Sie hatte es versprochen: »I’ll make you watch me ...« Mehr als 58 Millionen Mal ist das Musikvideo zu »Toy« mittlerweile angesehen worden. Und damit hat Netta Barzilai, die Gewinnerin des Eurovision Song Contest (ESC) in diesem Jahr, schon wieder abgeräumt. Denn es ist das meistgeklickte Video aller Zeiten auf dem YouTube-Kanal des ESC. Doch einige wollen ihr und Israel den Erfolg nicht gönnen und rufen schon wieder nach einem Boykott.
»Das Video zu ›Toy‹ wurde am 11. März veröffentlicht, also hat sie den Rekord in nur 76 Tagen gebrochen«, feierte die offizielle Website der Eurovision die israelische Sängerin am Sonntag. »Sie schlägt sie alle!« Netta stieß damit »Allez Ola Ole« und Lenas »Satellite« vom Thron, die beide acht Jahre brauchten, um so viele Millionen Klicks zu sammeln. Insgesamt ist Nettas Video 100 Millionen Mal angesehen worden, am meisten in Spanien, Deutschland und Russland.
Liste Nach ihrem Sieg wird das internationale Musikspektakel 2019 in Israel stattfinden. »Nächstes Jahr in Jerusalem«, hatte die quirlige Künstlerin stolz direkt nach ihrem Gewinn in Lissabon auf der Bühne gerufen. Schon zweimal zuvor hatte der Wettbewerb dort stattgefunden, denn Israel konnte bereits dreimal die Eurovision für sich entscheiden: 1978 mit »A-ba-ni-bi«, 1979 mit »Hallelujah« und vor genau zwei Jahrzehnten mit »Diva«. Damit liegt der jüdische Staat auf dem vierten Platz der Gewinnerliste (unangefochtener Platz eins ist Irland mit sieben ESC-Trophäen).
Doch über dem Sieg von Netta ziehen dunkle Wolken auf. Einige Fans beginnen, den Wettbewerb zu politisieren, und diskutieren im Internet, ob der ESC 2019 boykottiert werden soll. Sogar Politiker stimmen in den BDS-Gesang ein. Der Bürgermeister von Dublin, Micheal Mac Donncha, etwa sagte, dass er einen irischen Boykott gegen eine Veranstaltung in Israel unterstützen würde: »Ja, ich würde mich dafür einsetzen. Ich finde nicht, dass wir einen Vertreter hinschicken sollten.« Die Linkspartei in Schweden und sogar einige Politiker der britischen Labour-Partei meinen, dass die anderen Länder nicht antreten sollten, wenn in Jerusalem um die Wette gesungen wird. In Island unterschrieben Tausende Bürger eine Petition, damit der ESC an einem anderen Ort ausgetragen wird.
Tickets Die Organisatoren des ESC veröffentlichten daraufhin in der vergangenen Woche eine Nachricht über den offiziellen Twitter-Account, die besagte: »Freut ihr euch auch so sehr auf den nächsten ESC? Wir auch! Doch bucht eure Flüge noch nicht.« Die Fans sollten auf Ankündigungen und die offiziellen Kanäle achten, aber: »Mehr haben wir diesbezüglich im Moment nicht zu sagen.« Das brauchten sie auch nicht, denn sofort begann die Gerüchteküche zu brodeln. Schnell war die Rede von Unstimmigkeiten wegen verschiedener Angelegenheiten zwischen israelischen Offiziellen und Organisatoren und dem israelisch-palästinensischen Konflikt.
Wenige Tage später ruderten die ESC-Verantwortlichen zurück und erklärten die Gerüchte über politische Spannungen als Spekulation. »Es gibt keine Entscheidung zum Austragungsort für den Eurovision Song Contest 2019, hieß es. Man arbeite an der Logistik, die letztendliche Entscheidung werde von der Übertragungsanstalt des Gastgebers (Kan) in Übereinstimmung mit der European Broadcasting Union getroffen.
Auf die Spitze der boshaften Kommentare trieb es in der vergangenen Woche ein Sketch der holländischen Komikerin Sanne Wallis de Vries, die in einer Netta-Parodie singt, dass Israel »bei der Botschaftseröffnung Cash macht« und Palästinenser natürlich nicht zur Party eingeladen sind. Juden werden mit dem typisch antisemitischen Klischee der geldgierigen Mörder belegt. Der israelische Botschafter in den Niederlanden, Aviv Shir-On, legte offiziell Beschwerde ein. Er sagte, Meinungsfreiheit und Satire seien selbstverständlich bedeutende Elemente der Demokratie, und lobte sogar die Professionalität des Vortrags; »der ganze Rest ist jedoch sehr problematisch«, schrieb er. Das staatlich geförderte holländische Fernsehen verteidigte sich anschließend und meinte, der Sketch sei nicht antisemitisch gemeint. »Die Parodie hinterfragt die Politik Israels, ist jedoch keine Anklage gegen die jüdische Gemeinde.«
Schabbat Doch der Druck kommt nicht nur von außen. Auch im Land brodelt es hinter den Kulissen. Denn gesungen wird beim ESC traditionell am Samstagabend, ausgiebig geprobt wird in den Tagen davor. Gesundheitsminister Yaakov Litzman von der ultraorthodoxen Partei Vereinigtes Tora-Judentum will davon jedoch nichts wissen. Er schrieb kurz nach Nettas Gewinn an die Ministerin für Kultur und Sport, Miri Regev, und ihre Kollegen im Tourismus- und im Kommunikationsministerium, Yariv Levin und Ayoub Kara, dass die Eurovision keine Verletzung des Schabbats erlauben dürfe. »Das verlangen Gesetz und Status quo.«
Der Vorsitzende des ESC-Komitees innerhalb der European Broadcasting Union, Frank-Dieter Freiling, konterte daraufhin in der Tageszeitung Haaretz, dass der Wettbewerb Samstagabend um 22 Uhr stattfinden muss. Der Schabbat könne in Anbetracht der Zuschauer in ganz Europa nicht in Betracht gezogen werden. Freiling sagte, er sei sich der Spannungen bewusst, und findet: »Es ist eine interessante Herausforderung.«