Der eine fischt am rechten Rand, der andere fantasiert über einen Regierungswechsel und wieder andere drohen mit Treif. Wenige Stunden, bevor die Wahllokale ihre Pforten öffnen, holen die Kandidaten der verschiedenen Parteien noch einmal kräftig zum Schlag gegen ihre Gegner aus.
Premier Benjamin Netanjahu versucht, seine Wiederwahl nicht nur mit bloßen Worten zu sichern, sondern mit Tatsachen – so man seinen Wahlkampfversprechungen Glauben schenken mag.
WÄHLER Erst erkennt er einen illegalen jüdischen Outpost auf palästinensischem Gebiet an, dann ruft er zwei Tage vor den Wahlen (fast) zum umfassenden Krieg gegen die Hamas in Gaza auf, und nun will er sogar Teile der Palästinenserstadt Hebron annektieren. Und stellt dabei sicher, dass die potenziellen Wähler von Rechtsaußen aufmerksam zuhören.
Die Kandidaten der verschiedenen Parteien holen noch einmal kräftig zum Schlag gegen ihre Gegner aus.
Nach Medienberichten sei sogar bereits der Vorsitzende des Wahlkomitees, Richter am Obersten Gerichtshof Hanan Melcer, darüber informiert worden, dass der Urnengang wegen eines Krieges vielleicht verschoben werden müsse. Netanjahu habe den als Reaktion auf den Raketenanschlag in Aschdod ausrufen wollen, bei dem er von der Bühne flüchten musste.
ZUSTIMMUNG Allerdings habe Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit Netanjahu daran erinnert, dass er die Zustimmung des Sicherheitskabinetts einholen müsse, bevor er das Land in einen Krieg führt. Danach war die Idee so schnell vergessen, wie sie aufgekommen war. Auch hätten sich verschiedene Mitglieder des Sicherheitsestablishments gegen einen Krieg ausgesprochen.
Netanjahus Opponent, der ehemalige Stabschef Benny Gantz von der Zentrumsunion Blau-Weiß, twitterte nach dem Bekanntwerden des Vorhabens: »Er hat den Verstand verloren und will uns in einen Krieg zerren, um die Wahlen zu verschieben. Das passt zum Drehbuch von House of Cards, nicht zum Staat Israel«.
Sein Kollege im Bündnis, Yair Lapid von Jesch Atid, äußert sich in einem Artikel in der Onlinezeitung »Times of Israel« mit dem Titel »Stellt euch eine neue Realität vor«. Da beschreibt er detailliert seine Wunschvorstellung, wie eine Knesset mit einer neuen Regierung aussehen könnte. Ohne ultraorthodoxe Parteien, ohne Nationalreligiöse und ohne Netanjahu. Die sitzen dann nämlich auf den Bänken der Opposition.
Lapid schreibt: »Netanjahu kommt spät. Er sieht noch grauer aus als sonst … Er hält einen dicken Ordner in der Hand … Darin sind alle Anklagen und die Aussagen, darunter auch der U-Boot-Skandal. Er setzt sich und beginnt zu lesen.«
»Das passt zum Drehbuch von ›House of Cards‹, nicht zum Staat Israel«, sagt Herausforderer Benny Gantz.
AUSGELAUGT Auch jede Menge Tratsch wabert am letzten Tag durch die Flure der Knesset. Angeblich wolle der amtierende Finanzminister Mosche Kachlon, früher Kachlon, jetzt Likud, nach den Wahlen seinen Hut nehmen. Er fühle sich unterfordert. Quellen hätten der Linksliberalen Zeitung verraten, dass der Politiker »ausgelaugt« aussehe.
Die Vorsitzende der Rechtsunion Yamina, Ayelet Shaked, ließ sich am selben Tag über den Ministerpräsidenten »und seine engsten Kreise« aus. Sie würden sie irrational hassen und ihr aus den falschen Gründen keine politischen Erfolge gönnen. Netanjahu wolle Yamina daher »klein, armselig und machtlos« halten.
Wer dieser Kreis sei, ließ Shaked offen. Doch es ist ein offenes Geheimnis, dass besonders Netanjahus Gattin Sara Netanjahu eine extreme Antipathie gegen Shaked hegt.
Einer, dem die Rhetorik im Wahlkampf zu weit geht, ist der einstige Bürgermeister von Jerusalem, Nir Barkat. Obwohl er für den Likud im Parlament sitzt, stimmt er mit vielen feindseligen Aussagen des Premiers über seine Kontrahenten nicht überein: »Das ist nicht mein persönlicher Stil.« Allerdings meint er, dass sich beide Seiten in diesem Wahlkampf zu extrem ausdrücken.
Einer, dem die Rhetorik im Wahlkampf zu weit geht, ist der einstige Bürgermeister von Jerusalem, Nir Barkat.
Die ultraorthodoxen Parteien haben damit keine Probleme. Auf einer Veranstaltung der charedischen Partei Vereintes Tora-Judentum in Bnei Brak bei Tel Aviv, bei der um die 50.000 Anhänger aufliefen, verglich ein Redner die säkularen Politiker mit dem biblischen Erzfeind »Amalek«.
SEFARDEN Auch Vertreter der frommen Sefardenpartei Schas nehmen kaum ein Blatt vor den Mund. Der stellvertretende Finanzminister Yitzhak Cohen warnte Wähler, in jedem Fall für die Religiösen zu stimmen, denn die Säkularen würden Treif essen. Zumindest der russischstämmige Avigdor Lieberman von Israel Beiteinu, der nach Cohens Aussagen »am Schabbat einkaufen und Schweinefleisch verspeisen« würde.
Bei einer Wahlkampfveranstaltung in der Buchara-Synagoge von Jerusalem rief Vorsitzender und Innenminister Arie Deri noch einmal all seine Anhänger auf, wählen zu gehen. Doch nicht etwa, weil es eine demokratische Pflichtübung sei, sondern weil es zur Erlösung führen könne.
»Noch niemals hat es Wahlen im Monat Elul gegeben«, tönte er von der Bühne. »Gott hat uns damit das Größte gegeben, was passieren kann. Jeder, der den Monat Tischrei unbeschadet erleben will, muss es tun.« Denn es ginge um nichts Geringeres als die Ehre des Allmächtigen.
Außerdem, so Deri weiter, wollten Gantz und seine Union Blau-Weiß nicht nur eine säkulare Einheitsregierung bilden, »sondern dazu noch eine aschkenasische – so Gott uns helfe«.