Brüssel will Sanktionen gegen Israel. In der Nacht zum Freitag hatte sich dort eine große Mehrheit von Parlamentariern für dafür ausgesprochen - falls Jerusalem sein Vorhaben wahrmachen und Teile des Westjordanlandes einseitig annektieren sollte.
Damit würde eine »rote Linie« überschritten, heißt es in der von den Grünen eingebrachten Entschließung. Europaweit müssten dann Strafmaßnahmen gegen den jüdischen Staat vereinbart werden.
Abgestimmt wurde allerdings nicht im Europäischen Parlament, sondern in der föderalen Abgeordnetenkammer Belgiens. Ähnlich harsche Entschließungen sind in den kommenden Tagen in anderen europäischen Volksvertretungen geplant. Mehr als 1000 Parlamentarier aus verschiedenen Ländern hatten vor einer Woche in einem offenen Brief Konsequenzen gefordert im Fall von Annexionen.
ENTSCHLIESSUNG Auch der Bundestag beschäftigt sich in diesen Tagen mit dem Thema. Am Mittwoch soll eine gemeinsam von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis90/Grünen eingebrachte Resolution verabschiedet werden. Nach einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur einigten sich die Außenpolitiker der Fraktionen Ende der Woche auf einen Entwurf.
»Solange dem Staat Israel mit der ›Auslöschung‹ oder ›Vernichtung‹ gedroht wird, fehlt eine glaubwürdige Grundlage für einen breiten und dauerhaften Frieden.«
Die CDU-Abgeordnete Gita Connemann sagte der Jüdischen Allgemeinen allerdings am Freitag, die interfraktionelle Abstimmung sei noch im Gange. Strittig war zuletzt, ob im Hinblick auf die von Deutschland unterstützte Zweistaatenlösung ausdrücklich der Grenzverlauf von 1967 erwähnt werden soll.
Ende Mai hatte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu angekündigt, ab dem 1. Juli in Teilen der 1967 von Israel besetzten Gebiete im Westjordanland israelisches Recht anwenden und sie damit de facto zu einem Teil des jüdischen Staates machen zu wollen. Details hat Netanjahu bislang aber nicht verraten, und es ist zudem unklar, inwiefern sein Koalitionspartner, das Bündnis Blau-Weiß von Verteidigungsminister Benny Gantz, bei dem Vorhaben mitspielen wird.
Der 1. Juli ist auch für Deutschland ein wichtiges Datum. Berlin wird an diesem Tag von Kroatien den Vorsitz des EU-Ministerrates übernehmen und damit eine zentrale Rolle bei der Ausarbeitung der Brüsseler Reaktion auf die israelischen Pläne spielen. Die Israel-Resolution des Bundestages, die am Mittwoch im Plenum beraten und abgestimmt werden soll, könnte da als Richtschnur dienen, auch wenn sie die Bundesregierung formal nicht bindet.
SANKTIONEN Wie ihre belgischen Kollegen werden auch die deutschen Abgeordneten die Pläne des israelischen Ministerpräsidenten als unvereinbar mit dem Völkerrecht zurückweisen. Allerdings wird von Strafmaßnahmen und Sanktionen gegen Israel im deutschen Antrag nichts stehen. Selbst die Linkspartei will keine einseitigen Sanktionen, da diese – wie im Falle Syriens oder des Irans – »immer die gesamte Bevölkerung« träfen. Das sagte die Obfrau der Partei im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, Sevim Dagdelen, dieser Zeitung.
Es dürfen keine Doppelstandards an den Staat Israel angelegt werden, welche zur Delegitimierung und Dämonisierung beitragen.
Anstelle von Sanktionen will Dagdelen einen Stopp deutscher Waffenlieferungen in den gesamten Nahen Osten, inklusive Israels. Darüber hinaus solle sich die Bundesregierung für die Aussetzung des Assoziierungsabkommens der EU mit Israel stark machen, so die Linken-Politikerin.
VERHANDLUNGEN Diese beiden Forderungen werden sich höchstwahrscheinlich nicht in der gemeinsamen Resolution des Bundestages wiederfinden. Die Linken-Fraktion war in die interfraktionellen Gespräche nicht eingebunden, ebensowenig wie die AfD.
Doch auch Unionsabgeordnete, die man getrost zu den treuen Unterstützern Israels in der Berliner Politik rechnen darf, finden deutliche Worte. »Ich lehne die Pläne der Regierung Netanjahu ab. Sie schaffen Tatsachen, wo wir Verhandlungen bräuchten. Eine Zwei-Staaten-Lösung rückt damit in weite Ferne. Diese Meinung wird in meiner Fraktion geteilt«, sagte Gita Connemann gegenüber dieser Zeitung.
