Berlin

Terrorvorwürfe? Gegen uns?

Massiv in der Kritik: UNRWA-Chef Philippe Lazzarini Foto: picture alliance/KEYSTONE

Bereits im Juni war er in Berlin, um für finanzielle Hilfe und politische Unterstützung des massiv umstrittenen und mit zahlreichen Terrorvorwürfen konfrontierten UN-Palästinenserhilfswerks (UNRWA) zu werben. Nun kam UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini erneut in die deutsche Hauptstadt. Am Mittwoch sprach er vor Journalisten über die aktuelle Situation und Schwierigkeiten der humanitären Hilfe im Nahen Osten.

Dabei beschrieb Lazzarini Gaza als einen Ort, »der selbst die erfahrensten humanitären Helfer entsetzt«. Es sei zu einer Art Ödland geworden, das seiner Meinung nach fast unbewohnbar ist. Die Menschen kämpften täglich darum, am Leben zu bleiben, sie kämpften gegen Krankheiten und auch gegen Hunger.

Darüber hinaus sei dort der völlige Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung festzustellen. Die humanitäre Lage in Gaza sei apokalyptisch.

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Im Zusammenhang mit dem Massaker vom 7. Oktober und dem seit einem Jahr andauernden Krieg gegen die palästinensische Terrororganisation Hamas erwähnte der Schweizer Diplomat die Aufrufe und Bemühungen, einen Waffenstillstand zu erreichen, die Geiseln freizulassen, aber auch die humanitäre Hilfe in Gaza zu verstärken.

Darüber hinaus finde seit dem 7. Oktober im Westjordanland »eine Art stiller Krieg« statt, im Libanon erlebe man die Eskalation des Krieges. »Die Bedürfnisse in der Region waren noch nie so groß, aber gleichzeitig war die Hilfsorganisation noch nie so stark angegriffen worden«, sagte Lazzarini.

Kritik an der israelischen Regierung

In diesem Zusammenhang übte Lazzarini heftige Kritik an der israelischen Regierung. Unter anderem kritisierte er den angeblich fehlenden politischen Willen, »den sich ausbreitenden Hunger im Gazastreifen angemessen zu bekämpfen«.

Die israelische Regierung wirft der UNRWA vor, mit Terrororganisationen zusammenzuarbeiten. Berichten zufolge sollen 1200 UNRWA-Angestellte der Hamas oder dem Islamischen Dschihad angehören, einige sogar direkt an den Massakern des 7. Oktober mitgewirkt haben. Derzeit berät die Knesset Gesetzentwürfe, nach denen das Palästinenserhilfswerk als Terrororganisation eingestuft und ihm alle Aktivitäten in Israel untersagt werden sollen.

Lazzarini sagte dazu, er glaube, dass die Motivation dahinter politischer Natur sei, dass das eigentliche Ziel darin bestehe, den Palästinensern den Flüchtlingsstatus zu entziehen und auch das Streben der Palästinenser nach zukünftiger Selbstbestimmung zu schwächen.

Beteiligung von UNRWA-Mitarbeiter an den Massakern

Zu den Vorwürfen, dass sich UNRWA-Mitarbeiter an den Massakern beteiligt hätten, sagte Lazzarini, dass jeder der 19 einzelnen Fälle untersucht worden sei. Im Ergebnis habe sich bei der Hälfte der Mitarbeiter herausgestellt, »dass es absolut nicht genug Beweise gibt, um die Untersuchung fortzusetzen«. Für die andere Hälfte sei die Schlussfolgerung nicht eindeutig gewesen, die Informationen konnten angeblich nicht authentifiziert werden konnten.

Die UNRWA sei bereit, eine Liste mit weiteren Namen zu überprüfen. Er habe Israel darum gebeten, die Anschuldigung zu belegen, habe aber keine weiteren Informationen erhalten. Im Zusammenhang mit dem Massaker vom 7. Oktober gebe es derzeit keine offene Untersuchung mehr.

Nach Bekanntwerden der Vorwürfe hatten mehrere Geberländer, darunter auch die Bundesrepublik, die Zahlungen ausgesetzt. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte vor wenigen Tagen, dass man die Vorwürfe sehr ernst nehme, UNRWA allerdings in der Region eine wichtige Rolle spiele, und die Bundesregierung deshalb die Organisation weiterhin fördere.

Das Auswärtige Amt habe 2024 bisher 38 Millionen Euro für die Arbeit des Hilfswerks zur Verfügung gestellt. Im vergangenen Jahr unterstützte die Bundesregierung das UN-Hilfswerk eigenen Angaben zufolge mit mehr als 200 Millionen Euro.

Lazzarini machte deutlich, dass UNRWA weiterhin über die politische Unterstützung hinaus die notwendige finanzielle Unterstützung benötige. »Die gute Nachricht ist, dass alle Länder ihre Beiträge für die Agentur wieder aufgenommen haben, mit Ausnahme eines Landes, über das wir Anfang nächsten Jahres mehr Klarheit haben werden.« Der US-Beitrag sei bis März 2025 eingefroren.

Auf Vorwürfe, dass auch mit deutschen Steuergeldern Terror finanziert werde, ging Lazzarini nicht ein.

Neutralitätsprobleme

Eine UN-Untersuchungskommission hatte der UNRWA unlängst Neutralitätsprobleme bescheinigt und eine Reihe von Empfehlungen gegeben, auch zur Überprüfung von Mitarbeitern oder zur Revision des Lehrmaterials der UNRWA-Schulen.

Dazu sagte Lazzarini, dass es in seinem Büro ein Team gebe, das sich ausschließlich mit der Umsetzung der Empfehlungen befasse, und in den letzten Monaten »einige Fortschritte bei der Überprüfung des Personals« erzielt worden seien.

Seine Behörde lese jede Seite, der in UNRWA-Schulen zur Verfügung gestellten Bücher, um zu prüfen, inwieweit der Inhalt mit dem UNESCO-Standard vereinbar sei. Er versuche nicht, die palästinensische Erzählung mit der israelischen in Einklang zu bringen. »Aber Antisemitismus zu lehren, dafür gibt es in unserer Klasse absolut keinen Platz.« Und wenn dies passieren würde, würden angemessene Maßnahmen gegen die dafür verantwortlichen Personen ergriffen werden.

Inwieweit dies wirklich geschieht, ist mehr als fragwürdig. Als beispielsweise kürzlich der Hamas-Kommandeur Fathi al-Sharif bei einem israelischen Luftangriff auf die libanesische Hafenstadt Tyros getötet wurde, feierte ihn die Terrororganisation als »erfolgreichen Lehrer und ausgezeichneten Schuldirektor«.

Er stand in den Diensten des Palästinenserhilfswerks, war auch Chef der nationalen UNRWA-Lehrergewerkschaft. UNRWA verwies darauf, nichts von dessen »politischen Aktivitäten« gewusst zu haben.

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