Wenn sie gestikulieren, hören alle zu. Der Mann und die Frau an der Tafel erzählen, witzeln, lachen und loben – alles ohne einen einzigen Laut. Chen Kroter und Ilan Roschnik sind gehörlos und Lehrer für Gebärdensprache. Sie erklären jedes Wort, jeden Satz mit ihren Händen. Doch die Schüler auf den Stühlen vor ihnen sind keine gewöhnlichen. Es sind Soldaten und Offiziere der israelischen Armee.
»Danielle«, sagt eine Soldatin überdeutlich und macht dazu ein Zeichen mit den Fingern. In der letzten Stunde hat sie gelernt, wie sie ihren Namen in der Gebärdensprache ausdrückt. Ihr Sitznachbar macht es nach: »Matan« formen seine Lippen und Hände gleichzeitig. In 15 Doppelstunden lernen die Armeeangehörigen hier, wie sie besser mit gehörlosen Kameraden kommunizieren können – vom Alphabet über Zahlen bis zu alltäglichen und militärischen Grundbegriffen. Etwa 30 Leute sitzen an diesem sommerlichen Tag im Hauptquartier der Armee in Tel Aviv, genannt Kiria. Die meisten sind in Uniform, diejenigen, die Zivilkleidung tragen, sind extra aus dem Urlaub zur Stunde gekommen.
Erfolg Offizier Tal Horowitz wundert das nicht. Er weiß, dass der Unterricht ein voller Erfolg ist. Der Leiter der Abteilung Finanzen und Wirtschaft in der Kiria und Initiator des Programms erzählt von den Anfängen: »Alles begann im September vor zwei Jahren. Da war eine gehörlose Soldatin, die unbedingt in meinen Budgetkursus wollte. Doch ich hatte Berührungsängste, wusste nicht, ob sie und ich die Herausforderung meistern würden. Wir fingen mit einem Übersetzer an. Es war wirklich harte Arbeit. Doch wir haben es zusammen gemeistert.«
Danach aber habe er es »richtig machen« wollen. Da es innerhalb der Armee damals keine Möglichkeit gab, die Gebärdensprache zu lernen, belegte Horowitz drei Monate lang einen externen Kurs und drückte nach Feierabend die Schulbank. Anschließend wollte er seine Erfahrung weitergeben und wirklich etwas verbessern. »Ich dachte mir, dass die Armee doch eigentlich hervorragend für so eine Aktion geeignet ist, weil man gleich so viele Menschen erreicht.« Er sollte Recht behalten.
Initiative Horowitz wusste, dass in der Verwaltung der Luftwaffe viele Gehörlose arbeiten, und schickte seine Idee prompt an die Vorgesetzten dieser Soldaten. Aus Erfahrung hatte er gelernt, dass diese selbst oft nicht gern auffallen und die Initiative ergreifen. Die Chefs aber waren ausnahmslos angetan – und die Anmeldungen strömten herein. Mit seiner Initiative hat Horowitz eine unsichtbare Barriere durchbrochen, brachte Menschen zusammen, die sonst wenig miteinander zu tun hatten. Darauf ist er stolz. Mittlerweile sind bereits 150 Frauen und Männer aus allen Bereichen der Armee in Gebärdensprache geschult worden. Die Teilnehmerzahl steigt ständig, es müssen sogar Interessierte abgewiesen werden. Dieser Tage läuft bereits der vierte Kurs.
»Auf einmal können unsere Leute auch mit der gehörlosen Bevölkerung kommunizieren, sogar Sicherheitsvorkehrungen erklären. Oder mit tauben Palästinensern am Grenzübergang sprechen.« Horowitz gibt ein Beispiel: Daumen nach oben bedeutet »Soldat«. Legt man beide Hände aneinander, sagt man »Chawer« – Freund.
Die ganze Geschichte habe seine Grundeinstellung zu vielen Dingen im Leben völlig geändert, sagt Horowitz. »Denn ich habe die Welt der Gehörlosen kennengelernt. Alles, was für uns so leicht und selbstverständlich erscheint, sah ich plötzlich in einem anderen Licht.«
Selbstbewusst Or Bir weiß genau, wovon der Offizier redet. Die junge Frau ist in der Einkaufsabteilung der Air Force beschäftigt, kommuniziert mit der Außenwelt per E-Mail. Die 20-Jährige ist taub zur Welt gekommen. In ihr Schicksal ergeben hat sie sich nie. Sie wollte dazugehören, zur Welt der Hörenden, »obwohl das manchmal sehr schwer war«. Im Schulalter erhielt sie ein Implantat, mit dem sie zumindest etwas hören kann. Und dann büffelte sie die Aussprache bis zur Perfektion. Bir kann sich heute auch mit Worten ausdrücken, allerdings nur leise. Und sie hört noch immer nicht gut.
Mit 18 erhielt sie daher von der Armee die Nachricht: »Ausgemustert«. Damit fand sich die junge Frau allerdings nicht ab. »Ich wollte meinem Land dienen, mit allem, was ich geben kann.« Sie sprach vor und setzte sich durch. Mittlerweile ist die Armee ihr zweites Zuhause geworden, sagt sie und erzählt von Vorgesetzten und Kollegen, die sich die Zeit nehmen, langsamer zu sprechen, ihr zuhören und sie fördern. Natürlich seien nicht alle so in der militärischen Welt, in der für Schwäche generell wenig Platz ist. »Aber die Tatsache, dass ich nicht aufgebe, passt prima hierher«, stellt sie selbstbewusst klar.
Ganz normal bewegt Or sich durch die Flure des Hauptquartiers, vorbei an hohen Militärs. Bei einer Zeremonie überreichte ihr jüngst ein General ein Zeugnis für herausragende Leistungen und heftete ihr dazu eine Beförderung an den Ärmel. Die junge Frau lacht über das ganze Gesicht, als sie davon spricht. Eigentlich stünde sie bereits kurz vor dem Ende ihrer zweijährigen Dienstzeit, doch Or hat freiwillig um ein Jahr verlängert. »Ich fühle mich einfach wohl hier.«
Vor dem Fototermin unterbricht Ors Vorgesetzter kurz und bittet um einen Moment Geduld. Fragend schaut sich die Soldatin um. Dann kommt er zurück, in der Hand eine blau-weiße Israelfahne. Die stellt er neben den Bildschirm seiner Mitarbeiterin. Und die lächelt jetzt doppelt so strahlend.