Israels Regierung bezeichnete die Militäroperation »Schild und Pfeil« als durchschlagenden Erfolg. Premierminister Benjamin Netanjahu resümierte im Anschluss: »Wir haben 17 Dschihad-Kommandozentralen zerstört. Wir haben Dutzende Terroristen eliminiert. Wir haben Raketen und Raketenarsenale angegriffen, Panzerabwehreinheiten ausgeschaltet und vieles mehr.«
»Am Samstagabend haben wir den fünftägigen Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Dschihad erfolgreich abgeschlossen«, sagte der Premier. Vor Beginn der Operation habe die Anweisung aus zwei Worten bestanden: »Initiative« und »Überraschung«. Dem Stabschef und Direktor des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet habe er im Anschluss gratuliert: »Gut gemacht!«
»Heute wissen die Feinde Israels in Gaza und weit darüber hinaus, dass wir sie immer erreichen können und werden, selbst wenn sie versuchen, sich zu verstecken«, führte Netanjahu aus. »Dieses Bewusstsein wurde während der Operation Shield and Arrow deutlich gestärkt. Wir haben die Gleichung geändert.« Das jedoch bezweifeln Experten in Israel. Sie meinen indes, die Strategie der Regierung zur Bekämpfung des Terrorismus aus dem Gazastreifen sei alles andere als »erfolgreich«.
Einer dieser Kritiker ist der ehemalige Koordinator für arabische Angelegenheiten im Gazastreifen, Victor Ben Ami. Er geht davon aus, dass es bis zur nächsten Kampfrunde zwischen Israel und dem Gazastreifen nicht mehr lange dauern werde. »Genauso verstehe ich die Lage. Vielleicht geht es schon beim Flaggenmarsch in Jerusalem wieder los.« Die Mitglieder der Dschihad-Organisation würden bereits darüber reden.
»Israel befindet sich momentan in einer Situation, in der schon die schlechte Laune eines Anführers oder sonst irgendetwas zu einer Welle von Terrorangriffen führen kann. Kein Land der Welt sollte sich in einer solchen Lage befinden.«
VERÄNDERUNG Die jüngste Militäroperation bezeichnet Ben Ami gar als »nutzlos«. Seiner Auffassung nach bewähre sich keine der jeweiligen »Runden«: »Wir können nicht erwarten, dass wir immer wieder dasselbe tun und dennoch etwas anderes erreichen. Auch das diese Kämpfe werden eine neue Schreckenswelle nach sich ziehen. Nur wenn wir etwas anders machen, können wir mit einer Veränderung rechnen.«
Dabei wünsche er sich eine andere Strategie Israels. In separaten Auseinandersetzungen alle paar Monate könne man den Terror nicht bekämpfen, ist er sicher. »Stattdessen müssten wir eine dauerhafte strategische Front bilden, bei der Israel an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr kämpfen muss. Denn wenn man den Terror nicht bekämpft, lässt man ihn stärker werden. Unsere Gegner werden sich immer neue Waffen und Tricks einfallen lassen.«
Die gezielten Tötungen von Anführern der Terrorgruppen allerdings hält Ben Ami für effektiv: »Es versetzt ihnen harte Schläge, das haben wir jetzt gesehen. Auch schon in der Vergangenheit. Seit 2003 haben uns die Führungen von Hamas und Dschihad immer wieder aufgefordert, damit aufzuhören. Weil es sie wirklich trifft.«
KAMPF Nur wie würde ein 365-tägiger Kampf aussehen? »Es geht eben nicht darum, vier bis fünf Tage zu kämpfen. Das ist nicht der richtige Weg«, so Ben Ami. »Man muss immer den Überblick behalten. Leider gibt es keinen Ausweg aus dem Terror. Dies ist unser Schicksal. Ich hoffe, dass sich das eines Tages ändern wird. Aber wir sind 75 Jahre alt – und bislang hat sich nichts geändert.«
Ben Ami fand es gleichsam falsch, die Hamas aus der Eskalation herauszuhalten. Denn Hamas und der Islamische Dschihad verfolgten in seinen Augen dieselbe Strategie gegen Israel. »Sie überlegen, wie sie den Israelis schaden können. In der vergangenen Woche gab es 15 Terroranschläge gegen Israelis, die meisten von der Hamas. Sie führen den Terror von Gaza aus an. Ich denke, dass wir ständig gegen Hamas und Islamischer Dschihad vorgehen müssen – und zwar als Routine.«
Der Islamische Dschihad erklärte sich nach fünf Tagen Kampf bereit, die ägyptische Formulierung für einen Waffenstillstand zu akzeptieren, als klar wurde, dass die Hamas an ihrer Position festhielt, sich nicht an den Kämpfen zu beteiligen. Darüber hinaus verdichten sich die Hinweise darauf, dass die Hamas angesichts der wachsenden Gefahr, in die Kämpfe hineingezogen zu werden, den Islamischen Dschihad tatsächlich angewiesen hat, die Runde zu beenden.
