Jetzt ist die Zeit, wo er wieder in rauen Mengen fließt. An Rosch Haschana herrscht ein süßer Brauch. Wenn die Apfelspalten in den Honig getaucht werden, leuchten nicht nur die Augen der Kinder. Doch der Saft der Bienen kann mehr, als nur gut munden. Er ist ein wahrer Alleskönner, wie die Produzenten dieser Tage beim Honigfestival in Israel zeigen.
Imkereien und Hersteller im ganzen Land öffnen bis zum Ende der Feiertagssaison ihre Pforten, um die Besucher die Vorzüge des »süßen Goldes«, wie sie es nennen, hautnah erleben zu lassen. 500 Imker gibt es von Obergaliläa bis in die Negevwüste, die den Saft liefern, für den Israel so berühmt ist.
Bei den Ben Zeevs wird die Imkerei schon in der fünften Generation betrieben. Im Garten seines kleinen Moschaws Schadwot Dvora summt und brummt es ohne Unterlass. Zwei Millionen Bienen in etwa 100 Stöcken gehören zu der kleinen Familienimkerei Dvorat Hatavor.
Igal Ben Zeev ist der Senior-Geschäftsführer. Schon sein Großvater, Chaim Schwartz, und Vater, Zeev Wolfsohn, betrieben bereits die Bienenzucht, damals noch in Berlin. Auch nach der Ankunft in Israel blieb die Familie der Zunft treu – und ist es bis heute. In weißer Imkerkluft mit Netzhut auf dem Kopf holt der Senior die Bienen samt ihrer Waben aus den Stöcken und schaut, ob alles in Ordnung ist. Auf Handschuhe verzichtet er. Lediglich der Behälter mit Rauch baumelt an seinem Unterarm. »Bienen sind friedfertig«, tut er das Staunen der Gäste ab, »wenn man sie nicht provoziert, tun sie überhaupt nichts.« Ben Zeev vertraut seinen Insekten.
Wildblüten 300 verschiedene Honigarten kennt die Welt. Hier, unterhalb des massigen Berges Tavor, gibt es vor allem eine Sorte: die der Wildblüten aus Galiläa. Wenn die Biene den Nektar der Blumen sammelt und ihn in ihren Stock bringt, besteht er aus 80 Prozent Wasser und nur 20 Prozent Zucker. »Doch dann kommt das natürliche Biologie-Labor der Bienen zum Tragen«, so Boaz Ben Zeev, der Junior-Chef. »Die Insekten wandeln das 80/20-Verhältnis um, und wenn 80 Prozent Zucker übrig ist, die Waben mit Wachs versiegelt sind, können wir den Honig ernten.«
Und das ist immer wieder eine Freude. Denn die Ben Zeevs wissen ob der hervorragenden Eigenschaften ihres Produktes. Honig ist keine Saccharose, wie etwa weißer Industriezucker, die erst im Körper gespalten werden muss. »Dadurch ist er ein absoluter Adrenalin-Booster«, so Ben Zeev, »und am besten täglich zu genießen.«
Außerdem liefert Honig lebenswichtige Enzyme, die wir durch zu viel industriell bearbeitete Speisen und ungesunden Lebensstil abtöten. Ein Löffel bringt Zehntausende von Enzymen auf direktem Weg in unseren Körper zurück. Außerdem liefert der Bienensaft viele Vitamine und Mineralien, darunter B12, Eisen, Calcium und Zink.
tradition Honig gehört traditionell auf den jüdischen Speiseplan und wird als koscher betrachtet. Und zwar seit uralten Zeiten: Bereits der große Gelehrte und Rabbiner Rambam erwähnte die hervorragenden Eigenschaften des klebrigen Saftes. Auch steht geschrieben, dass er im Tempel von Jerusalem zu rituellen Zwecken benutzt wurde. Er ist auch eines der wenigen Lebensmittel, das nie verdirbt.
Durch den hohen Zuckergehalt hält er sich praktisch ewig. Vor einer Weile fand man ein Gefäß bei den Ausgrabungen von Qumran in der Nähe des Toten Meeres, in dem sich Honig befand. Nicht versteinert oder vergammelt, sondern bestens erhalten. »Er war zwar etwas verschmutzt und mit Sand bestreut«, erinnert sich Ben Zeev, »doch durchaus essbar und zuckersüß.«
Obwohl er einen hervorragenden Ruf hat, wird israelischer Honig relativ wenig exportiert. »Es ist nicht so, dass die Welt ihn nicht will, sondern schlicht nicht genug da ist«, erläutert der Experte. Denn jährlich werden in Israel 3600 Tonnen Honig produziert, verbraucht aber 4000 Tonnen. Also muss sogar importiert werden, um den Bedarf zu decken.
Zukunft Doch die Zukunft könnte gefährdet sein: Denn auch hierzulande gibt es ein Problem mit den Bienenvölkern, die weltweit durch verschiedene Faktoren bedroht sind. Ben Zeev erklärt: »Zum einen gibt es den gefährlichen CCD-Virus (Colony Collapse Disorder), durch den ganze Bienenvölker ausgerottet werden. Außerdem bedroht das durcheinander geratene Klima die Bestände. Entweder gibt es eine Flut oder eine Dürre. Früher war der Zyklus der Bienen mit dem der Blütezeit der Pflanzen synchronisiert. Heute aber ist er völlig aus dem Lot geraten. So bleiben die Bienen oft hungrig und produzieren keinen Honig mehr.«
Weitere Probleme seien die Insektenvernichtungsmittel, die mehr und mehr in der Landwirtschaft eingesetzt werden und leider oft keinen halt vor Bienen machen. Ein zunehmendes Problem seien die elektromagnetischen Felder, die in den letzten Jahren fast die gesamte Erde überdecken. »Die Navigation der Bienen wird dadurch empfindlich gestört. Oft finden sie aus diesem Grund ihre Stöcke nicht wieder und gehen schlicht verloren.«
All diese Gründe bedingten den weltweiten Rückgang der Bienenvölker. Israel sei allerdings nicht ganz so stark betroffen, wie etwa Nordamerika, wo beispielsweise in 2008 60 Prozent aller Bienen verschwanden oder starben. Doch im Land, wo Milch und Honig der Legende nach unendlich fließen, verloren die Imker in der letzten Dekade 30 Prozent ihrer Bestände.
»Und diese Zahl ist bedrohlich«, wie Ben Zeev versichert. »Denn jede Biene weniger bedeutet weniger Honig auf den Tischen der Konsumenten. In diesem Jahr etwa haben wir sechs Prozent weniger ernten können. Umso mehr müssen wir unsere Bestände mit aller Kraft beschützen. Damit es auch in Zukunft noch Honig im Land des Honigs gibt.«