Dennoch dürfe die Kritik des Bundestages nicht einseitig bei Israel abgeladen werden, betonte die CDU-Politikerin. »Die Palästinenser müssen zurück an den Verhandlungstisch. Und sie müssen ihr Verhältnis zu Gewalt und Terrorismus klären«, fügte sie an.
Harsche Gegenmaßnahmen seitens der EU oder Deutschlands hält auch Kirsten Kappert-Gonther von Bündnis90/Die Grünen für falsch. Sie sieht die Chancen auf Frieden in Nahost schon länger für gefährdet, »nicht erst seit Benjamin Netanjahus Annexionsplänen.«
DOPPELSTANDARDS »Die Friedensverhandlungen werden seit Jahren ganz maßgeblich durch den Terror der Hamas und anderer terroristischer Organisationen auf Jüdinnen und Juden torpediert«, so Kappert-Gonther, die auch Vizepräsidentin der Deutsch-Israelischen Gesellschaft ist. »Solange dem Staat Israel mit der ›Auslöschung‹ oder ›Vernichtung‹ gedroht wird, fehlt eine glaubwürdige Grundlage für einen breiten und dauerhaften Frieden. Keinesfalls sollte die Bundesregierung der israelischen Regierung mit Sanktionen drohen. Das halte ich schon aus unserer historischen Verantwortung gegenüber dem Staat Israel für völlig verfehlt«, sagte sie der Jüdischen Allgemeinen.
Erst müssten die israelischen Pläne vorgestellt werden, bevor man angemessene Maßnahmen beraten könne, sagt der FDP-Politiker.
Drohungen seien »kein geeignetes Mittel, um Stabilität und Diplomatie zu fördern.« Es dürften auch keine Doppelstandards an den Staat Israel angelegt werden, welche zur Delegitimierung und Dämonisierung beitrügen, erklärte die Bremer Bundestagsabgeordnete.
AUSGEWOGENHEIT Ihr FDP-Kollege Frank Müller-Rosentritt plädierte »eindringlich für mehr Ruhe und Differenzierung in der Debatte.« Man solle jetzt nicht »voreilig eine Verurteilung oder emphatische Unterstützung« an Israels Adresse aussprechen. »Als Liberale stehen wir für Ausgewogenheit«, erklärte er. Erst müssten die israelischen Pläne vorgestellt werden, bevor man angemessene Maßnahmen beraten könne. Und »die sollten nicht eine Partei ins Abseits schicken, sondern alle Beteiligten zurück an den Verhandlungstisch holen«, so Müller-Rosentritt.
Der FPD-Mann aus Sachsen fügte an: »Wer jetzt in Richtung der einzigen Demokratie im Nahen Osten direkt von scharfen Gegenmaßnahmen spricht, der misst mit zweierlei Maß. In der Region gibt es Staaten, die seit langer Zeit das Völkerrecht massiv brechen, die fürchterliche Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht verüben und eklatant die Menschenrechte brechen. Dementsprechend muss man da klar dosieren und eine andere, vor allem eine diplomatische Herangehensweise wählen, die den besonderen Beziehungen unserer Staaten gerecht wird.«
Man müsse auch beachten, dass Israel den völkerrechtlichen Status des Westjordanlands ganz anders sehe als andere Länder. Deshalb brauche es »starke diplomatische Signale statt pauschaler Vorverurteilung.«
KONSENS Der Versuch der israelischen Regierung, jetzt einseitige Schritte zu gehen, ist für Müller-Rosentritt auch Ausdruck einer gewissen Verzweiflung, dass beim Friedensprozess in den letzten Jahren nichts vorangegangen sei. »Immer wieder wurde der große Wurf versucht, was letztlich in nicht mehr mündete als einem Fehlschlag. Gleichermaßen wurden durch pragmatische und lebensnahe Entscheidungen wichtige Kooperationen zwischen der israelischen und palästinensischen Seite aufgebaut. Dahin müssen wir zurück. Lieber kleine pragmatische Schritte als die vermeintlich große Lösung, die dann doch wieder nur eine Enttäuschung ist.«
Besonders der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn will mit der Maßnahme den Druck auf Israel erhöhen.
Als die »große Lösung« sehen in Brüssel und manchen europäischen Hauptstädten manche neben Sanktionen auch die einseitige Anerkennung eines »Staates Palästina« durch die EU-Mitgliedsstaaten. Belgien könnte bald diesen Schritt gehen, bislang haben das nur wenige europäische Regierungen getan.
Besonders der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn will mit der Maßnahme den Druck auf Israel erhöhen. Das könnte aber den sorgsam gepflegten Minimalkonsens der europäischen Nahostpolitik sprengen - einen Konsens, den auch der Bundestag weiterhin hochhält.