Auch Udi Dekel ist nicht von der Wirksamkeit der jüngsten Kampagne gegen den Terror überzeugt. Der Experte für palästinensische Angelegenheiten am Institut für Nationale Sicherheitsstudien an der Universität Tel Aviv analysiert, dass sich Israel in den drei letzten Kampfrunden auf die Kampagne gegen den Islamischen Dschihad konzentriert habe, der Gaza nicht regiert. »Sie haben mit gezielten Tötungen von Kommandeuren begonnen, auf Raketenbeschuss an der Heimatfront mit Abfang- und Präventivmaßnahmen reagiert und versucht, die Runde kurzzuhalten, damit sie nicht zu einer direkten Konfrontation mit der Hamas ausartet.«
»Schon die schlechte Laune eines Anführers kann zu einer Terrorwelle führen«
Victor Ben Ami
»Alle drei Runden waren Abschreckungskampagnen ohne politischen Zweck. Während und nach diesen Kampagnen wurde kein Versuch unternommen, die strategische Sicherheitsrealität gegenüber der Hamas zu ändern, die Israels zentrale Sicherheitsherausforderung in der palästinensischen Arena darstellt«, erläutert Dekel.
Manche in Israel ließen sich jetzt zu der Behauptung hinreißen, dass sich die Hamas jahrelang in Gaza standhaft geweigert habe, anderen in der Region aktiven Organisationen zu erlauben, ihre Politik zu dominieren. Die jüngste Auseinandersetzung zwischen Israel und Gaza zeige nun die Schwäche der Hamas, so einige Mutmaßungen, da es dem Islamischen Dschihad mit seiner iranischen Finanzierung gelang, die Agenda in Gaza festzulegen.
STELLVERTRETER »Doch das Gegenteil ist der Fall«, ist Dekel überzeugt. »Die Hamas wurde nicht geschwächt. Sie unterstützte stillschweigend den Islamischen Dschihad, der als ihr Stellvertreter fungierte, studierte währenddessen den Ansatz und die operativen Fähigkeiten der IDF, positionierte sich als verantwortungsbewusste Partei, die sich um die Bevölkerung im Gazastreifen kümmerte, und riskierte ihre Errungenschaften nicht.« Eine dieser Errungenschaften sei die Erlaubnis, dass Arbeiter aus dem Gazastreifen nach Israel einreisen dürfen. Andere Zugeständnisse beträfen die Ein- und Ausfuhr von Waren in den und aus dem Gazastreifen sowie den Geldfluss aus Katar.
»Israel wünscht sich eine längere Ruhephase, die auf militärischer Abschreckung beruht«, beschreibt Dekel die derzeitige Situation, »und ignoriert gleichzeitig die grundlegenden Probleme, die mit der Stärkung der Hamas einhergehen. Doch damit bleibt die größte Herausforderung für Israel – die Hamas vor der Haustür – unverändert bestehen.«