Der beißende Qualm brennender Autoreifen verdunkelt die Lüfte, Männer und Frauen brüllen Parolen in Megafone, Massenaufgebote von Polizei in Kampfmontur stehen bereit. Seit Tagen brodelt es auf den Straßen von Jerusalem, Beer Schewa und Tel Aviv. Die Studenten des Landes haben eine Riesenwut im Bauch, sie protestieren gegen den sogenannten Jeschiwa-Gesetzentwurf. Der sieht vor, Stipendien für charedische Studenten wieder einzusetzen, obwohl diese vor Monaten vom Obersten Gerichtshof untersagt worden waren.
Charedische, also ultraorthodoxe Jeschiwastudenten, sind ausschließlich Männer, in der Regel bereits Familienväter. Sie arbeiten nicht, sondern lernen Vollzeit an einer der zahlreichen religiösen Institute des Landes. Andere Studierende würden durch die Stipendien diskriminiert, erläuterten die Richter seinerzeit und setzten jegliche finanzielle Förderung der Charedim aus. Mit dem neuen Entwurf wird von den Regierungsparteien versucht, den Gerichtsentscheid zu umgehen. Rund 22 Millionen Euro sind für diese Ausgabe bereits vom Finanzministerium in den nächsten Haushalt aufgenommen und von der Knesset abgesegnet.
Kritik Israelische Männer und Frauen, die an Hochschulen eingeschrieben sind, erhalten keinerlei Förderung vom Staat, müssen für Studiengebühren und Lebensunterhalt selbst aufkommen. Der Großteil von ihnen geht arbeiten, oft in schlecht bezahlten Jobs in der Gastronomie oder Kinderbetreuung. Zudem wurde bekannt, dass die Netanjahu-Regierung nichtuniversitäre Stipendien für reguläre Studenten besteuern will.
»Wir Studenten sind mehr wert« und »Charedim, sucht euch einen Job«, war die überwiegende Botschaft auf den Schildern am Montagabend. »Wir haben nichts gegen die Religiösen«, machte Itzik Schmuli, Vorsitzender der nationalen Studentenunion, klar, »aber wir wollen gleiche Rechte für alle.« Uriel Reichman, Präsident des interdisziplinären Zentrums in Herzlija, sagte, dass das Gebaren der Politiker nicht länger hingenommen werden sollte. An die Demonstranten gewandt, erklärte er: »Die Politiker haben euch, die ihr unsere Zukunft und unser Fortbestehen seid, im Stich gelassen. Es kann nicht angehen, dass Einzelne auf Kosten von vielen unterstützt werden und dass ihr die Last auf euren Rücken tragen müsst«.
Informatikstudent Or Siwan hat dazu auch keine Lust mehr. Der 27-Jährige ist Informatikstudent an der Universität von Tel Aviv und lebt noch bei seinen Eltern. »Weil ich keine andere Wahl habe«, brummt er. »Natürlich würde ich gern in einer coolen Studentenbude leben und Auto fahren. Aber alles, was ich in Pubs und Cafés verdiene, geht für Studiengebühren, Bücher, Fahrtkosten und das sonstige karge Leben drauf. Wenn meine Familie mir nicht ständig unter die Arme greifen würde, könnte ich es gar nicht schaffen.« Siwan ist stinksauer, dass die Charedim unterstützt werden, seine säkularen Kommilitonen und er hingegen keinen Schekel vom Staat sehen. »Wir waren bei der Armee, haben unseren Hintern riskiert – sie nicht. Wir gehen arbeiten – sie nicht. Wir zahlen Steuern – sie nicht. Da soll mir bitteschön jemand erklären, wo die Fairness ist.« Die Verantwortung für die Misere aber liege bei den Politikern, die das Geld verteilen und nicht bei jenen, die es bekämen, fügt er hinzu.
Jeschiwa Ein Teil derer, für die das Geld gedacht ist, organisierten am Montag einen Gegenprotest. »Wir sind es leid, als Schnorrer dazustehen«, war zu hören, »wir haben die Unterstützung wirklich verdient«.
David war nicht dabei, doch sieht es es genauso. Zumindest im Großen und Ganzen. Er ist 31, verheiratet und studiert ganztags an einer Jeschiwa in Jerusalem. Der Vater von drei Kindern ist in die ultraorthodoxe Gemeinschaft hineingeboren. Er möchte unerkannt bleiben, da er Repressalien aus seiner Gemeinde befürchtet, sollten nicht alle mit seinen Thesen übereinstimmen. »Zunächst einmal finde ich, dass es gut ist, uns zu helfen. Schließlich sind wir mit unserer toratreuen Lebensweise die Bewahrer des Judentums in Israel, während viele Säkulare sich nur um ihr eigenes Wohl kümmern. Ohne die Jiddischkeit ist unser Volk in Gefahr. Deshalb lernen wir den ganzen Tag, denn die Lehren zu studieren braucht viel Geduld und Zeit.«
Jedoch ist der fromme Student nicht mit allem einverstanden. So meint er, dass es strengere Regeln in den Jeschiwot geben müsste. »Nicht alle dort lernen so, wie sie es eigentlich sollten. Es überprüft aber kaum jemand, das ist ein großes Problem. Anwesenheitslisten, Tests oder Hausaufgaben existieren nicht.« David vertritt für einen ultraorthodoxen Mann, der nie ein anderes Leben kennengelernt hat, eine recht radikale Meinung: »Wer nicht ernsthaft studieren will, soll arbeiten gehen, es kann nicht sein, dass man fürs Herumsitzen bezahlt wird.« Verständnis für den Protest der säkularen Kommilitonen bringt er aus einem anderen Grund auf. »Wenn es finanzielle Unterstützung vom Staat gibt, dann für alle Studenten. So ist es nicht in Ordnung und schürt nur den Hass zwischen Religiösen und Säkularen. Das können wir nicht gebrauchen, wir wollen keinen Bruderkrieg.«