Beerdigung

»Shiri, Ariel, Kfir, verzeiht, dass ich euch nicht beschützen konnte«

Der Mittwoch ist orange. Am Morgen begleiteten Tausende Israelis den Trauerzug für die von der Hamas in der Geiselhaft ermordete Shiri Bibas und ihre kleinen Söhne Ariel und Kfir. Am Straßenrand wehten Israelflaggen, schwebten orangefarbene Luftballons, und weinende Menschen hielten Poster von orangefarbenen gebrochenen Herzen in die Höhe. Manche hatten sich Sterne mit den Namen der Toten an die Brust geheftet. Auf den Wagen mit den Särgen lagen orange-weiße Israelfahnen.

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Der Sarg mit den Leichen der Mutter und ihrer Kinder wurde von Ramat Gan aus über Rischon Lezion, Yavne, Aschdod und Aschkelon nach Sha’ar HaNegev gefahren. »Sie bleiben zusammen und beieinander, für immer, so wie Shiri ihre Kinder stets umgeben hat, auch an diesem verfluchten Tag«, sagte Rednerin Carmit Palty Katzir später. Die Beerdigung auf dem Tsohar Friedhof nahe dem Kibbuz Nir Oz, wo die Familie und Angehörige lebten, fand im Privaten statt. Nur die Trauerreden wurden übertragen, doch schienen sich so viele Menschen zuzuschalten, dass der Stream immer wieder zusammenbrach. Yarden weinte, während er vor der Trauergemeinschaft sprach. Orangene Blumen lagen auf dem Sprecherpult.

Ein Bild aus glücklicheren Zeiten: Yarden und Shiri Bibas mit ihren Kindern Ariel (4) und Baby Kfir. Der kleine Ariel war vernarrt in Batman Foto: Privat
Die Trauerrede von Yarden Bibas

»Es tut mir leid, dass ich euch nicht beschützen konnte. Shiri, beschütze mich, damit ich nicht in der Dunkelheit versinke«, so Yarden, der von seiner Schwester gestützt wurde. »Mi Amor, ich erinnere mich an das erste Mal, als ich ›Meine Liebe‹ zu dir gesagt habe. Das war ganz am Anfang unserer Beziehung. Du hast mir gesagt, ich solle dich nur so nennen, wenn ich sicher bin, dass ich dich liebe, und es nicht leichtfertig sagen. Ich habe es damals nicht gesagt, weil ich nicht wollte, dass du denkst, ich hätte es eilig, dir zu sagen ›Ich liebe dich‹. Shiri, ich gestehe dir jetzt, dass ich dich schon damals liebte, als ich ›Mi Amor‹ gesagt habe.«

»Shiri, ich liebe dich und werde dich immer lieben! Shiri, du bist alles für mich! Du bist die beste Ehefrau und Mutter, die es geben kann. Shiri, du bist meine beste Freundin. Wer wird mir nun dabei helfen, Entscheidungen zu treffen?«

»Erinnerst du dich an unsere letzte gemeinsame Entscheidung? Im Schutzraum fragte ich, ob wir ›kämpfen oder aufgeben‹ sollten. Du sagtest kämpfen, also kämpfte ich. Shiri, es tut mir leid, dass ich euch nicht beschützen konnte. Wenn ich nur gewusst hätte, was passieren würde, hätte ich nicht geschossen.«

»Ich denke an alles, was wir zusammen durchgemacht haben - es gibt so viele schöne Erinnerungen. Ich erinnere mich an die Geburten von Ariel und Kfir. Ich erinnere mich an die Tage, an denen wir zu Hause oder in einem Café saßen, nur wir beide, und uns stundenlang über alles Mögliche unterhalten haben. Es war wundervoll. Ich vermisse diese Zeiten sehr. Ich vermisse deine Anwesenheit zutiefst.«

Die Beisetzung auf dem Tsachor-Friedhof ist privat, aber die Trauerreden werden übertragen.Foto: Screenshot

»Ich möchte dir von allem erzählen, was in der Welt und hier in Israel passiert ist. Shiri, jeder kennt und liebt uns - du kannst dir nicht vorstellen, wie surreal dieser ganze Wahnsinn ist. Shiri, die Leute sagen mir, dass sie immer an meiner Seite sein werden, aber sie sind nicht du. Also bleib bitte in meiner Nähe und geh nicht weit weg!«

