Naomi Aschkenazi hat ihre Rundreise durch Indien abgesagt. Jahrelang hatte sie darauf gespart, im Frühjahr 2014 sollte es losgehen. Es war ein gemeinsamer Traum, mit ihrem Lebensgefährten das Land zu erkunden. Doch dann kam etwas dazwischen. Keine Krankheit, keine politischen Spannungen, sondern die Scheidung der Tochter. »Und damit war mein Erspartes futsch«, sagt Aschkenazi und zuckt mit den Schultern, als wolle sie sagen: »Da kann man nichts machen.«
Aschkenazi ist kein Einzelfall. Eine neue Studie des Taub-Zentrums für Sozialstudien fand nun heraus, dass nahezu 90 Prozent der israelischen Eltern ihren erwachsenen Nachwuchs regelmäßig finanziell unterstützen.
Malochen Für Aschkenazi war es schmerzhaft, von der lang ersehnten Reise zurückzutreten, doch gleichzeitig keine Frage, der Tochter unter die Arme zu greifen. »Sie ist jetzt praktisch allein mit zwei Kindern, das kann sie gar nicht schaffen.« Zwar zahle der Vater der Kinder regelmäßigen Unterhalt für seine Söhne, doch viel sei das nicht. Allein die Anwaltskosten hätten mehrere Zehntausend Schekel verschlungen. Dazu brauchte die nun Alleinerziehende ein neues Auto, denn das alte hatte der Ex-Mann mitgenommen. Und Aschkenazi zahlte.
Groll deswegen hegt sie gegen ihre Tochter in keiner Weise. »Sie arbeitet schließlich Vollzeit, kümmert sich wundervoll um ihre Kinder und kann nichts dafür, dass man in unserem Land so gut wie nichts mehr bezahlen kann. Würde der Staat angemessen für seine Bürger sorgen und sie nicht mit exorbitanten Preisen und Steuern ausbluten, könnten wir hier alle wunderbar leben. So aber müssen wir bis zum Umfallen malochen und zahlen, zahlen, zahlen.«
Die Untersuchung des Taub-Zentrums zeigt, dass 87 Prozent der Menschen in Israel ihren bereits erwachsenen Kindern regelmäßig Finanzspritzen geben müssen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Ein bedeutender sind der Studie zufolge die überteuerten Preise für Wohnraum. Von allen 34 Mitgliedstaaten der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) sind Wohnungen in Israel im Verhältnis zum Einkommen am teuersten.
Steuern Der Leiter des Taub-Zentrums, Dan Ben-David, erklärt, dass es mit einem durchschnittlichen Gehalt in Israel fast acht Jahre dauert, um eine Wohnung zu erstehen, in den USA dagegen lediglich etwas weniger als drei Jahre. »Doch bei uns kommt dazu, dass man in diesen Jahren weder essen noch seine Steuern zahlen darf.« Ben-David sagt es ohne Schmunzeln. »Die Steuern sind viel höher, die Gehälter viel niedriger.« Viele junge Israelis lebten daher lange bei ihren Eltern zu Hause. Und wenn sie auszögen, dann oft auf Kosten von Mama und Papa.
Wie die Töchter der Familie Farchi. Nachdem Hila mit der Armee und dem Studium fertig war, wollte sie mit ihrem langjährigen Freund in Tel Aviv eine gemeinsame Wohnung suchen. »Doch die Mieten sind so hoch, die Jobs der beiden Berufsanfänger so schlecht bezahlt, dass es einfach unmöglich war, ohne ein Minus am Monatsende dazustehen«, berichtet Mutter Schoschi. »Also bezahlen wir zähneknirschend die Miete. Das entspricht genau dem, was wir monatlich von der vermieteten Wohnung einnehmen, die uns unsere Eltern einst hinterlassen haben. Ursprünglich hatten wir gedacht, uns damit einen schönen Ruhestand leisten zu können. Doch natürlich lassen wir unsere Kinder nicht im Regen stehen und helfen, wo es nur geht.«
Betreuungskosten Bei der älteren Tochter sieht es nicht viel besser aus. Die ist bereits verheiratet und lebt in Pardes Hanna im Norden des Landes mit ihrem Mann und zwei kleinen Kindern. »Aber auch da müssen wir monatlich unterstützen, denn die Betreuungskosten für den Nachwuchs in Krippe und Kindergarten fressen einen Großteil des Einkommens der jungen Familie auf«, so Farchi. In den vergangenen Monaten sei die finanzielle Situation ihrer Tochter noch schlechter geworden. »Durch die Maßnahmen von Finanzminister Yair Lapid«, wie die Tel Aviverin wütend anmerkt. »Er ist ein Wolf im Schafspelz, der uns mit seinem Charme dazu gebracht hat, ihm seine Stimme zu geben, und uns nun dafür bluten lässt.«
Lapid hatte in den vergangenen Monaten neben der Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt – auf alle Produkte und Dienstleistungen, Lebensmittel inklusive – die Kürzung des Kindergeldes beschlossen. Statt umgerechnet 90 Euro für zwei Kinder gibt es jetzt nur noch etwa 24. »Meine Kinder haben also überhaupt keine Schuld an dieser Misere«, ist Farchi sicher. »Denn statt es etwas unkomplizierter zu machen, wird es tagtäglich schwieriger hier.«
Doch einfach sei es nicht, »dass wir Alten auf so viel verzichten müssen, um unsere Kinder ständig zu unterstützen. Schließlich haben wir häufig dieselben Schwierigkeiten.« Sie wisse aber genau, dass ihre Töchter keine Schmarotzer sind, die gern auf Kosten der Eltern lebten. »Doch sie haben keine Wahl. Das Leben in Israel ist dieser Tage einfach so gut wie unmöglich geworden.«