Mit einem Gänsekiel und Tinte schrieb der Sofer die letzten Worte: »Vor den Augen von ganz Israel.« Dann war die neue Tora bereit, ihren Platz im Betsaal des Amigour-Seniorenzentrums in Herzliya einzunehmen. Und die Freude war groß. Am Vorabend des 9. November übergab Keren Hayesod Deutschland die erste kollektiv von Deutschen gestiftete Torarolle an Überlebende der Schoa.
Nachdem vor 84 Jahren in Deutschland in der Pogromnacht Synagogen brannten, solle »diese Tora ein Zeichen der Hoffnung und der deutsch-israelischen Freundschaft sein«, so der Delegierte des Keren Hayesod Berlin, Rafi Heumann, während der Übergabe. Die wichtigsten Partner von Keren Hayesod bei der Aktion »Mit Buchstaben die Welt verbessern« sind der Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, die Organisationen Christen an der Seite Israels Deutschland und die Internationale Christliche Botschaft Jerusalem.
projekt Etwa 160.000 Holocaust-Überlebende leben heute noch in Israel, jeder Dritte unterhalb der Armutsgrenze. Die Amigour-Zentren kümmern sich um sozial benachteiligte Seniorinnen und Senioren und stellen ihnen Wohnungen zu erschwinglichen Mieten sowie Betreuungsangebote zur Verfügung. Mit dem Projekt Torarolle soll der Ausbau der Wohnheime unterstützt und den Überlebenden ein Altern in Würde ermöglicht werden, so Heumann.
Ein volles Jahr lang arbeitete Sofer Rachamim Chawi an der Schriftrolle.
Ein volles Jahr lang arbeitete Sofer Rachamim Chawi an der Schriftrolle. Eigentlich darf ausschließlich er die Rolle schreiben. Doch bei der Zeremonie, bei der der letzte Satz aus dem 5. Buch Mose (Dewarim) aufgeschrieben wird, ist es üblich, dass Persönlichkeiten, etwa der Rabbiner der Synagoge, diese letzten zwölf Buchstaben »mitschreiben«.
Auch der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, durfte Hand anlegen. Während seine Finger die Feder berührten, schrieb der Sofer bedächtig die letzten Buchstaben. Seibert bedankte sich auf Hebräisch für diese Ehre und das »große Vergnügen«, an der besonderen Feierstunde teilnehmen zu dürfen.
Dann erinnerte er an »einen der dunkelsten Tage« in der deutschen Geschichte. »Am 9. November 1938, als mehr als 400 Juden ermordet oder in den Selbstmord getrieben, 30.000 eingekerkert wurden und die Synagogen brannten, standen die meisten Deutschen daneben und schauten zu. Nur wenige halfen. Und doch haben die Nazis nicht gewonnen. Denn es gibt heute ein dynamisches und freudvolles jüdisches Leben in deutschen Städten. Das macht mich glücklich, und dafür bin ich dankbar.«
antisemitismus Seibert hob hervor, dass »Juden Deutschland mitgeformt haben«. Doch, so der Botschafter weiter, dürfe nicht verschwiegen werden, dass wegen Vorurteilen und Antisemitismus vor jeder jüdischen Schule, jedem Gemeindezentrum und jeder Synagoge in Deutschland Polizei wachen müsse. »Das beschämt mich persönlich.«
Und er fügte hinzu: »Unsere Pflicht ist es, den Antisemitismus niemals wachsen zu lassen und zu bekämpfen. Das macht die deutsche Regierung unmissverständlich klar. Dafür dürfen wir die ermordeten Männer, Frauen und Kinder niemals vergessen. Die Fakten des Holocaust müssen in jeder Generation gelehrt werden – und diese Verantwortung endet nie.«
Als »Sohn von Holocaust-Überlebenden, stolzer Jude, stolzer Bürger der Bundesrepublik Deutschland und stolzer Israeli« sprach der Vorsitzende von Keren Hayesod Berlin, Nathan Gelbart: »Es ist ein inspirierender Moment für mich, an diesem Ort eine Torarolle zu übergeben, die von Deutschen gestiftet wurde.« Er sei sicher, dass sie zu großer Freude beitragen werde. Gelbart betonte auch, dass man der »Schoa ohne Verzerrungen durch aktuelle Geschehnisse gedenken muss«.
Auf »tora-rolle.de« kann man noch immer Buchstaben kaufen und damit spenden.
Heumann, dem Vertreter von Keren Hayesod in Berlin, steht die Freude ins Gesicht geschrieben, als er und die Gäste um ihn herum mit der neuen Torarolle tanzen – eine Tradition. Die Musik ist voll aufgedreht, die Menschen in dem Betsaal schwingen im Takt und lachen. Jeder will die Sefer Tora, die durch eine reich verzierte Hülle geschützt ist, berühren.
paten Auf der Webseite tora-rolle.de kann man noch immer für fünf Euro einen symbolischen Buchstaben in der Torarolle kaufen, mit eigenem Namen oder dem eines nahestehenden Menschen Pate werden und damit spenden. »Zum Beispiel als Geburtstagsgeschenk, Präsent zu Chanukka oder Weihnachten«, schlägt Heumann vor. Doch das Geld werde nicht nur für die Finanzierung der Toraraolle verwendet, sondern gehe größtenteils direkt an Schoa-Überlebende und Geflüchtete des russischen Krieges in der Ukraine, die in Israel angekommen sind.
Heumann ist stolz auf die Aktion, an der das Team von Keren Hayesod Deutschland zweieinhalb Jahre gearbeitet hat. »Es ist sehr berührend zu sehen, dass viele deutsche Bürger, jüdisch und nichtjüdisch, so viel gespendet haben. Es waren Tausende, die damit auch ein eindeutiges Zeichen gegen Antisemitismus setzen.« Das wollten die Initiatoren erreichen: »Wir wollen nicht nur bei jedem Fall sagen, es ist schlimm, was passiert ist, sondern eine Möglichkeit bieten, etwas aktiv gegen Antisemitismus zu tun.« Und genau dafür steht die Torarolle.