»Shiri, so nah war ich dir seit dem 7. Oktober nicht mehr, und ich kann dich nicht küssen oder umarmen, und das bricht mir das Herz!«

»Shiri, bitte wache über mich, beschütze mich vor schlechten Entscheidungen. Schütze mich vor schädlichen Dingen und schütze mich vor mir selbst. Beschütze mich, damit ich nicht in der Dunkelheit versinke. Mishmish, ich liebe dich!«

An seine Söhne gewandt sagte der Vater: »Ariel, ich hoffe, du bist mir nicht böse, dass ich dich nicht richtig beschützt habe und dass ich nicht für dich da war. Ich hoffe, du weißt, dass ich jeden Tag und jede Minute an dich gedacht habe. »Ich hoffe, du genießt das Paradies. Ich bin sicher, du bringst alle Engel mit deinen albernen Witzen und Nachahmungen zum Lachen. Ich hoffe, es gibt viele Schmetterlinge, die du beobachten kannst, so wie du es bei unseren Picknicks getan hast.«

Und an den kleinen Kfir: »Ich hätte nicht gedacht, dass unsere Familie noch perfekter sein könnte, und dann kamst du und hast sie noch perfekter gemacht. Ich erinnere mich an deine Geburt. Ich weiß noch, wie die Hebamme währenddessen plötzlich innehielt. Wir hatten Angst und dachten, etwas stimme nicht, aber sie wollte uns nur sagen, dass wir einen weiteren Rotschopf bekommen haben. Mama und ich haben gelacht und uns gefreut. Du hast noch mehr Licht und Freude in unser kleines Zuhause gebracht. Du kamst mit deinem süßen, bezaubernden Lächeln, und ich war sofort Feuer und Flamme! Es war unmöglich, nicht die ganze Zeit an dir zu knabbern.«

»Kfir, es tut mir leid, dass ich dich nicht besser beschützt habe, aber du sollst wissen, dass ich dich sehr liebe und schrecklich vermisse!«

Auf Yardens Wunsch hin wurde nach seiner Rede das Lied »Roman Skies« der US-Metalband Avenged Sevenfold gespielt.

Die Wut in den Reden der Schwestern

»Ihr werdet auf ewig in unseren Herzen sein und für immer in unserem Leben«, sagte Shiris Schwester Dana Silberman-Sitton. »Ich verspreche euch, so wie ich es Mama und Papa versprochen habe, dass die Monster jenseits des Zauns mit ihrer Mission keinen Erfolg haben werden. Sie werden uns nicht besiegen, sie werden uns nicht brechen. Im Gegenteil, ihre Mission ist gescheitert, weil wir uns vereint haben, weil wir stärker geworden sind, weil wir unbesiegbar geworden sind. Sie haben verloren.«

Auf dem Platz der Geiseln in Tel AvivFoto: Copyright (c) Flash 90 2025

Dann trat Yardens Schwester Ofri ans Mikrofon: »Viele Menschen bitten dich um Verzeihung, und Yarden, und uns. Aber die Schuld liegt nicht bei ihnen.« Vergebung mache keinen Sinn, »bevor die Fehler nicht untersucht sind und alle Zuständigen die Verantwortung übernehmen. Unsere Katastrophe als Nation und als Familie hätte nicht passieren dürfen und darf sich nie wiederholen.«

»Diese Katastrophe hätte nicht passieren dürfen. Du hättest nicht entführt werden und lebend zurückkehren sollen. Sie hätten dich retten können, aber sie zogen Rache vor. Wir haben verloren. Unser Bild des Triumphs wird sich nie erfüllen. Unser Kampf gegen die Feinde wird ewig dauern, aber wir müssen immer das Leben, die Liebe zu den Mitmenschen und den Respekt vor den Toten heiligen und niemanden zurücklassen. Sonst verlieren wir, wer wir sind.«

»Fliegt, kleine Vögel«

Avinoam Blumenkrantz aus dem nahe gelegenen Kibbuz Tse’elim, dem Heimatort von Yarden Bibas, sagte am Grab: »Durch die Tränen hindurch ist es schwierig, Worte zu finden, die den Schlag mildern können. Unsere zerrissenen Herzen sind bei euch. Wir werden alles tun, was wir können, um euch mit Liebe einzuhüllen. Ihr seid eine Familie von Löwen, habt gekämpft und bis zur letzten Sekunde nicht aufgegeben. Das schreckliche Massaker löschte mit einem Schlag drei Generationen einer Familie aus.«

