Es wirkt diesen Sommer friedlich in Israel – und doch herrscht Krieg. Eine neue militärische Auseinandersetzung mit der Hamas im Gazastreifen, die viele befürchtet hatten, blieb bislang aus. Doch es brodelt an einer anderen Front. Nach einem Brandanschlag in dem palästinensischen Dorf Douma mit zwei Toten und zwei Schwerverletzten ist das Land mit einer neuen Realität konfrontiert: der des jüdischen Terrors. Nachdem die Aktivitäten der jüdischen Extremisten vom politischen Establishment offenbar jahrelang unterschätzt wurden, wie sogar Regierungsmitglieder jetzt zerknirscht eingestehen müssen, handeln die israelischen Sicherheitsdienste nun.
In den vergangenen Tagen wurden in jüdischen Siedlungen des Westjordanlandes mehrere bekannte Extremisten und Anführer von Untergrundorganisationen festgenommen, darunter Meir Ettinger, Enkel des rechtsextremen Meir Kahane. Anschließend verhaftete die Polizei am Sonntag mindestens neun Männer, die im Zusammenhang mit dem Brandanschlag stehen könnten. Eine der illegalen Siedlungen, die durchsucht wurden, war Adei Ad, die nur wenige Kilometer von Douma entfernt liegt. Details unterliegen einer Nachrichtensperre, um die laufenden Ermittlungen nicht zu gefährden.
Bei dem Brandanschlag wurde der 18 Monate alte Ali Daoubasa getötet. Vier Tage später erlag auch sein Vater Saed seinen schweren Verletzungen. Die Mutter und der vierjährige Bruder schweben noch immer in Lebensgefahr. Saeds Vater Hussein sagte unter Tränen, er habe beim Bau des Krankenhauses mitgeholfen, in dem sein Sohn nun gestorben ist. »Ich hoffe, dass er das letzte Opfer von Terrorismus ist.« Der Anschlag auf die palästinensische Familie ist in Israel quer durch die Parteienlandschaft aufs Schärfste verurteilt worden.
Gesetz Bei der Beisetzung von Ali hatte die Hamas zu einem »Tag des Zorns« aufgerufen, und auch bei der Bestattung des Vaters am Montag skandierten die Massen Rufe nach Rache. Es kam zu einigen Ausschreitungen zwischen Armee und Palästinensern, die jedoch relativ schnell beendet werden konnten. Die israelischen und palästinensischen Sicherheitskräfte arbeiteten eng zusammen, heißt es.
Regierungschef Benjamin Netanjahu brachte sein Bedauern über den Tod von Saed Daoubasa zum Ausdruck. »Als ich die Familie letzte Woche im Krankenhaus besuchte, habe ich versprochen, dass wir alle Maßnahmen anwenden, um die Mörder zu finden. Und das tun wir. Wir dulden keinen Terror von irgendeiner Seite.«
Bei den jüngsten Verhaftungen wurde zum ersten Mal ein vom Kabinett abgesegnetes neues Gesetz angewandt. Es besagt, dass auch jüdische Extremisten mit der sogenannten Verwaltungshaft belegt und damit ohne Verfahren monatelang festgehalten werden dürfen. Zuvor war dieses umstrittene Verfahren lediglich bei palästinensischen Terroristen angewandt worden. Verteidigungsminister Mosche Yaalon persönlich hatte es für die Verhafteten angeordnet. Außerdem sind sie in unterschiedlichen Gefängnissen untergebracht.
Ein Sicherheitsexperte erklärte im Armeeradio, dies helfe, »die Bewegungsfreiheit der jüdischen Terrorgruppen zu beschränken«. Man werde diesen Gruppen keinen Bonus einräumen, sagte er weiter, sondern die Täter so lange jagen, bis man sie vor Gericht gestellt hat. Doch es sind nicht bloß wenige, die Gewalt als legitimes Mittel sehen, ihre Vorstellung von einem »Groß-Israel« zu realisieren, sind Experten sicher. Hunderte fielen unter diese Kategorie.
Einer, der sich vehement gegen Rassismus und die Gewalt von Rechts ausgesprochen hat, ist Präsident Reuven Rivlin. Das Staatsoberhaupt kritisierte auch die israelische Gesellschaft für ihren latenten Rassismus. Dafür erhielt Rivlin massenweise Hass-E-Mails und sogar Morddrohungen. Er sehe durchaus die Möglichkeit eines weiteren politischen Attentates, sagte Rivlin und bezog sich auf die Ermordung des damaligen Premierministers Yitzhak Rabin 1995 durch einen jüdischen Fanatiker. Rivlin gab zu, schwere Tage zu durchleben, doch »deshalb ändere ich meine Vorhaben nicht. Ich persönlich habe keine Angst.« Auch kursierten retuschierte Bilder von ihm und Netanjahu mit SS-Uniform und Hitler-Schnäuzer. Rivlins Team reichte daraufhin Klage wegen Volksverhetzung ein.
Anklage Dass die Rechtsextremisten es ernst mit ihren Drohungen meinen, bestätigte die berüchtigte Siedler-Anführerin Daniella Weiss in einem Fernsehinterview: »Gebt diese Nachricht an Ruby Rivlin weiter: Er kann ruhig schlafen. Er ist viel zu unwichtig und keine Ermordung wert.« Verschiedene Knessetabgeordnete wollen Weiss nun auf der Anklagebank sehen – wegen des Aufrufs zum Mord.
Auch in der christlichen Gemeinde Israels herrscht ungute Stimmung. Nachdem vor wenigen Wochen die Brotvermehrungskirche am See Genezareth von Brandstiftern angezündet wurde, sind die Vertreter der Kirchen aufgeschreckt. Sie fordern, dass die Regierung Stellung bezieht. 20 Bischöfe und Patriarchen der katholischen Kirche forderten in Abstimmung mit dem Vatikan den Staatsanwalt auf, Anklage wegen Aufwiegelung gegen Bentzi Gopstein zu erheben, den Anführer der rechtsextremen Gruppierung Lehava.
Zwar hatte der Schin Bet gerade erst angegeben, es gebe keine ausreichenden Beweise, um Lehava zu verbieten, doch nun scheint Gopstein zu weit gegangen zu sein. Bei einer Diskussion zu jüdischem Recht mit Rabbinern und orthodoxen Journalisten erklärte Gopstein ausführlich, dass Maimonides dazu aufgerufen hätte, »Götzenbilder zu zerstören«. Auf die Frage eines Journalisten, ob er daher dafür sei, Kirchen anzuzünden, antwortete Gopstein: »Ja, natürlich.«
Vor wenigen Tagen sagte Israels Präsident, es gebe viele, die sich wünschten, dass ein demokratischer jüdischer Staat nur für Juden demokratisch sei. Im Land werde es toleriert, wenn Bürger zur Zielscheibe werden, die keine Juden sind – Araber, Christen, Muslime. »Das bringt uns in eine Lage, in der wir alles verlieren können«, warnte Rivlin. »Ob jüdischer oder arabischer Terror – Terror muss als Terror behandelt werden. Wir befinden uns mitten in einem großen Umbruch. Momentan ist alles möglich.«