»Der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert.« So lautet ein altes Sprichwort. Dass diese einen aber auch woanders hinbringen können – nämlich nach Tokio zu den Paralympischen Sommerspielen im kommenden Jahr –, beweist das Projekt »Gute Absichten« am renommierten Shenkar College of Engineering and Design in Ramat Gan.
Bereits im dritten Jahr in Folge beschäftigen sich Studenten mit dem, was als »Social Entrepreneurship« bezeichnet wird. Damit sind unternehmerische Aktivitäten gemeint, in deren Mittelpunkt innovative wie auch pragmatische und nachhaltige Lösungsansätze in den Bereichen Umweltschutz, Arbeitsplatzbeschaffung für Menschen mit Behinderungen oder Armutsbekämpfung stehen.
Letztendlich geht es immer darum, durch soziales Unternehmertum einen positiven Wandel in der Gesellschaft einzuleiten. Auf diese Weise kam denn auch die Zusammenarbeit des Shenkar College mit dem Israel Paralympic Committee zustande. Studenten erhielten im Rahmen ihrer Abschlussprüfungen die Aufgabe, Sportbekleidung zu entwerfen, die optimal für Athletinnen und Athleten mit sehr unterschiedlichen Behinderungen geeignet ist. Und möglichst stylish sollte das Ganze natürlich auch sein.
KINDERLÄHMUNG »Alles begann vor einigen Monaten bei einer Tasse Kaffee«, erinnert sich Nadav Levi, der erste Israeli, der in der Ballsportdisziplin Boccia bei den Paralympischen Sommerspielen mitmachte und gleich so erfolgreich war, dass er heute auf Platz zehn der Weltrangliste steht.
Amit Giladi und Tamara Golan – zwei Studentinnen der Fächer Textildesign und Modedesign am Shenkar College – hatten den 40-Jährigen kontaktiert, der sich aufgrund einer zerebralen Kinderlähmung nur mit Gehhilfen fortbewegen kann. Sie wollten von ihm genau wissen, wie er mit konventioneller Sportbekleidung zurechtkommt und was man daran verbessern könnte.
Die Designerinnen studierten die Bewegungsabläufe des Boccia-Spielers.
Ganz offensichtlich sprachen die beiden damit ein Thema an, das dem Boccia-Champion schon länger unter den Nägeln brannte. »Bereits das Auf- und Zuknöpfen einer Jeans ist oft mit Problemen verbunden.« Aber auch der Schnitt mancher Jacken oder Hosen kann ihn manchmal in seiner Bewegungsfreiheit einschränken, was bei Wettbewerben nicht gerade hilfreich ist.
Also machten sich die beiden Studentinnen an die Arbeit und entwarfen einen Blazer, der adaptiv ist und Levi durch einen Schnitt im Rücken erlaubt, mit seinen Armen beim Werfen der Boccia-Kugeln weit auszuholen, ohne dass es gleich eng wird. Zudem kann ein Regencape appliziert werden, weil der Sportler, da er sich stets mit Gehhilfen fortbewegt, keinen Regenschirm halten kann.
BEWEGUNGSABLÄUFE »Ich war sehr beeindruckt«, lautet sein Urteil über das Resultat. »Vorab hatte ich den beiden ein Video zugeschickt, in dem zu sehen ist, welche Probleme beim An- und Ausziehen einer Jacke oder meiner Schuhe auftreten können. Ich musste im wahrsten Sinne des Wortes auch die Hosen herunterlassen, sodass sie meine Bewegungsabläufe dabei studieren konnten und auf der Grundlage ihrer Beobachtungen die neuen Stücke entwarfen.«
Eine Beinprothese musste in die Konzeption mit einbezogen werden.
Nun kann Levi sich über Sportkleidung freuen, die optimal an seinen Körper angepasst ist. Klamotten von der Stange saßen selten richtig oder mussten eigens geändert werden, weil er unterschiedlich lange Beine sowie asymmetrische Schultern hat.
Levi war nicht der einzige Sportler, der von Shenkar-Studenten ein neues Outfit erhielt. Auch der Tennisspieler Adam Berdichevski wurde eingekleidet. Bei ihm war es wichtig, seine Beinprothese in die Konzeptionen mit einzubeziehen.
Und bei der Tänzerin Vital Zinger ging es um einen nicht nur passenden, sondern auch glamourösen Dress für ihren Auftritt bei den Ende November in Bonn stattfindenden »World Para Dance Sport Championships«. Denn das Kleid darf bei schnellen Bewegungen nicht mit ihrem Rollstuhl ins Gehege kommen – all das verweist auf die Vielzahl der Herausforderungen, die auf die Designer zukamen.
MODEGESCHMACK Die Bewegungsfreiheit war bei den Überlegungen von Anfang an genauso von Bedeutung wie die Auswahl des richtigen Materials, das zu den Prothesen passt, und die Abstimmung mit dem individuellen Modegeschmack der Athleten.
Die Tänzerin Vital Zinger brauchte einen Dress, der glamourös ist.
»Normalerweise designen Studenten immer nur für den perfekten Körper«, bringt Maya Arazi die Schwierigkeiten auf den Punkt. »Alle orientieren sich dabei an derselben Figur«, so die Dozentin für Modedesign am Shenkar College. »Das Besondere an der Aufgabe nun aber war die Anpassung auf ganz persönliche Wünsche und Anforderungen.«
Auch Hadass Himmelschein, Leiterin des Designbereichs in Ramat Gan, ist von den Ergebnissen begeistert. »In der Interaktion zwischen den Studenten und den Athleten lag so etwas wie Magie.« Und Tamar Many, Dozentin für Visuelle Kommunikation, ergänzt: »Die Sportler gaben so viel positive Energie und Feedback, was für die Designer wiederum eine wahre Inspiration war. Man spürte förmlich, dass hier wirkliche Synergie im Spiel war.«