»Fliegt, kleine Vögel, fliegt über den Himmel. Fliegt, wohin ihr wollt«, zitierte er ein berühmtes Lied des verstorbenen Sängers Arik Einstein. »Kein Geier wird euch erschrecken. Mutter beschützt euch. Mutter ist mit dir. Und wir alle werden uns um deinen Vater Yarden kümmern.«

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Trauer im Herzen

Ofri, die Schwester von Yarden Bibas, hatte am Morgen in den sozialen Medien gepostet: »Durch das Autofenster sehe ich ein gebrochenes Land. Wir werden nicht wieder aufstehen und nicht heilen, bis der letzte entführte Mensch zu Hause ist. Danke euch allen.«

Die Angehörigen der Toten, darunter Witwer Yarden Bibas, der selbst bis vor Kurzem Geisel der Hamas und unbeschreiblicher Folter ausgesetzt war, haben sich bei den Menschen, die mit ihnen trauern, bedankt: »Wir sehen und hören euch. Eure Anteilnahme berührt und stärkt uns. Yarden entschuldigt sich dafür, dass er nicht zu euch kommen kann, um jeden einzelnen von euch zu umarmen. Aber wir hoffen auf den Tag, an dem wir wieder Augenblicke der Freude und nicht der Traurigkeit teilen können.«

Die Angehörigen der Familie Bibas haben zudem verkündet, dass weder Premierminister Benjamin Netanjahu noch andere Minister seines Kabinetts zur Beisetzung willkommen seien - auch nicht zur Shiva.

In Tel Aviv ist der Platz der Geiseln voller Menschen in Orange. Fotos zeigen Trauernde mit Batman-Masken oder -Postern, der Lieblingsheld des ermordeten Ariel. Auf einigen Schildern steht »Entschuldigung!« zu lesen und immer wieder die Aufforderung: »Schließt jetzt den Abkommen! Bringt sie alle nach Hause!«

»Der große Schrei, den ein ganzes Volk ausstößt«

Staatspräsident Isaac Herzog würdigte Shiri, Ariel und Kfir Bibas in einem langen Post auf X.

»Ein ganzes Land und ein ganzes Volk trauern«, schrieb er. »Wir alle, ein ganzes Volk mit gebrochenen Herzen, begleiten sie zur ewigen Ruhe.« Dieses schreckliche Ende sollte nicht sein. »Vor unserem geistigen Auge sahen wir sie zurückkehren, strahlend mit ihren goldenen Köpfen, mit dem lebendigen, spielerischen Blick, der in ihren kleinen Augen leuchtete. Wenn es noch Barmherzigkeit auf der Welt gibt, werden die schönen Gesichter von Shiri, Ariel und Kfir wie ein herzzerreißender Schrei sein, der in allen Ecken der Welt widerhallt. Ein Schrei, der von einem Ende der Welt bis zum anderen gehört wird, der die Herzen der Menschen aufweckt, deren Sinne abgestumpft sind, deren Maß für Gerechtigkeit verzerrt wurde, deren Herzen versiegelt sind«, so der Präsident.

»Sieh, oh Welt, heute bringen wir die süßesten und unschuldigsten deiner Kinder zur Beisetzung. Öffne dein Herz, oh Welt, stimme ein in den großen Schrei, den ein ganzes zerbrochenes Volk heute ausstößt.«

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Spektakel grausamen Hohns

Die 32-jährige Shiri, der vierjährige Ariel und der neun Monate alte Kfir wurden am Morgen des 7. Oktober 2023 aus ihrem Haus im Kibbuz Nir Oz gezerrt und nach Gaza verschleppt. Der Ehemann und Vater Yarden wurde von ihnen getrennt, er kam am 1. Februar frei. Shiri Bibas‹ Eltern, Yossi und Margit Silverman wurden am 7. Oktober im Kibbuz ermordet.

Die forensische Untersuchung der sterblichen Überreste hatte ergeben, dass die Mutter und ihre Kinder in Gefangenschaft brutal ermordet wurden. Die Hamas hatte behauptet, dass sie bei einem israelischen Luftangriff getötet worden seien.

Die Übergabe der Leichen war ein Spektakel grausamen Hohns: Die Hamas hatte in den Sarg, der Shiri Bibas aus Gaza nach Israel bringen sollte, eine andere, unbekannte Frauenleiche gelegt. Shiri wurde erst nach massivem Druck in der darauffolgenden Nacht von der Terrororganisation zurückgebracht.

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