umfrage

Temperatur der Beziehungen

Eine Studie der Hebräischen Universität Jerusalem beleuchtet, wie Deutsche und Israelis das jeweils andere Land sehen

von Sabine Brandes  23.03.2022 08:09 Uhr

Hand in Hand: Alle zwei Jahre sollen ähnliche Umfragen stattfinden, um Veränderungen von Einstellungen und Erfahrungen verfolgen zu können.
Hand in Hand: Alle zwei Jahre sollen ähnliche Umfragen stattfinden, um Veränderungen von Einstellungen und Erfahrungen verfolgen zu können. Foto: Getty Images/iStockphoto

Eine Studie der Hebräischen Universität Jerusalem beleuchtet, wie Deutsche und Israelis das jeweils andere Land sehen

von Sabine Brandes  23.03.2022 08:09 Uhr

Früher hätte man nicht zugegeben, dass man in Deutschland lebt. »Man sagte Schweiz, vielleicht Österreich«, meint Michael Brenner, Professor für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität München. »Das hat sich völlig gewandelt. Heute gibt es sogar einen Bayern-München-Fanklub in Tel Aviv.« Eine Studie unter der Leitung von Professorin Gisela Dachs vom European Forum der Hebräischen Universität in Jerusalem (HU) beleuchtet die aktuelle israelische Wahrnehmung Deutschlands und die deutsche Wahrnehmung Israels.

»Mit neuen Regierungen in beiden Ländern ist die Zeit ideal, um die Temperatur der Beziehungen zu checken«, sagt Dachs. Es gebe alte Daten von 1992 bis 2011, »und jetzt ist es an der Zeit, diese Fragen noch einmal aufzugreifen«.

»Die Bedeutung dieser Umfrage liegt darin, dass wir nicht nur konkrete Daten darüber erhoben haben, was die Befragten denken, sondern auch, was sie tatsächlich tun.«

Gisela Dachs, Hebräische Universität in Jerusalem

»Die Bedeutung dieser Umfrage liegt darin, dass wir nicht nur konkrete Daten darüber erhoben haben, was die Befragten denken, sondern auch, was sie tatsächlich tun.« So wurde nach Reisen gefragt und wie die Kultur des anderen erlebt wird. »Denn sobald ein bestimmter Wissensmangel identifiziert ist, ist man besser in der Lage, ihn anzugehen.« Beides basiert auf repräsentativen Stichproben der Bevölkerung.

Religiosität In Israel ist die Affinität zu Deutschland an die ethnische Identifikation gebunden, jüdisch oder arabisch. Innerhalb der jüdisch-israelischen Bevölkerung ist die Wahrnehmung Deutschlands fast ausschließlich von der Religiosität der Befragten abhängig. Mit zunehmender jüdischer Religiosität wird die Einstellung negativer. In Deutschland verlaufen die Bruchlinien eher zwischen Altersgruppen, Männern und Frauen, Ost und West sowie zwischen Befragten mit und ohne Migrationsgeschichte.

Einige der wichtigsten Ergebnisse der Umfrage: Eine Mehrheit in beiden Ländern erwartet, dass die neue Regierung in Deutschland die Haltung von Bundeskanzlerin Angela Merkel gegenüber Israel fortsetzt, einschließlich ihrer Feststellung, dass die Existenzsicherung Israels im natio­nalen Interesse Deutschlands liegt.

Gefragt nach der Möglichkeit, dass Deutschland als Vermittler zwischen Israel und anderen Ländern des Nahen Ostens auftritt, wünscht sich etwa die Hälfte der israelischen Befragten eine Beteiligung Deutschlands. Ungefähr derselbe Prozentsatz der Deutschen würde das Land gerne in dieser Rolle sehen. Jüngere Deutsche wünschen sich viel mehr als ältere eine diplomatische Zusammenarbeit.

Reisen 30 Prozent der israelischen und 13,6 Prozent der deutschen Befragten haben das Land des anderen tatsächlich besucht. Viele davon haben ihren Besuch wiederholt. Auf deutscher Seite stammen die meisten Befragten, die Israel besucht haben, aus Westdeutschland, sind ohne Migrationsgeschichte und im Durchschnitt 63 Jahre alt. Der Professor für jüdische Demografie an der HU, Uzi Rebhun, sieht das nicht als besonders aussagekräftig an, denn sicherlich würden pragmatische Gründe eine bedeutende Rolle spielen. »Reisen nach Israel sind schließlich relativ teuer.«

