Er war einer der führenden Zionisten und setzte sich zeit seines Lebens für Israel ein. Zugleich sparte er nicht mit deutlicher Kritik an dem noch jungen Staat - und handelte sich damit manchen Ärger ein.
Nahum Goldmann war Gründer und lange Jahre Präsident des Jüdischen Weltkongresses, ein umtriebiger Vermittler in Nahost und anderswo sowie Mitbegründer und Mitherausgeber des Großprojekts »Encyclopaedia Judaica«. Vor 125 Jahren, am 10. Juli 1895, wurde der »Staatsmann ohne Staat« geboren - so der Titel seiner Autobiografie, mit dem Goldmann gerne charakterisiert wird.
FRANKFURT Dieser inoffizielle Staatsmann also war im Kindesalter mit seinen Eltern von Osteuropa nach Frankfurt am Main gezogen, wo Goldmann aufwuchs. Er studierte Jura und Philosophie und promovierte in Heidelberg. Mit zionistischen Ideen kam er früh in Berührung.
Nachdem er im Ersten Weltkrieg für das deutsche Außenministerium zu jüdischen Angelegenheiten gearbeitet hatte, leitete er ab 1926 bis zu seiner Emigration die Zionistische Vereinigung für Deutschland. Das Land musste Goldmann unter den Nationalsozialisten in den 30er-Jahren verlassen. Über mehrere Stationen erlangte er schließlich die US-Staatsbürgerschaft. Goldmann prägte führende Organisationen, die sich für die Gründung Israels und die Belange von Juden weltweit einsetzten.
Immer wieder beschäftigte Goldmann die Frage, wo Juden leben sollten: in Israel oder in der Diaspora?
Doch zunächst war er zur Zeit des britischen Mandats in Palästina von 1935 bis 1940 Vertreter der Jewish Agency beim Völkerbund in Genf. Und nachdem Goldmann bereits dabei geholfen hatte, den Jüdischen Weltkongress (WJC) zu organisieren, wurde er 1949 dessen Präsident bis 1978. Parallel war er seit 1951 auch Präsident der Conference on Jewish Material Claims against Germany sowie der Zionistischen Weltorganisation von 1956 bis 1968.
ADENAUER Die Claims Conference setzt sich seit Jahrzehnten für »Entschädigungen« für Holocaust-Überlebende ein. Goldmann war maßgeblich an der Aushandlung des »Wiedergutmachungsabkommens« der Bundesrepublik unter Kanzler Konrad Adenauer mit Israel von 1952 beteiligt. Darin ging es um individuelle »Entschädigungen« von Holocaust-Opfern und Milliarden-Zahlungen an Israel.
Goldmann und Israels erster Ministerpräsident David Ben-Gurion hatten einst auf die Staatsgründung am 14. Mai 1948 hingewirkt. Allerdings wollte Goldmann die Ausrufung des neuen Staates verschieben, um den ersten Nahostkrieg zu vermeiden. Über Menachem Begin soll Goldmann laut »Zeit« gesagt haben, er schreibe »das unheilvollste Kapitel in der Geschichte Israels« und gefährde womöglich noch dessen Existenz.
Immer wieder beschäftigte Goldmann die Frage, wo Juden leben sollten: in Israel oder in der Diaspora? Als WJC-Präsident war er lange die Stimme der jüdischen Gemeinschaft weltweit. Er erlangte zwar die israelische Staatsbürgerschaft. Dauerhaft in dem Land gelebt hat er jedoch nicht.
AUSSÖHNUNG »So wie er für die Versöhnung zwischen Deutschland und Israel warb, trat er auch für eine Versöhnung mit den arabischen Nachbarn Israels ein«, sagt Menachem Rosensaft. So war er davon überzeugt, dass es keine dauerhafte Lösung ohne Einigung mit den Arabern geben könne.
»Er hatte immer das Interesse des ganzen jüdischen Volkes im Blick und verstand sowohl die Perspektive des Staates Israel als auch der Juden in der Diaspora.«
»Er hatte immer das Interesse des ganzen jüdischen Volkes im Blick und verstand sowohl die Perspektive des Staates Israel als auch der Juden in der Diaspora.« Goldmann habe in den Anfangsjahren Israels dessen Interessen auch dort vorgebracht, wo Israel selbst keinen Zugang gehabt habe.
Der »unabhängige Geist und inspirierende Anführer« habe sich nicht gescheut, unpopuläre Meinungen zu vertreten - auch gegenüber Israels Regierungen, so Rosensaft. Als Teenager habe er eine Postkarte Goldmanns mit den Worten erhalten: »Wenn man Recht hat, kann man ruhig allein gegen alle sein.«
HERZLBERG In einem Interview bezeichnete es Goldmann einmal als großen Fehler seines Lebens, daran gescheitert zu sein, die Juden früh genug von der Gefahr des Nationalsozialismus überzeugt zu haben. Goldmann starb am 29. August 1982 in Bad Reichenhall.
Der unbequeme »Staatsmann ohne Staat« liegt auf dem Jerusalemer Herlzberg begraben - der letzten Ruhestätte bedeutender Zionisten und Spitzenpolitiker. kna