Zwar nicht im Weißen Haus, aber immerhin fand sie statt: die lang erwartete Zusammenkunft von Israels Premierminister Benjamin Netanjahu und US-Präsident Joe Biden. Am 20. September trafen sie sich am Rande der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Intercontinental Hotel in New York. Es war das erste Mal seit der Rückkehr des Premiers in sein Amt im Januar, dass sich die beiden gegenübersaßen.
Biden machte gleich zu Beginn des einstündigen Gesprächs klar, wie wichtig es sei, »die demokratischen Werte zu wahren, die den Kern unserer Partnerschaft ausmachen, einschließlich der Gewaltenteilung in unseren Systemen«. Der Präsident hatte zuvor mehrfach seine Sorge über die Justizreform geäußert und den israelischen Regierungschef aufgefordert, diese nicht ohne Konsens durchzudrücken.
justizreform Nach Meinung des ehemaligen israelischen Botschafters Michael Harari sei dies der Grund, weshalb Biden Premier Netanjahu bislang nicht zu einem offiziellen Besuch ins Weiße Haus eingeladen hat. »Es ist eindeutig wegen der Justizreform und der Krise in Israel.« Das Treffen in New York habe stattgefunden, als zwischen Israel und den USA Differenzen in drei wesentlichen Bereichen herrschten.
Es gehe also im ersten Streitpunkt um die Reform, klar formuliert in dem Verweis auf »gemeinsame Werte«. Der israelische Regierungschef dagegen versicherte, dass sich »Israels Engagement für die Demokratie« niemals ändern werde. »Wir werden weiterhin die Werte hochhalten, die unsere beiden stolzen Demokratien schätzen«, sagte er, während vor dem Hotel Hunderte israelischer Expats und jüdische Amerikaner gegen die Regierungspolitik Jerusalems protestierten und blau-weiße Flaggen schwenkten. Einige hatten auf ihre Schilder geschrieben: »Crime minister Netanjahu«. Andere: »Biden, don’t whitewash Bibi’s coup« (Beschönigen Sie Bibis Umsturz nicht).
Biden machte gleich zu Beginn des einstündigen Gesprächs klar, wie wichtig es sei, »die demokratischen Werte zu wahren«.
Zweitens steht weiterhin der Konflikt zwischen den Israelis und den Palästinensern im Raum. Harari geht davon aus, dass »hauptsächlich die radikalen Elemente der Regierung in Jerusalem ein Problem darstellen, mit denen aus Sicht der USA keinerlei Verständigung diesbezüglich am Horizont zu sein scheint«. In seiner öffentlichen Erklärung verwies Biden auf »schwierige Themen, darunter die Aufrechterhaltung einer Zweistaatenlösung mit den Palästinensern«.
Die dritte Meinungsverschiedenheit beziehe sich auf den Iran, obwohl Biden beteuerte, »dass der Iran niemals eine Atomwaffe erhalten« werde. Netanjahu lobte die Bemühungen der US-Regierung, Teheran daran zu hindern, in den Besitz einer Atomwaffe zu gelangen. »Das ist von entscheidender Bedeutung.« Und Präsident Biden bestätigte: »Selbst dort, wo wir einige Differenzen haben, ist mein Engagement für Israel, wie Sie wissen, eisern.«
Gleichwohl hoffe die derzeitige US-Regierung, dass sie zu einer Art Verständigung mit dem Iran zurückkehren könne, so Harari, nachdem sich die vorherige aus dem Atom-Abkommen verabschiedet hatte: »Israel und die USA sind da keinesfalls einer Meinung.« Trotz allem deutete Biden an, dass eine Einladung ins Weiße Haus noch in diesem Jahr folgen könnte. »Hallo, mein Freund, willkommen«, sagte Biden zur Begrüßung, »ich hoffe, wir sehen uns bis Ende des Jahres in Washington.«
BESTANDTEIL Schmuel Sandler vom Zentrum für strategische Studien an der Bar-Ilan-Universität beginnt seine Analyse über den aktuellen Stand der Beziehung zwischen den USA und Israel wie folgt: »Bei einem der Hauptstreitpunkte in der Theorie der internationalen Beziehungen geht es um die Verbindung zwischen internationaler und nationaler Politik. Einige argumentieren, internationale Politik sei eine autonome Disziplin, andere, dass die Innenpolitik tatsächlich integraler Bestandteil der Verbindungen zwischen Staaten ist.«
Diese Debatte sei auch in der politischen Arena Israels zu hören. Das Argument im rechten politischen Lager laute, dass Israel letzten Endes Amerikas stabilster Verbündeter in Nahost sei und daher die strategischen US-Interessen das Engagement Washingtons bestimmen würden. Die Gegner indes gehen davon aus, es seien die politischen Werte, die die Beziehung determinieren würden. Daher beeinflusse ein nicht einvernehmlicher Regimewechsel die Haltung der USA gegenüber Israel negativ.
Die Krise in Israel geht mit einer Krise zwischen Republikanern und Demokraten einher.
»Fünf Wahlen innerhalb von drei Jahren und die interne Krise, die nach Bildung der aktuellen Regierung in Israel ausbrach, zeugen von einer tiefen gesellschaftspolitischen Kluft innerhalb des jüdischen Staates. Doch diese Spaltung beschränkt sich nicht auf die Innenpolitik, sondern strahlt Schwäche gegenüber Israels Freunden und Gegnern aus«, meint Sandler und fügt hinzu, dass dies sehr wohl mit einer ähnlichen Krise zwischen Demokraten und Republikanern in den USA einhergehe. »Politische Beziehungen enden nicht an Staatsgrenzen, sondern kreuzen sich in den politischen Arenen beider Länder.«
Eine weitere Einflussnahme finde auf interkommunaler Ebene statt. »Durch die Zusammensetzung der gegenwärtigen Regierung in Jerusalem distanziert sich der jüdische Staat von einem Verbündeten in den USA, dessen Bedeutung nicht unterschätzt werden sollte: dem liberalen amerikanischen Judentum.« Auch die Abneigung der amerikanischen Öffentlichkeit gegenüber einem aktiven militärischen Engagement im Nahen Osten verheiße nichts Gutes bezüglich der Hauptsorge Israels: Irans Fortschritte, ein nuklearer Schwellenstaat zu werden, argumentiert der Experte. Ohne die politische Unterstützung der USA könne es allerdings keinen israelischen Präventivschlag geben.
HERAUSFORDERUNG »Die Innenpolitik ist für Netanjahus Regierung zu einer nationalen Herausforderung in Sachen Sicherheit geworden«, so Sandler. »Sie muss daher begreifen, dass die Stärkung zwischen israelischer und amerikanischer Innenpolitik nun ihre wichtigste strategische Aufgabe ist.«
»Der Ausstieg aus dem Sumpf der Rechtsreformen, die Eindämmung des Siedlungsansturms im Westjordanland und der ultraorthodoxen Agenda, die das amerikanische Judentum vom jüdischen Staat abschneidet, sind Preise, die die Regierung zahlen muss, um die Sicherheitslage Israels zu verbessern«, macht Sandler deutlich. »Dann wird die besondere Beziehung zwischen Israel und den USA und damit auch die nationale Sicherheit wiederhergestellt.«