Schon seit Wochen liegen die verführerischen Päckchen in den Supermärkten. Trockenfrüchte in allen Farben sind zu hohen Türmen gestapelt: Aprikosen, Datteln, Mangos und Feigen. In diesen Tagen greifen die Israelis gern zu. Denn es ist Tu Bischwat, das Neujahr der Bäume, an dem traditionell viel Obst und Gemüse auf dem Speiseplan steht. Doch immer mehr Menschen können sich keine gesunde Ernährung leisten. Eine Organisation, die sich darum kümmert, dass sozial Schwache dennoch mit nahrhafter, vitaminreicher Kost versorgt werden, ist Leket, die nationale Tafel für Bedürftige.
Auch an Tu Bischwat ist Leket aktiv. An diesem Tag beginnt der Kreislauf der Natur im jüdischen Jahr von Neuem. »Tu Bischwat higia, chag la Ilanot.« Kinder im ganzen Land heißen den Feiertag der Bäume mit Liedern und Spielen willkommen. In Kindergärten und Schulen ist es Tradition, Setzlinge in die Erde zu pflanzen und den Zyklus der Natur zu verstehen. Tu Bischwat ist der 15. Tag im jüdischen Monat Schwat, der dieses Jahr auf den 26. Januar fällt. Die ersten Bäume erwachen aus ihrem Winterschlaf.
Für Leket Grund genug, zu einer öffentlichen Ernteparty einzuladen. Jeder, der mitmachen will, kann im Moschaw Nahalal im Jisrael-Tal dabei sein und Paprikaschoten für die Armen und Hungrigen pflücken.
Verteilung Leket steht für Nachlese. Und das ist es, was die Helfer und Helferinnen tun: Sie gehen auf Felder, in Obstgärten und Haine im ganzen Land und sammeln, was die Landwirte nicht geerntet haben. Ob die Bäume voller Kirschen hängen, weil es, wie im vergangenen Sommer, so viele gab, dass es sich für die Bauern nicht lohnte, sie zu pflücken, oder Mandarinen, die zu klein waren, als die Erntemaschinen anrückten – welches Obst oder Gemüse es auch ist, die Leute von Leket nehmen es gern.
Joseph Gitler, der Gründer und Vorsitzende der Wohlfahrtsorganisation, hat den Schutz der Umwelt stets im Sinn. Eine noch größere Herzensangelegenheit ist ihm die Bekämpfung des Hungers. »Die Versorgung der Gesellschaft und Umweltschutz gehen bei uns Hand in Hand«, sagt er. Mit Leket hat Gitler vor zehn Jahren das größte Netzwerk des Landes aufgebaut, um Nahrungsmittel zu retten. Mit Unterstützung von 45.000 ehrenamtlichen Helfern werden täglich Lebensmittel an die immer größer werdende Zahl der Bedürftigen ausgegeben. Allein im vergangenen Jahr sammelte die Organisation zehn Millionen Kilogramm Obst und Gemüse, das sonst vergammelt wäre. Zudem wurden 770.000 zubereitete Essen »gerettet« und Tausende von Schulbroten geschmiert.
Verschwendung Leket arbeitet mit 190 Hilfsorganisationen zusammen, die die Verteilung des Essens übernehmen. Gitler spricht vom »Retten der Speisen«. Denn er akzeptiert einfach nicht, dass gutes Essen weggeworfen wird. »Es ist toll, in einem reichen, westlichen Land zu leben«, so der Aktivist, »doch das gibt uns nicht das Recht, perfekte Lebensmittel in den Müll zu schmeißen. Das ist eine Sünde!« In den vergangenen 25 Jahren seien sowohl die Armut als auch die Verschwendung von Essen enorm angestiegen. »Und wir bringen diese beiden Faktoren zusammen, damit das Essenretten Programm wird.«
Die Organisation verteilt dafür jede Woche um die 215 Tonnen Essen an schätzungsweise 140.000 bedürftige Israelis. Doch es geht dabei nicht nur darum, Hunger zu stoppen. Gitler erklärt: »Wir leben eigentlich im Überfluss. Es ist nicht Haiti oder Äthiopien. Israel ist immer noch das Land, in dem Milch und Honig fließen, und es gibt genug Essen für jeden. Wir wollen die Armen daher mit gesunden, hochwertigen Speisen versorgen.«
Verantwortung Auch die soziale Verantwortung spielt eine bedeutende Rolle bei Leket: Von der Organisation beauftragte Ernährungsberater helfen Suppenküchen und Obdachlosenheimen, »nicht einfach Essen zuzubereiten«, sondern nahrhafte, gesunde Kost. In einem speziellen Projekt arbeiten 32 arabische und beduinische Israelinnen für die Organisation. Sie erhalten ein festes Einkommen, das über dem Mindestlohn liegt, und haben geregelte Arbeits- und Urlaubszeiten. Jeden Donnerstag und Freitag stehen Gitlers Helfer auch im Dizengoff-Einkaufszentrum bereit, um nach dem Ende des Essensmarktes die Reste einzusammeln und an afrikanische Flüchtlinge in Tel Aviv zu verteilen.
Der Vorsitzende von Leket versucht ständig, »noch mehr gutes Essen zu bekommen«. Die israelischen Landwirte sind ihm dankbar. »Wir betreiben mit unserer Arbeit natürlich auch angewandten Naturschutz, und die Bauern freut es, dass ihre Produkte Menschen helfen und nicht im Abfall landen«, weiß er. Sein Wunsch für die Zukunft ist es, der Gesellschaft zu vermitteln, dass die Verschwendung von Lebensmitteln ein großes Thema ist, das uns alle angeht. Dafür will er »Leket« in ein Wort verwandeln, dass jeder Mensch in Israel kennt. Nicht nur an Tu Bischwat.