 26-jährige Natthaporn Onkeaw, wie seine Mutter Thongkun Onkeaw sagt, die im Nordosten Thailands nahe der Grenze zu Laos lebt. Ihr Sohn arbeitete seit 2021 in einem Kibbuz und war - wie viele seiner Landsleute in Israel - der Hauptverdiener seiner Familie. Regelmäßig schickte er Geld nach Hause.
»Ich habe Angst um seine Sicherheit«
Onkeaw war als einer von wenigen Thailändern auf einem von der Hamas veröffentlichten Foto zu sehen, das Arbeitsministerium in Bangkok bestätigte später die Namen. Seit der Geiselnahme habe sie nichts von ihrem Sohn gehört, sagt Thongkun Onkeaw: »Ich kann nur für die Sicherheit meines Sohnes beten.«
Ein weiterer Entführter wurde von seiner Ehefrau als der 26-jährige Kong Saleo identifiziert. In sozialen Medien kursiert ein Video, auf dem er von einem Hamas-Terroristen im Würgegriff weggezerrt wird. Saleo soll von einer Avocado-Plantage verschleppt worden sein. »Als ich die Bilder gesehen habe, wusste ich, dass er es ist«, sagte seine Frau Suntree Saelee der Zeitung »Bangkok Post«. »Ich habe Angst um seine Sicherheit.«
Saleos Landsmann Sompong Jandai dachte nach dem 7. Oktober erstmals darüber nach, in seine Heimat zurückzukehren. Die israelische Hühnerfarm, auf der er seit Juli arbeitet, wurde in den ersten Kriegstagen von Explosionen erschüttert. Doch das Geld bewog den 31-Jährigen zum Bleiben: Sein Lohn beträgt etwa das Achtfache dessen, was er in Thailand verdienen würde. Den Großteil davon schickt er nach Hause, um seine Frau und die vier Kinder zu unterstützen und einen Kredit zurückzuzahlen, den er für den Umzug nach Israel aufgenommen hat.
Größte Gruppe an ausländischen Arbeitskräften
Die ersten Gastarbeiter hatte Israel nach der ersten Intifada, dem palästinensischen Aufstand von 1987 bis 1993, systematisch aufgenommen, da das Vertrauen von Arbeitgebern in palästinensische Beschäftigte schwand. Viele kamen aus Thailand, und sie bilden nach wie vor die größte Gruppe an ausländischen Arbeitskräften in der israelischen Landwirtschaft. Vor zehn Jahren schlossen beide Staaten ein bilaterales Abkommen, um das Verfahren zu erleichtern. Seitdem kehrten auch viele palästinensische Arbeitskräfte zurück. Vor dem 7. Oktober waren etwa die Hälfte aller Erwerbstätigen in Israel ausländische oder palästinensische Beschäftigte.
In den vergangenen Jahren geriet Israel wegen unsicherer Arbeitsbedingungen thailändischer Erntehelfer in die Kritik. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) beklagte 2015 in einem Bericht, die Gastarbeiterinnen und -arbeiter würden häufig in provisorischen, unzureichenden Unterkünften untergebracht. Zudem liefe ihre Bezahlung deutlich unter dem gesetzlichen Mindestlohn, sie seien gezwungen, über das zulässige Maß hinaus Überstunden zu leisten, und dürften den Arbeitgeber nicht wechseln.
HRW ist seit Jahren als antiisraelische Organisation bekannt, was über die Probleme, denen thailändische Erntehelfer ausgesetzt sind, jedoch nicht unbedingt etwas aussagt.
Warnung vor Ausweitung des Konflikts
In der aktuellen Krise hat sich nun auch die thailändische Regierung eingeschaltet. Ministerpräsident Srettha Thavisin forderte seinen israelischen Kollegen Benjamin Netanjahu auf, sich für eine sichere Rückkehr der thailändischen Geiseln einzusetzen. Er rief thailändische Arbeitskräfte auf, Israel zu verlassen, und warnte im Kurznachrichtendienst X, vormals Twitter, vor einer Ausweitung des Konflikts.
»Ich möchte betonen, dass die Sicherheit unserer Leute das Wichtigste ist«, schrieb er. »Bitte kehren Sie nach Hause zurück.« In der vergangenen Woche reiste zudem eine Delegation des thailändischen Parlaments zu einem Treffen mit einem Hamas-Vertreter in den Iran, um sich auch von dieser Seite für eine Freilassung der Geiseln stark zu machen.
Der Gastarbeiter Siroj Pongbut hat sich nun – zumindest für die Dauer des Kriegs - für eine Rückkehr nach Thailand entschieden, auch wenn er dort in der Landwirtschaft nicht genug verdient, um seine Frau und seine drei Kinder zu ernähren.
Der 27-Jährige hat erst wenige Wochen vor dem 7. Oktober als Erntehelfer auf einer Tomatenfarm in Israel angefangen. Das Risiko dort erscheine ihm aber derzeit zu hoch, erklärt Pongbut. »Ich weiß nicht, wie es weitergeht«, sagt er am Telefon, während er auf einen Evakuierungsflug aus Tel Aviv wartet. »Ich mache mir Sorgen, dass es noch schlimmer wird.«