Weiter wurde nach Wissen über das andere Land und dessen Kultur gefragt. Fazit: »Es ist eher begrenzt.« Deutsche Befragte haben außerdem Schwierigkeiten, zwischen israelischer und jüdischer Kultur zu unterscheiden. Brenner sieht hier als einen Grund die »deutliche Asymmetrie« der Zentren für deutsche und israelische Studien an den Universitäten. »In Israel hat jede Hochschule mindestens ein Zentrum für Germanistik, in Deutschland aber kommt Israel an den Unis kaum vor.« Das erste Zentrum für Israelische Studien wurde 2015 in München eröffnet. »Und die Reaktionen waren hauptsächlich positiv. Ich hoffe also sehr, dass weitere Unis folgen.«

Mehr als die Hälfte der Deutschen (58 Prozent) stimmt zu, dass Antisemitismus derzeit ein Problem in ihrem Land ist. Die meisten Befragten (72 Prozent) sehen ihn von der extremen Rechten ausgehen, gefolgt von der gesamten Bevölkerung (70,1 Prozent) und 58 Prozent von der muslimischen Minderheit. Deutlich mehr Befragte aus dem Westen Deutschlands sehen Antisemitismus als Problem aus dem Osten an, wo Männer die Gruppe mit dem geringsten Anteil waren, der zustimmte (38,5 Prozent).

antisemitismus Brenner betrachtet das als problematisch: »Denn obwohl bei den Beziehungen zwischen Israel und Deutschland vieles normal geworden ist, wächst gleichsam der Antisemitismus – und das ist eine komplizierte Entwicklung.«

»In Israel hat jede Hochschule mindestens ein Zentrum für Germanistik.«

Michael Brenner, Historiker

»Kritik an israelischer Politik ist nicht immer ein antisemitischer Akt«, meinen 66 Prozent der Befragten in Deutschland, so die Studie. Auch in Israel sieht eine Mehrheit Kritik an der Politik ihres Landes nicht unbedingt als eine Form von Antisemitismus an, glaubt aber, dass es zumindest manchmal eine Verbindung zwischen beidem geben kann. Auch Professor Rebhun ist der Meinung, dass »Äußerungen gegen die Politik Israels und gegen Juden nicht dasselbe sind. Daher sollte dieses Thema viel breiter diskutiert werden«.

Gisela Dachs plant, alle zwei Jahre ähnliche Umfragen durchzuführen, damit Veränderungen von Einstellungen und Erfahrungen aussagekräftig verfolgt werden können. Sie ist sicher, dass sich Israel und Deutschland in einer kritischen Phase ihrer Beziehung befinden, da eine jüngere Generation in beiden Ländern beginnt, die Zügel in jedem Aspekt des Lebens zu übernehmen.

»Wir müssen in die Zukunft schauen«, sagt Dachs. »Die Geschichte ist eine starke Säule, aber sie verblasst. Die Herausforderung besteht darin, eine gemeinsame Zukunft zwischen Israel und Deutschland aufzubauen, die nicht nur auf einer gemeinsamen Vergangenheit gründet.«

Gazakrieg

Hunderttausende demonstrieren in Israel für einen Geisel-Deal

»Ihre Zeit läuft ab«, sagte die Verwandte einer Geisel in Tel Aviv

 07.09.2024

Nahost

CIA-Chef Burns: Gaza-Verhandlungen sollen weitergehen

Die Gespräche kommen seit Monaten nicht voran

 07.09.2024

Einspruch

Wer mordet, will keinen Deal

Philipp Peyman Engel erinnert daran, dass nicht die israelische Regierung, sondern die Hamas sechs israelische Geiseln umgebracht hat

von Philipp Peyman Engel  06.09.2024 Aktualisiert

Gazakrieg

Hamas veröffentlicht Propaganda-Video von getöteter Geisel

Die Aufzeichnung zeigt den 23-jährigen Hersh Goldberg-Polin vor seiner Ermordung

 06.09.2024

Meinung

Der Westen und die Palästinenser

Warum fließen weiter Milliarden an Hilfsgeldern, ohne dass sich etwas zum Besseren wendet, fragt sich unser Gastautor

von Jacques Abramowicz  06.09.2024

Medienbericht

Geheimdokument enthüllt, was die Hamas mit den Geiseln vorhat

Die Terroristen wollen auch die Öffentlichkeit täuschen, um an der Macht zu bleiben

 06.09.2024

Israel

Außenministerin Baerbock trifft Katz und Gallant

Die Grünen-Politikerin will über die Verhandlungen über einen Geiseldeal sprechen

 06.09.2024

Interview

»Wir kämpfen den gleichen Kampf«

Der Außen- und Sicherheitspolitiker Amit Halevi über den vereitelten Terroranschlag auf das israelische Generalkonsulat in München und die Parallelen zwischen den Islamisten in Gaza und Europa

von Detlef David Kauschke  05.09.2024

Kommentar

Hartes Herz

Unsere Israel-Korrespondentin weiß um die Gnadenlosigkeit der Hamas-Mörder und wundert sich über die Unbarmherzigkeit der Regierung gegenüber den Geiseln und deren Angehörigen

von Sabine Brandes  05.09.2024